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«Ich war ziemlich weltfremd»

«Ich war ziemlich weltfremd»

  • Text: Jacqueline Krause-Blouin; Fotos: Christoph Köstlin

Yvonne Catterfeld wurde als Sängerin nie ernst genommen – obwohl sie Potenzial hat. Schuld sind falsche Entscheidungen und schlechte Ratgeber. Doch jetzt weiss sie es besser. Oder? Eine Begegnung in Berlin.

Bereits 2008 sprach die «Zeit» von der «Emanzipation der Yvonne C.» – Yvonne Catterfeld, damals 28, Soapstar, Popprinzessin, «Bravo»-Postergirl, wollte endlich als das gesehen werden, was sie in ihren eigenen Augen wohl immer war: eine grosse Künstlerin. Vielleicht die Romy Schneider ihrer Generation, vielleicht auch ein bisschen Marlene. Sie wollte mutig sein, sich «freischwimmen», wie sie betonte, und sich aus Mainstream-Fesseln lösen. Zu sehr fühlte sie sich eingeengt und missverstanden.

Begonnen hatte das Drama der Yvonne C. sieben Jahre zuvor. 2001 unterschrieb Catterfeld, 21 Jahre alt, aus Erfurt, Vater Industrieschweisser, Mutter Gymnasiallehrerin, einen Vertrag bei «Gute Zeiten, schlechte Zeiten», der RTL-Daily-Soap, in der immer alle frühstücken, und versorgte fortan als Julia Blum die Zuschauer mit First-World-Problemen. Eines Tages merkte vermutlich ein gewiefter Produzent, dass Catterfeld auch singen kann – und liess ihre Rolle in GZSZ umschreiben. Julia Blum hatte daraufhin die Ambition, Sängerin zu werden. 2003 brachte Yvonne Catterfeld, unterstützt von täglicher TV-Präsenz, ihre erste Single in Zusammenarbeit mit Dieter Bohlen auf den Markt, «Für dich», ein Hit. Ihr darauf folgendes Album «Meine Welt» hielt sich 33 Wochen in den deutschen Charts. Bald liess sich Catterfeld im Zuge ihres popkulturellen Siegeszugs für Männermagazine ablichten, lächelte von sämtlichen TV-Programmzeitschriften und trat bei «The Dome» auf.

Hätte sich dieses Schauspiel in den USA abgespielt, wäre es vielleicht ein Märchen mit Happy End geworden. In Hollywood liebt man Disney-Kids, wie etwa Selena Gomez, die erwachsen werden, man lässt sie sogar zu ernst zu nehmenden Künstlern reifen. Deutschland ist aber nicht die USA. In Deutschland gilt, was auch hierzulande gilt: einmal Soapstar, immer Soapstar, einmal Bohlen, immer Bohlen. Es gibt nur wenige Beispiele, denen der Ausbruch aus der Mainstream-Falle gelungen ist. Auf Anhieb fällt einem keines ein.

Yvonne Catterfeld jedoch wollte 2005 das Unmögliche wagen, sie stieg bei GZSZ aus und trennte sich von ihrer langjährigen Managerin, die sie daraufhin verklagte. Sie wolle eben neue Wege gehen, meinte Catterfeld in Interviews. Doch irgendwie klang dies schon damals in etwa so glaubhaft, wie wenn eine 50-jährige Hollywoodschauspielerin in die Kamera säuselt, dass sie sich noch nie in ihrem Leben so schön gefühlt habe und dass Altern im Filmbusiness der grösste Segen überhaupt sei. Denn was tat Catterfeld mit der vermeintlich neu gewonnenen Freiheit? Arthouse-Filme produzieren? New-Wave-Platten aufnehmen? Nein, sie drehte Filme wie «Keinohrhasen», «Hexe Lilli. Der Drache und das magische Buch», übernahm die Hauptrolle in der ARD-Vorabend-Telenovela «Sophie. Braut wider Willen» und kuschelte öffentlichkeitswirksam mit Wayne, dem Sohn von Schlagersänger Howard Carpendale. Für die Major-Plattenfirma Sony BMG veröffentlichte sie die Alben «Unterwegs» und «Aura». Sie hatte zwar eine Stimme, eine fantastische dazu, sang damit aber lediglich banale Phrasen wie «Unsre Gefühle sind so schön, doch tun sie uns oft weh».

Wer erwartet hatte, dass Catterfeld nach dem Bruch mit ihrer manipulativen Managerin, die sich angeblich sogar erdreistet hatte, ihr Vorschriften über ihr Liebesleben zu machen, einen selbstbestimmten Weg einschlagen würde, wurde jedenfalls eines Schlechteren belehrt. Statt den proklamierten grossen Schritt in die Freiheit zu tun, begab sie sich in neue Abhängigkeiten, wieder Major-Plattenfirmen, wieder deutsche Trash-Privatsender. The Road is long. «Mein Problem war immer, dass ich unter meinen Möglichkeiten geblieben bin», wird sie später im Interview nachdenklich preisgeben.

Und nun setzt Yvonne Catterfeld, inzwischen 37 Jahre alt, also neuerlich zum «radikalen Befreiungsschlag» an. Diesmal hat sie ihre eigene Plattenfirma gegründet, trägt mit einem Geschäftspartner das komplette finanzielle Risiko. Die passende Geschichte für die Journalisten klingt so: Frei sei sie jetzt. Endlich und zum ersten Mal. Komplett unabhängig, befreit aus der Zeit der Gefangenschaft. Entsprechend heisst auch ihr neues Album «Guten Morgen Freiheit». Tolle Story. Allerdings auch so ziemlich genau die Pointe, die der Mainstream von einer 37-jährigen Popsängerin, die vor drei Jahren ihr erstes Kind bekommen hat, erwartet: ankommen.

Wir treffen Yvonne Catterfeld in einer Altbauwohnung in Berlin-Mitte. Auch dies: total passend. Am Klingelschild klebt, lieblos angebracht, ein Sticker mit der Aufschrift «Veritable Records». Veritable heisse «wahr, echt und in der französischen Übersetzung sogar beziehungslos und unabhängig», sagt Catterfeld.

annabelle: Yvonne Catterfeld, wie fühlt sich das an, wenn Sie heute auf Ihre Popstarzeit zurückblicken?
Yvonne Catterfeld: Popstarzeit! (kreischt) Bei diesem Wort zucke ich richtig zusammen! Dass Leute angefangen haben zu weinen und ich von jedem angesprochen wurde, war schwer für mich. Ich war damals jeden Tag im Fernsehen zu sehen und wurde von Fremden behandelt, als ob sie mich seit Jahren kennen. Das war mir zu nah. Ich habe sogar Morddrohungen bekommen und bin nicht mehr ins Kino gegangen, weil es mir unangenehm war.

Hat Sie diese Zeit misstrauisch gemacht?
Ich habe mir hart erkämpft, dass ich heute ein relativ normales Leben führe. Trotzdem laufe ich auch heute noch eher in mich gekehrt durch die Strassen und erwische mich dabei, wie ich Blickkontakt vermeide. Ich fordere die Leute nicht heraus, mich zu erkennen, bin in der Öffentlichkeit verschlossen. Das ist schade, weil ich eigentlich ein Mensch bin, der gern beobachtet.

Sie haben sich im Lauf Ihrer Karriere von diversen Plattenfirmen, Managern, Produzenten getrennt. Welches war der schwierigste Bruch?
Der allerschwierigste, weil auch unschönste Bruch war die Trennung von meiner Managerin 2005. Gleichzeitig war es aber auch der allerwichtigste Schritt für mich. Als ich mich von ihr trennte, war ich 25, eigentlich ein gutes Alter, um mündig zu sein, aber davon war ich weit entfernt. Ich war ziemlich weltfremd und musste sehr viel neu lernen.

Ihre Trennung von Dieter Bohlen hat die Öffentlichkeit als Affront verstanden. Warum war das so emotional?
Ich hatte genau drei Tage mit ihm gearbeitet und war trotzdem für immer das Bohlen-Mädchen. Das macht mich schon wütend. Ich habe ja auch mit Xavier Naidoo, Laith al-Deen oder Max Herre gearbeitet, aber das wurde nirgendwo geschrieben. Ich finde das unehrlich.

Yvonne Catterfeld spricht bedacht, lächelt oft und nickt verständnisvoll, wenn man Fragen stellt. Sie trinkt heisses Zitronenwasser. Ursprünglich hat sie Jazz am Konservatorium Leipzig studiert, kam musikalisch aus einer komplexeren Welt. Umso mehr lässt einen die Frage nicht los, warum sie ausgerechnet eine der grössten Mainstream-Karrieren der neueren deutschen Popgeschichte hingelegt hatte. Warum hat eine, die eine grosse Künstlerin sein will, sich immer wieder für den Kommerz und gegen die Kunst entschieden? Sehnsucht nach Anerkennung? Die Verheissung aufs grosse Geld? Angst davor, Nein zu sagen?

Warum haben Sie überhaupt mit Dieter Bohlen zusammengearbeitet? Sie kamen doch musikalisch gar nicht aus der Pop-Ecke.
Keine Ahnung. Ich frage mich das auch manchmal. Es gab einen Vertrag mit der Plattenfirma, und man sagte mir: Versuch es doch wenigstens mal. Das habe ich dann getan – und gemerkt, dass es nicht funktioniert. Wir waren zu verschieden und haben einen ganz unterschiedlichen Musikgeschmack. Ich bin viele Umwege gegangen, um zu merken, was ich will und was ich brauche.

Ihre Zeit bei «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» bereuen Sie nicht?
Nein, aber ich würde jedem, der eine ernsthafte Schauspielerkarriere anstrebt, raten, so eine Rolle nicht anzunehmen. Weil ich weiss, dass es immens schwer ist, vom Soapstar-Image loszukommen. Es steht heute noch unter meinen Bildern in der Presse «Ex-GZSZ-Star», obwohl es 16 Jahre her ist und ich um die drei Dutzend Filme gemacht und sieben Alben aufgenommen habe. Es gibt einige Journalisten, die unbedingt mein altes Image aufrechterhalten wollen. Ich möchte die Zeit in guter Erinnerung behalten, aber nicht darauf reduziert werden.

Finden Sie, die Medien berichten über Frauen in der Showbranche kritischer?
Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.

Ach, kommen Sie! Immerhin wurden Sie zu Ihrem 30. Geburtstag über Schönheits-OPs befragt. Als Sie ein Duett mit Udo Lindenberg aufgenommen hatten, hat man Sie lediglich gefragt, ob er Sie angebaggert habe.
Es stimmt schon, es geht leider weniger um Inhalte bei Frauen, sondern um Oberflächlichkeiten. Natürlich ist es mir aufgefallen, dass Männern in Interviews öfter andere Fragen gestellt werden. Auf dem roten Teppich ist das für mich okay, aber wenn eine Frau nur auf Klischees oder ihr Äusseres reduziert wird, ist das ärgerlich.

Man darf Ihnen vorwerfen, dass bestimmte Karriereentscheidungen, die Sie selbst getroffen haben, zu Ihrem oberflächlichen Image beigetragen haben.
Ja, bei manchen Songzeilen weiss ich heute auch nicht mehr, was damals für eine Motivation dahintersteckte.

Platte Songzeilen sind das eine. Möchte man jedoch noch etwas tiefer bohren in dieser offensichtlichen Wunde und bringt – apropos Eigenverantwortung – etwa die Fotoshootings für einschlägige Männermagazine wie «Maxim» ins Spiel, weicht Yvonne Catterfeld aus. Sie habe kein Vertrauen in ihre innere Stimme gehabt, meint sie. Doch damit sei jetzt Schluss. Man möchte ihr gern glauben – auch weil man ihr Bemühen sogar sehen konnte, zum Beispiel in TV-Sendungen wie «Sing meinen Song», wo sie 2015 ihre musikalischen Facetten unter Beweis stellte. Oder bei «The Voice», wo sie ein empathisch-kompetentes Jurymitglied abgab. Trotzdem fragt man sich, warum Xavier Naidoo in «Sing meinen Song» wie eine Art Mentor-Onkel für Catterfeld aufgetreten ist und sie wie die zaghafte Schülerin, die noch ganz viel zu lernen hat. Dabei kennt Catterfeld die Untiefen des Musikbusiness doch mindestens genauso gut wie er. Naidoo hat seine erfolgreichste Platte nur ein paar Jahre vor ihrer veröffentlicht, beide waren in den Nullerjahren tonangebend in der deutschen Hitparade. Obwohl Yvonne Catterfeld es nicht nötig hätte, belehrt zu werden, vermittelt sie stets das Gefühl, mit grossen Augen zu ihm aufzuschauen, von ganz viel weiter unten.

Vor über zehn Jahren sprach man bereits von Ihrer Emanzipation – das scheint ja ein langer Prozess zu sein.
Damals war es Freischwimmen, jetzt ist es Freisprengen, sage ich Ihnen! (lacht) Heute geht es mir gar nicht unbedingt darum, das zu machen, was ich will. Sondern darum, das nicht zu machen, was ich nicht will.

Also werden wir in fünf Jahren nicht wieder hier sitzen und über Ihre Freiheitssuche sprechen?
Nein, das glaube ich nicht. Das Thema ist durch.

Vielleicht zeigt uns niemand so gut auf wie Catterfeld, dass wir es uns in Sachen Popkultur mit unserem Schubladendenken oft zu einfach machen. Weibliche Popstars, die auch noch umwerfend aussehen, haben es noch immer schwer, in der Öffentlichkeit als glaubhafte Künstlerinnen wahrgenommen zu werden. Der Abgleich stimme nicht, sagt Yvonne Catterfeld. «Da ist eine grosse Kluft zwischen dem, was ich bin, und dem, was die Leute denken, dass ich bin. Man merkt, dass Menschen Vorbehalte haben, wenn sie mich noch nicht kennen.» Und es stimmt, es gibt hier diverse Klüfte zu überwinden – der Abgleich zwischen der Person, die man aus dem Fernsehen kennt, und der Frau, die einem gegenübersitzt, stimmt nicht. Aber auch der Abgleich zwischen der Person, die im Interview rührend ehrlich reflektiert, die einen am Ende zart umarmt, sich dafür bedankt, dass man sie ernst genommen habe, passt nicht zu der Frau, die im Nachhinein jedes ihrer Worte autorisieren will, Gesagtes zurücknimmt und nachträglich schriftlich Binsenweisheiten ins Interview einfügt. Wäre die wahre Freiheit nicht Leichtigkeit im Umgang mit der Meinung der anderen?

Womöglich brauchten die Zuschauerinnen und Zuhörer einige TV-Shows, in denen sie den Menschen Yvonne Catterfeld kennen lernen konnten. Doch nun scheint man allgemein bereit zu sein, noch einmal genauer hinzusehen und sein Bild gegebenenfalls zu relativieren. Aber ist es Catterfeld selbst? Wie ernst meint sie es mit dem erneuten Neuanfang, dem Ausbrechen aus der Komfortzone? Womöglich stimmt eben auch der Abgleich mit dem, was sie denkt zu tun, und dem, was sie tatsächlich tut, noch nicht. Zum Beispiel, wenn Yvonne Catterfeld von ihrem neuen Album spricht, als hätte sie da gerade eine radikale Punkrockplatte gemacht, obwohl es sich um gefällige Popmusik handelt. Gute Popmusik, daran ist nichts falsch.

Yvonne Catterfeld ist kein Mäuschen, das jeden Moment Angst davor haben muss aufzufliegen, weil sie lediglich wie gemalt aussieht. Sie kann Texte schreiben, sie vermag mit ihrer Stimme zu berühren, ist eine gute Schauspielerin, ja sogar eine unterschätzte. Aber das Problem der Yvonne C. ist, dass sie sich das offenbar selbst nicht glaubt. Es ist wie in der letzten Szene von «Die Reifeprüfung». Elaine und Benjamin sind geflüchtet, sitzen gemeinsam im Linienbus in die Freiheit, doch dann der Moment des Realisierens: keine Ahnung, was jetzt kommt. Manche befreit das, manchen macht das einfach nur Angst, weil sie Freiheit nur als Schreibtischkonzept kennen. Yvonne Catterfeld jedenfalls scheint sich noch immer missverstanden zu fühlen. Letztlich kann man sie eben doch nur auf die Klippe begleiten. Springen muss sie allein.

Yvonne Catterfeld: Guten Morgen Freiheit (Veritable Records/Rough Trade) Live: 30. März, Theater 11, Zürich

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«Ich habe mir hart erkämpft, dass ich heute ein relativ normales Leben führe»: Yvonne Catterfeld