Leben
Im Gespräch mit dem kanadischen Singer-Songwriter Rufus Wainwright
- Interview: Ulf Lippitz; Foto: Tony Hauser
Der kanadische Singer-Songwriter Rufus Wainwright über Liebe, Vaterschaft, sein Coming-out und die Frauen, die sein Leben prägten.
Rufus Wainwright kommt gerade vom Mittagessen. Gute deutsche Küche am Berliner Gendarmenmarkt, «schön leichte Kost», scherzt der 46-Jährige – und greift in einen Sack mit Gummibärchen. Da sei Vitamin C drin, behauptet der Sänger, dann müsse es ja gut für ihn sein. Er lacht sein Rufus-Lachen, ein kurzes lautes Gackern, streicht über seinen graumelierten Bart und setzt sich auf die Couch im Büro seiner Plattenfirma. Er wirkt zufrieden, viril, hellwach.
Sechs Jahre hat sich Rufus Wainwright Zeit gelassen, um ein neues Popalbum einzuspielen. Der Kanadier ist einer der besten Songwriter seiner Generation. Mit bisher acht Alben hat er Kritiker begeistert, seine Live-Auftritte gelten als legendär, er wirkte in Filmen mit und schrieb zwei Opern. Mit seinem Ehemann lebt er in Los Angeles. Dort hat er auch sein neues Album «Unfollow the Rules» aufgenommen.
annabelle: Rufus Wainwright, Ihr neues Album knüpft an Legenden wie Frank Sinatra oder Leonard Cohen an. Bisher waren eher Judy Garland und Joni Mitchell ihre Ikonen. Werfen Sie die Frauen nun über Bord?
Rufus Wainwright: Nein. Wenn man diesen Damen einmal verfallen ist, bleiben sie einem für immer erhalten. Joni Mitchell und ihre Gesangsqualitäten sind auf dieser Platte genauso präsent wie die Tonsprünge von Judy Garland.
Diesen «geistig verwirrten Damen», wie Sie die Sängerinnen einmal nannten, haben Sie sich immer nah gefühlt. 2006 haben Sie sogar ein spektakuläres Konzert von Garland aus dem Jahr 1961 komplett nachgesungen.
Damals war ich besessen von Judy. Dieser Auftritt war mein Exorzismus. Ich lebte eine Zeit lang in Los Angeles und hatte mehr als einmal das Gefühl, Judy stünde leibhaftig vor mir – obwohl Sie seit Jahren tot war.
Vielleicht hatten Sie zu viele Drogen genommen?
Gut möglich. Mit dem Konzert spülte ich das alles aus meinem Körper heraus. 2016 habe ich dann den zehnjährigen Jahrestag meiner Judy-Garland-Show begangen und das gesamte Konzert aus der Carnegie Hall in New York nachgespielt. Diesmal fühlte ich mich männlich, stark, beinahe aggressiv. Ich hatte den Eindruck, ich sei mehr Frank Sinatra als Judy Garland – und ich bin nicht einmal Fan von ihm.
Woran lag das?
Daran, dass ich mich in meinen Vierzigern befand und Verantwortung übernommen hatte. Ich war nicht mehr die gebrochene, tragische Judy-Figur von einst. In den Jahren zwischen beiden Konzerten war ich Vater einer Tochter geworden, hatte meinen Freund geheiratet. Das waren fundamentale Einschnitte.
Was hat sich dadurch verändert?
Als Vater eines Kindes müssen Sie Ihr Ego vergessen und sensibel und fürsorglich sein, als Ehemann treu und mitfühlend. Das sind sehr positive Eigenschaften, die nicht immer einfach aufrechtzuerhalten sind. Früher handelte ich eher nach der Kehrseite dieser Medaille: wollte nie erwachsen werden, dachte nur an mich und besass nicht immer den nötigen Takt in bestimmten Situationen.
Männern lässt man das eher durchgehen, oder?
Ja, Mädchen sind gezwungen, schneller erwachsen zu werden, weil sie um mehr Dinge kämpfen müssen als Jungs.
Mittlerweile haben Frauen die Popwelt übernommen: Billie Eilish, Taylor Swift, Lady Gaga. Sind die Männer aus diesem Paradies vertrieben?
Es gibt ja noch Harry Styles – der allerdings nicht denselben Ikonenstatus wie die Frauen geniesst. Aber wo bleibt jemand vom Kaliber Michael Jacksons? Ich verehre Billie Eilish, mir gefällt ihre Haltung, wie sie trotz ihres jungen Alters die Kontrolle über ihre Karriere behält. Mir fehlt bei ihr bloss eines: die brillanten Songs für die Ewigkeit, die mit Stücken aus einer Oper mithalten können.
Gehören diese Sängerinnen überhaupt zu Ihren Heldinnen?
Vor einigen Wochen habe ich drei Konzerte aufgenommen. Zu den Gästen im Publikum zählten tolle Frauen wie Anjelica Huston oder Jessica Chastain, aber am meisten habe ich mich gefreut, dass Burt Bacharach und Mike Stoller gekommen waren. Beide sind Songschreiberlegenden, Letzterer hat «Is That All There Is» für Peggy Lee geschrieben, ein tolles Lied. Zu diesen Menschen schaue ich auf. Wenn Sie so wollen, setze ich meine Chips auf ihre Felder. Die Wettchancen stehen im Moment gegen mich, aber auf lange Sicht hoffe ich, mit dieser Strategie Erfolg zu haben.
Joni Mitchell sagte einmal, dass unsere Kultur eine romantische Sucht nach Unsicherheit fördern würde: «Ob man sich mit dem Objekt seiner Begierde je ver-eint oder nicht, ist der Rausch, an dem die Menschen hängen.» Galt das auch für Ihre jungen Jahre?
Höre ich mir meine alten Lieder an, spüre ich, dass es für den jungen Rufus immer etwas Besseres gab, das um die Ecke lauerte. Die Türen der U-Bahn schlossen sich gefühlt in jenem Moment, in dem ich gerade hinaustreten und auf meine wahre Liebe zugehen wollte. Es gab eine Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, die nie erfüllt werden konnte. Doch heute ist mein Leben von einem anderen Gefühl bestimmt: Hast du die Liebe deines Lebens gefunden, musst du damit rechnen, sie eines Tages zu verlieren. Spätestens der Tod wird sie dir nehmen.
Macht Ihnen das Angst?
Es bringt mich jedenfalls durcheinander. Ich erinnere mich an einen frühen Film von Woody Allen. Da spielte er einen frisch Verliebten, einen total glücklichen Menschen, der mit einem Mal ausrief: Moment mal, ich werde eines Tages sterben? Diese Erkenntnis ist schon beängstigend. Sie korrespondiert auch mit einer künstlerischen Sorge, die mich umtreibt. In letzter Zeit finde ich, dass es mir besser geht als je zuvor. Ich bin gesund, meine Stimme ist kräftig, ich habe eine weltweite Karriere, doch was kommt danach? Der Vorhang geht langsam runter. Und dann befällt mich eine neue Traurigkeit.
«Hast du die Liebe deines Lebens gefunden, musst du damit rechnen,
sie eines Tages zu verlieren. Spätestens
der Tod wird sie dir nehmen»
Jagt Ihnen als Romantiker auch die moderne Dating-Kultur Angst ein?
Vor 15 Jahren war ich noch Single, es gab keine Smartphones, der Schatten von Aids hing über uns Schwulen. Wenn man jemanden kennenlernen wollte, musste man aus dem Haus gehen, Menschen in Echtzeit treffen, man hatte eine tolle oder nicht so tolle Zeit. Aber es gab immer den Ruch des Riskanten. Heute ist es leichter, jemanden über Apps kennenzulernen, und sicherer, weil es Medikamente zur HIV-Vorsorge gibt. Ich finde das grundsätzlich befreiend. Allerdings habe ich das Gefühl, das Dating frisst viel mehr Zeit. Weil die Technologie so schnell und die Belohnung greif barer ist, hat sie einen hohen Suchtfaktor. Ich kenne Menschen, die On-linedating depressiv gemacht hat. Es gibt keine Tiefe, keine Geschichten mehr dahinter.
Fürchten Sie als Vater einer neunjährigen Tochter bereits um ihre Dates in der Zukunft?
Nein, ich glaube, ihre Generation hat ein anderes Verhältnis zur Technik. Ausserdem freut sie sich, wenn sie Zeit mit mir und meinem Mann verbringt, auf dem Spielplatz ihre Freundinnen trifft oder schwimmen geht. Ich würde mir höchstens Sorgen machen, wenn sie allein in ihrem Zimmer sässe.
Ihren Job als Vater haben Sie einmal so beschreiben: Ihre Tochter zu verwöhnen.
Ich denke nach wie vor, dass das wichtig ist. Wenn ich unterwegs bin, kaufe ich ihr gern Sachen. Wir teilen dieselbe Faszination für Schmuck. Ringe, Armreifen, Broschen, Stirnreife – hat sie alles schon.
Hatten Sie den Wunsch, einmal Vater zu werden, insgeheim schon als junger Mann?
Nein, ich hätte nie gedacht, dass das passieren könnte. Es gab über die Jahre immer wieder Angebote von Frauen, die Kinder mit mir haben wollten. Ich habe mit der Idee gespielt, nahm sie jedoch nie so ernst.
Erst als Ihre Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle, im Sterben lag und Sie dazu aufforderte, änderten Sie Ihre Meinung. Hätte der Rat Ihres Vaters dasselbe Gewicht gehabt?
Nein, wir standen uns nicht so nahe. Meine Eltern haben sich ja getrennt, als ich klein war. Als sich die Gesundheit meiner Mutter verschlechterte, erzählte ich ihr von den Baby-Angeboten und fragte sie nach ihrer Meinung. Sie hat mich auf der Stelle dazu verdonnert, diesen Plan umzusetzen. Sie wusste, dass sie sterben würde, und wollte, dass ich jemanden in meinem Leben hätte, der dieselbe Macht über mich ausübt wie sie. Das kann nur ein Kind erreichen.
Lang lebten Sie in Toronto, Ihre Tochter wohnte bei der Mutter in Los Angeles. Erst als die Sängerin Chrissie Hynde Ihnen auf einer Kreuzfahrt riet, ein guter Vater zu sein, zogen Sie nach Kalifornien. Mögen Sie es, von Frauen Befehle zu erhalten?
Absolut. Ich hätte auch gern eine Frau im Weissen Haus gesehen. Deshalb bin ich traurig, dass Elizabeth Warren ihre Kandidatur für die Demokraten zurückgezogen hat.
Nehmen Sie Ratschläge von Frauen ernster?
Ich bin eher gewillt, ihnen zuzuhören. Ich bin in einem Matriarchat aufgewachsen, meine Mutter hat mich und meine Schwester allein gross gezogen. Daher hatte ich immer einen guten Draht zu Frauen.
Ihr Coming-out verlief allerdings nicht so glatt.
Nein. Meine Mutter entdeckte ein Schwulenmagazin in meinen Sachen, als ich 14 war. Sie war zu Tode verängstigt, die ganze Welt redete damals von Aids. Abends sass sie im Wohnzimmer, ein Glas Scotch in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Sie sagte: «Rufus, bitte sag mir nichts, was ich nicht hören möchte. Du bist nicht schwul, oder?»
«Meine Mutter entdeckte ein Schwulenmagazin in meinen Sachen,
als ich 14 war. Sie war zu Tode verängstigt,
die ganze Welt redete damals von Aids»
Ihre Antwort?
Ich habe Nein gesagt. Ansonsten hätte sie mich aus dem Haus geworfen. Sie war ziemlich streng in dieser Beziehung. Jetzt darf ich das sagen, sie ist vor zehn Jahren verschieden.
Aber doch nicht im Glauben, dass Sie heterosexuell seien?
Als ich 18 war, reisten wir für eine Woche nach Paris. Wir verbrachten einen wunderschönen Tag zusammen, gingen einkaufen, besuchten Museen, tranken Wein. Wir teilten uns ein Hotelzimmer, und als wir abends im Bett lagen, drehte ich mich mitten im Gespräch zu ihr um und sagte: Du liebst mich nicht, weil ich schwul bin. Ich habe sie so sehr in die Ecke gedrängt, dass sie in Tränen ausbrach. Natürlich liebe ich dich, sagte sie, ich habe einfach nur Angst. Am nächsten Tag ging sie in die Kathedrale von Notre-Dame, obwohl sie keine gläubige Frau war. Sie behauptete, Gott hätte dort zu ihr gesprochen: Rufus ist wie jeder andere auch, ein ganz normaler Mensch.