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“Ich will, dass Gott mich mag”

“Ich will, dass Gott mich mag”

  • Interview: Claudia SennFotos: Julian Baumann

Autor Jürgen Schmieder unternahm einen fünfjährigen Selbsterfahrungstrip durch die Religionen. Er hofft, dass Gott ihn jetzt mag.

Der nur mässig religiöse Jürgen Schmieder wollte ein besserer Mensch werden. Nicht bloss Freunde und Familie, auch Gott sollte mit ihm zufrieden sein. Aber wer ist Gott? Und wenn ja, wie viele? Fünf Jahre lang testete Schmieder unzählige Religionen im Selbstversuch.

annabelle: Jürgen Schmieder, Sie haben fünf Jahre lang alle möglichen Religionen ausprobiert. Wie kommt man auf so eine abgefahrene Idee?
Mit Mitte zwanzig hatte ich eine Krise. Das Studium war vorbei, jetzt wurde das Leben langsam ernst. Ich fragte mich, was aus mir werden soll. Und ich dachte zum ersten Mal darüber nach, dass mein Leben nicht ewig dauern wird. Ehrlich gesagt hielt ich mich für keinen besonders guten Menschen. Von den berühmten sieben Lastern – Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit – war mir keines fremd. Nie und nimmer würde ich einen Platz im Himmel kriegen, viel eher sah ich mich im mittleren Management beim Teufel. Ich wollte aber unbedingt, dass Gott mich mag.

Hätte dafür eine einzige Religion nicht gereicht?
Möglicherweise schon. Doch welche? Was, wenn ich zum Beispiel als Christ lebe und am Tag meines Todes merke, dass ich aufs falsche Pferd gesetzt habe und der Buddhismus die richtige Religion ist? Ich habe Wirtschaft studiert und bin dem logischen Denken zugetan. Deshalb wollte ich versuchen, bei möglichst vielen Religionen einen Stein im Brett zu haben, um meine Chancen auf Erlösung zu erhöhen.

Wie sind Sie beim Religionentest vorgegangen?
Das erste Jahr habe ich in jeder freien Minute gelesen. Insgesamt waren das zwei- bis dreihundert Bücher, darunter die heiligen Schriften sämtlicher Weltreligionen. Die meisten Menschen kennen ja nur die besonders schönen oder grausamen Passagen. Ich wollte auch über den Rest Bescheid wissen. Es sind schöne Bücher, aber sie stecken auch voller Mord und Totschlag. Und beinah überall findet sich ein haarsträubendes Frauenbild. Raten Sie mal, woher das folgende Zitat stammt: «Eine Frau soll sich still und in aller Unterordnung belehren lassen. Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht.» Nein, nicht aus dem Koran. Aus der Bibel.

Im Anschluss an das Lektürestudium haben Sie sich mit Gläubigen aus der ganzen Welt getroffen und nach ihren Regeln gelebt. Muslime, Juden, Buddhisten, Yoga-Anhänger – überall haben Sie angeklopft, sogar bei den Scientologen. Sind Sie denn auch überall freundlich empfangen worden?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich fand zwar in jeder Religion nette Menschen, doch oft wurde ich auch beschimpft, von oben herab behandelt oder bekam am Ende sogar gesagt, ich würde in der Hölle schmoren. Das war manchmal sehr deprimierend. Selbst viele von den netten Gläubigen – manche davon hohe Würdenträger – wurden während des Gesprächs plötzlich arrogant, wenn sie merkten, dass ich mich auch für andere Religionen interessierte. Sie waren persönlich beleidigt, weil sie wohl gehofft hatten, mich zur einen, angeblich richtigen Lehre bekehren zu können.

Um ein besserer Mensch zu werden, baten Sie Ihre Freunde, Sie auf Ihre Schwächen aufmerksam zu machen. Haben Sie da nicht mehr erfahren, als Ihnen lieb war?
Ja, das war hart. Trotzdem war es sehr wichtig für mich, diesen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Was mich am meisten getroffen hat, war der Vorwurf, ich sei nachtragend und rachsüchtig. Ich würde mir zum Beispiel merken, wer mir vor zwei Jahren nicht beim Umzug geholfen habe und dieser Person dann auch nicht helfen. Eine Woche lang war ich total beleidigt. Ich und nachtragend – das sollte wohl ein Witz sein! Als ich es mir schliesslich doch eingestehen konnte, hatte ich ein richtig schlechtes Gewissen. Ich musste wirklich ganz dringend lernen, besser zu verzeihen. Vergebung ist ja gerade im Christentum ein Riesenthema.

Deshalb forderten Sie Ihre Freunde und Bekannten auf, Ihnen alles zu beichten, was sie Ihnen jemals angetan hatten – mit Garantie auf Vergebung. Ist es Ihnen denn wirklich gelungen, alles zu verzeihen?
Mehr schlecht als recht. Die kleinen Sünden waren nicht das Problem. Ein Freund zum Beispiel schrieb mir, er würde gern mal mit meiner Frau schlafen. Das fand ich nicht so schlimm, schliesslich hatte er seinen Wunsch nicht in die Tat umgesetzt. Bei krasseren Geständnissen habe ich mich aber mehrmals dabei ertappt, dass ich dem Sünder zwar versicherte, ich würde ihm verzeihen. Doch insgeheim dachte ich: Du blödes Arschloch! Niemals werde ich dir das vergeben!

Worum ging es da?
Einer wollte mich mal verprügeln lassen von einem Schlägertrupp. Ein anderer gestand mir, er habe vor Jahren verhindert, dass ich einen Job bekomme, den ich unbedingt haben wollte. Und eine Ex-Freundin schrieb mir, dass sie in der Zeit unserer Beziehung mehrmals fremdgegangen sei. Das hat mich kolossal schockiert! Hätte ich das damals erfahren, ich hätte für nix garantieren können. Auch im Nachhinein war ich in meinem Stolz gekränkt. Der Satz «Ich verzeihe dir» ist schnell ausgesprochen. Aber das dann auch wirklich zu vollziehen, das ist eine andere Geschichte.

Als Nächstes übten Sie sich in Barmherzigkeit. Sie plünderten Ihr Girokonto und gaben den gesamten Betrag für wohltätige Zwecke aus. Was hat eigentlich Ihre Frau dazu gesagt?
Erst war sie sauer. Immerhin handelte es sich um fast 2000 Euro. Doch Hanni ist eine coole Frau. Sie hat gleich verstanden, dass es nicht darum geht, Geld aus dem Fenster zu werfen, sondern anderen damit zu helfen. Ausserdem war die Miete ja bereits bezahlt. Und Hanni war diejenige, die entscheiden durfte, wohin das Geld fliesst. Unsere Abmachung war, dass sie den Betrag verteilt, ohne mir zu sagen an wen.

Wie hat es sich angefühlt, so viel Geld zu verschenken?
Am Anfang sehr gut. Es war aufregend, ich hatte richtig Gänsehaut. Eine Woche später kamen mir plötzlich Zweifel. Ich dachte, spinnst du jetzt total? Hätte die Hälfte nicht auch gereicht? Ich hätte auch gern ein Dankeschön oder eine Belohnung für meine gute Tat gekriegt, und sei es bloss ein Foto von einem Kind in der Dritten Welt, das vor dem mit meinem Geld gebauten Brunnen steht. Aber ich wusste ja nicht mal, wo das Geld gelandet ist. Das war im Nachhinein ein bisschen unbefriedigend.

Ihre Grossspende blieb nicht die einzige drastische Massnahme auf dem Weg zum besseren Menschen. Sie beschafften sich auch ein Elektroschockgerät, das eigentlich für die Erziehung von Hunden gedacht ist, und baten Ihre Frau, Ihnen jedes Mal einen Stromstoss zu verpassen, wenn Sie egoistisch handelten oder Schimpfwörter benutzten. Haben Sie ein Trauma davongetragen?
Es waren ja nur ganz leichte Stromstösse. Die Absicht dahinter war, dass mich jemand ganz direkt darauf hinweist, wenn etwas falsch läuft. Meine Mama machts beim Hund mit einer Wasserpistole. Ich dachte, so was brauche ich auch. Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, wie viele Schimpfwörter ich pro Tag verwende, hätte ich geschätzt: zehn. Und dann war ich schon mittags bei zwanzig angelangt. Da merkt man erst, wie oft man sich danebenbenimmt! Ich habe dann versucht, mich zu ändern, und erstaunlicherweise klappte das auch. Irgendwann hat mir meine Frau das Gerät wiedergegeben und gesagt: Du hast dich echt gebessert.

Gab es keine Rückfälle?
Von Zeit zu Zeit. Dann sagte Hanni: Gib mir den Schocker wieder. Du brauchst mal wieder ein paar mit dem Ding!

Mit welcher Religion können Sie sich besonders gut identifizieren?
Die Basis meines Glaubens ist nach wie vor das Christentum. Ich lese aber auch im Koran und meditiere nach buddhistischer Lehre. Speziell angefreundet habe ich mich mit dem Taoismus. Eine sehr sympathische Religion – besonders als Gegensatz zum Katholizismus. Dort hört man ja in jeder Predigt: Ihr seid Sünder, tut Busse, kehrt um – man fühlt sich immer so niedergemacht. Im Taoismus hingegen heisst es: Wir sind alle in Ordnung, und zwar genau so, wie wir sind. Es geht darum zu ändern, was man ändern kann, und den Rest gleichmütig hinzunehmen, die Dinge auch mal laufen zu lassen, Einklang statt Beherrschung. Das hat mir eine ganz neue Sicht aufs Leben eröffnet.
Weitere bahnbrechende Erkenntnisse?
Zum einen habe ich gemerkt, wie falsch das Image vieler Religionen ist. In Westeuropa hält man den Islam für eine ernsthafte Bedrohung. Das kann ich jetzt, wo ich so viel darüber weiss, überhaupt nicht mehr verstehen. Umgekehrt schreibt man zum Beispiel dem Buddhismus viele positive Eigenschaften zu und hält seine Anhänger per se für friedfertig. Buddhistische Mönche können aber genauso fies sein wie jeder andere auch. Meine zweite grosse Erkenntnis ist, wie minimal sich die Religionen eigentlich unterscheiden. Jede Religion verdammt das Töten, Lügen, Stehlen. Jede Religion glaubt, dass es nach dem Tod weitergeht, und hofft, dass dann etwas Besseres kommt. Jede heilige Schrift kennt die goldene Regel: Behandle andere Menschen so, wie du selbst von ihnen behandelt werden möchtest. Zu 95 Prozent glauben wir also alle dasselbe. Deshalb ist es überhaupt nicht einzusehen, warum wir uns wegen der restlichen fünf Prozent die Köpfe einschlagen.

Einmal erlebten Sie einen Zustand, den Sie als «Moment der Ekstase» bezeichnen. Was ist da genau passiert?

Ich hatte so vieles probiert: Floating im Salzwassertank, Yoga bei 38 Grad Raumtemperatur, Rückführung in frühere Leben, Gebet. Und dann war ich eines Abends einfach bloss im Bett. Mein kleiner Sohn lag auf meiner Brust und atmete mir ruhig ins Ohr – und plötzlich: «Swuuuuuuusch!» Ich fühlte mich, als würde ich fallen und schweben zugleich. Mir war ein wenig schwindlig, so, als hätte ich einen zu tiefen Zug von einem Joint genommen. Ich hatte keine Erleuchtung oder so was. Ich war nur vollkommen tiefenentspannt. Ich dachte an nichts. Ich war im Nichts. Es war ein bombastischer Moment – der bisher schönste meines Lebens!

Sind Sie jetzt ein besserer Mensch?
Das müssen Sie meine Frau fragen. Ich selbst würde es mir nie anmassen, das zu beurteilen. Ich bin ja erst 32, die Suche ist noch nicht vorbei. Aber ich bin definitiv ein anderer Mensch. Ich habe viel über das Leben gelernt. Ich selbst mag mich nun besser, also hoffe ich, dass auch Gott mich mag. Und ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Es ist jetzt eher Neugier: Werde ich wiedergeboren? Gehts in den Himmel? Ist es ganz vorbei? Oder ziehe ich – wie die Taoisten glauben – in den ewigen Strom des Lebens ein, so schön und so glücklich wie am besten Tag meines Lebens? Ich bin da echt gespannt drauf.



Der Selbstversucher

Jürgen Schmieder (32) arbeitet als Redaktor und Sportreporter bei www.sueddeutsche.de und der «Süddeutschen Zeitung». Das Religionsexperiment ist nicht sein erster Selbstversuch. Zuvor testete er mit derselben Akribie Abspeckmethoden von der Bierdiät bis zum Strip-Aerobic. Aus diesen Erfahrungen entstand sein erstes Buch «Mein Bauch gehört mir». Es folgte «Du sollst nicht lügen», für das er vierzig Tage lang nichts als die Wahrheit sagte (was ihn beinah seine Ehe und sehr viel Geld kostete). Eben erschienen ist «Ich will in den Himmel oder als glückliche Kuh wiedergeboren werden» (Verlag C. Bertelsmann, 368 Seiten, ca. 25 Franken), für das er ernsthaft, ohne Vorurteile, mit Respekt und viel Selbstironie zahllose Religionen im Selbstversuch prüfte. Auch für Atheisten lesenswert! Jürgen Schmieder lebt mit Frau und Sohn in München.