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Im Interview: Der belgische Musiker Stromae

Im Interview: Der belgische Musiker Stromae

  • Text: Barbara Achermann

Stromae ist der menschgewordene Zeitgeist und spukt durch die Hitparaden dieser Welt. Er sagt, zuweilen schmerze ihn der Ruhm.

Stromae torkelt über eine Strasse in Brüssel, er scheint betrunken, Autos hupen, Menschen starren ihn an. Es regnet, er setzt sich auf den Randstein, eine Frau will ihm aufhelfen, aber er wimmelt sie ab. Das Video zum Song «Formidable» wurde mit einer versteckten Kamera gefilmt und 95 Millionen Mal angeschaut. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil die Polizisten, die am Ende auftauchen, keine bad Cops sind wie in gängigen Clips, sondern höfliche Helfer, die Stromae anbieten, ihn nachhause zu fahren.

Beim verdrehten Maestro Stromae ist eben alles anders und neu. So erzählt sein Lied von einem, der sich erbärmlich fühlt, aber es hat einen Gute-Laune-Rhythmus, zu dem man nächtelang tanzen könnte. Melancholische Partylieder sind Stromaes Ding. Berühmt wurde er mit «Alors on danse», einem Lied über Jugendliche, die tanzen, um ihre Probleme zu vergessen. Er hat es im Alter von 24 Jahren in seinem Kinderzimmer aufgenommen, er lebte damals noch bei seiner Mutter.

Wenig später lag es in mehreren Ländern auf Platz eins der Hitparade. Es folgten weitere Songs irgendwo zwischen Dance und Chanson, voller Weltschmerz, aber frei von Pathos, die europaweit in Clubs und Radios gespielt werden. Endlich ist mal wieder einer berühmt, der Lust auf Mainstream macht, kein Selbstdarsteller, sondern ein grosser Künstler. Am Konzert in der Genfer Arena sieht man ihn zunächst in einer Videoanimation. Als winziges Männchen rennt Stromae vor Spinnen davon und weicht riesigen Zahnrädern aus. Ein bedrohliches Szenario, in dem er beinahe zermalmt wird.

Drei Stunden vor dem Konzert erzählt er, der eigene Erfolg setze ihm zu, es gebe Momente, wo er sich selber nicht mehr spüre. Paul van Haver, wie er mit gebürtigem Namen heisst, ist 29 Jahre alt und ein höflicher Mensch. Im Gespräch wirkt er etwas schüchtern, trinkt Pfefferminztee und hat häufig die Hände im Gesicht.

annabelle: Bonsoir, Paul, ça va?
STROMAE: Tranquille.

Tranquille? Entspannt? Seit Monaten stehen Sie fast jeden Abend auf der Bühne. Sie kommen von einer ausverkauften US-Tournee zurück, auch Ihr Konzert heute Abend in Genf ist seit einem Jahr ausverkauft.
(Er trommelt sich auf die Schenkel.) Ja, das vergangene Jahr war heftig. Ich will mich nicht beklagen, aber ich brauche eine Pause. Ich möchte mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen sein und Leute treffen, die meine Musik hassen oder denen ich schlicht egal bin. Ich muss wieder normal werden.

Sie sind nicht mehr normal?
Wie könnte ich? Ich lebe seit über einem Jahr im Tourbus, bin nie alleine und dennoch isoliert. Manche Leute fotografieren mich, ohne mit mir zu reden. Ich sage Bonjour, und sie verstecken sich hinter ihren Apparaten. Zu diesen Leuten spüre ich keinen menschlichen Kontakt mehr.

Hat Sie der Starkult verändert?
Ja. Ich habe lange unterschätzt, was das für Auswirkungen auf mich als Person haben würde. Aber allmählich geht es mir echt an die Substanz. Ein Moment in Lille ist mir noch deutlich in Erinnerung. Dort haben Fans nach der Autogrammstunde mein Auto angehalten und mit den Händen aufs Dach geschlagen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es war keine gefährliche Situation, aber sie war dennoch gewaltsam und machte mir Angst. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr ich selber bin, fühlte mich nicht mehr mit meinem Körper verbunden, als betrachtete ich mich von aussen. Aber ich will das jetzt hier nicht dramatisieren, es gibt Menschen mit wirklichen Problemen.

Das sagt ausgerechnet einer, der nicht unbedingt sorglos aufgewachsen ist. Stromaes Mutter hat die fünf Geschwister allein aufgezogen, in einem Vorort von Brüssel, das Geld war stets knapp. Den Vater sah er selten, und als Paul neun Jahre alt war, wurde jener beim Völkermord von Ruanda getötet. Der Song «Papaoutai» erzählt von der Abwesenheit des Vaters. Eine erste Version habe er im Zorn geschrieben, so Stromae: «Ich habe den Entwurf niemandem vorgespielt, denn er war zu persönlich, zu anklagend. Eigentlich war ich noch bis vor kurzem wütend auf meinen Vater, aber mittlerweile habe ich fast schon Frieden mit ihm geschlossen. Oder so glaube ich zumindest.»

Stromae plappert nicht grossspurig, sondern zögert und hinterfragt sich laufend: «Ich will nicht mit grossen Worten um mich werfen, Frieden schliessen, was heisst das schon.» Er ist kein Egomane, seine eigene Biografie findet er für einen Songtext zu wenig interessant, er sagt, er habe etwas Allgemeineres schreiben wollen. Das ist ihm gelungen. In seinen Songs erkennen sich junge Menschen von Stockholm bis Rom, man bezeichnet ihn nicht zu Unrecht als «Chronisten einer Generation».

Seine Texte sind geprägt von starken Sätzen wie diesem: «Wie man Kinder macht, weiss jeder, aber niemand, wie man Väter macht.» Es geht nicht nur um den einen verstorbenen Vater, sondern um alle fehlenden Väter, auch die emotional abwesenden, die Stromae in seinem Clip verkörpert. Wie eine Wachsfigur sitzt er teilnahmslos auf dem Sofa, während sein fiktiver Sohn auf ihn einredet, ihm den Ball zuwirft, ihn anschreit. Beide tragen ein Dandykostüm aus afrikanischem Stoff und tanzen ausgefallene Choreografien. Es ist eine eigentümliche Ästhetik, witzig und cool. Am Ende des Clips resigniert der Sohn, setzt sich neben den Vater und erstarrt im selben unheimlichen Grinsen.

Stromae sagt, auch er wolle eines Tages Kinder haben. Aber, so fügt er an, er wisse nicht mit Sicherheit, ob er es besser machen werde als sein eigener Vater. Es ist wohl auch sein Talent zur gnadenlosen Selbstkritik, das Stromae zu einem der bemerkenswertesten Künstler unserer Zeit macht.

Stromae tritt am 5. Dezember im Zürcher Hallenstadion auf.

 

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