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«Ich suche Anonymität»

«Ich suche Anonymität»

  • Text: Jacqueline Krause-Blouin; Foto: Kat Huber

Evelinn Trouble (29) hat mit 18 ihr erstes Album veröffentlicht und ist heute eine feste Schweizer Musikgrösse. Ihrer Vision ist sie immer treu geblieben – auch als sie 2012 am absoluten Tiefpunkt angelangt war. Denn Aufgeben ist keine Option.

Erst sagt sie ganz ab. Dann sagt sie, sie sei zu spät. So drei Stunden – «furchtbare Schmerzen». Dann taucht sie auf einmal doch kurz nach der ursprünglich vereinbarten Uhrzeit auf: ein Hoch auf die Schmerztablette! Spielen wir mal kurz Küchenpsychologin: Irgendwie passt dieser verkorkste Interviewbeginn zum nicht eben linearen Lebensweg der Linnéa Racine alias Evelinn Trouble. Wir treffen die Musikerin in einem Café in Berlin-Kreuzberg, wo Trouble derzeit lebt. Mehr oder weniger zumindest. Eine eigene Wohnung hat sie jedenfalls nicht und kommt deshalb aus dem WG-Zimmer «eines Freundes». Seit September 2016 befindet sie sich mehrheitlich in der deutschen Hauptstadt, das habe sich so ergeben («Mir wurde damals ein Zimmer angeboten, deswegen bin ich halt geblieben.»). Und nun weiss sie nicht, ob sie bleiben soll, und hängt mal wieder zwischen den Städten wie schon so oft in ihrem Leben. London, Berlin, Zürich und dann noch das Tourleben: Ja, die 29-Jährige ist eine Pop-Nomadin, zieht von Ort zu Ort, ständig auf der Suche – wonach ist längst zur Nebensache geworden. Auf ihrem geografischen Lebensweg scheint sie sich etwas verirrt zu haben, aber wenn es um die Musik geht, weiss sie umso genauer, wo es hingehen soll. Mit dieser Einstellung ist sie eine der wenigen Figuren in der Schweizer Musiklandschaft, die ihrer Vision stets treu bleiben und sich nicht – um des kommerziellen Erfolgs willen – verbiegen. Allerdings hat sie zuweilen auch einen hohen Preis dafür zu zahlen.

annabelle: Evelinn Trouble, was hat die Schweiz, das Sie immer wieder anzieht, und was, das Sie immer wieder abstösst?
Evelinn Trouble: Wenn ich weg bin, bedaure ich, dass ich in keinen sozialen Kontext eingebunden bin. Dann komme ich nach Zürich zurück, wo man mich kennt, wo ich sofort Konzerte spielen kann. Und merke: Ach, das ist ja genau das – dieses Jeder-kennt-Jeden, jeder hat ein Bild von dir – vor dem ich geflüchtet bin! (das Wort «geflüchtet» benutzt sie öfter in unserem Gespräch). Zum Glück habe ich in Zürich gute Freunde, bei denen ich frei bin, die mich nicht verurteilen, die vermisse ich manchmal sehr. Die Vertrautheit im Umgang, die man zuhause hat, findet man nirgendwo sonst. Aber nirgendwo ist es perfekt. In Zürich geht es einem zu gut, und ich finde nun mal, dass ein Musiker bluten muss.

Begeben Sie sich also bewusst in eine Position der Unsicherheit, um kreativer zu sein?
Zum Schreiben ist es definitiv gut, isoliert zu sein, aber ich versuche, eine Balance zu finden. Mein Idealzustand wäre, vogelfrei zu sein, zwei Wochen hier, zwei Wochen dort. Aber das geht halt nur, wenn man gut drauf ist, viel Energie hat und im Flow ist. Ich bin leider keine Hexe, die so einen Zustand herbeizaubern kann. Ich habe immer gedacht, dass ich vor allem eine Verbindung zu einer internationalen Musikszene suche, mit Leuten, die ein bisschen mehr vom Leben wollen. Das habe ich in London, wo ich drei Jahre gelebt habe, gefunden. Man merkt, dass dort Leute hinkommen, die es wissen wollen, und das stachelt an, selbst Gas zu geben. Aber es hat mich müde gemacht. London ist einsam, teuer, und es fehlt die Solidarität zwischen den Menschen. Weil so viel Energie für dumme Dinge draufgeht: Man wohnt etwa in einem Loch und muss eine Ratte jagen – in der Zeit hätte man so viel Produktives machen können, zum Beispiel Musik! Aber mittlerweile glaube ich sowieso, dass es etwas anderes ist, das ich suche: die Anonymität. Ich möchte nicht in ein System eingebunden sein, weil das immer mit diesen absurden Erwartungen verknüpft ist, die die Leute an einen haben, damit kann ich nicht umgehen.

Haben Sie deshalb Ihre neue EP «Hope Music» mehrheitlich allein produziert?
Ja, ich habe noch nicht die richtige Person gefunden, die mir den kreativen Austausch ermöglicht, den ich suche. Mein erstes Album habe ich auch ganz allein gemacht. Danach habe ich mit einer Gruppe von Menschen gearbeitet, aber es ist wie mit Zürich versus die grosse Welt: Beides ist nicht perfekt. Manchmal denke ich, vielleicht liegt es halt einfach an mir, mer chan nöd de Foifer und s Weggli ha, oder? Wenn ich mit Leuten kooperieren muss, dann muss ich Kompromisse eingehen und das mache ich nicht gerne. Alleine arbeiten ist hingegen sehr anstrengend.

Was ist denn das Schlimmste, das bei einem Kompromiss passieren könnte?
Es gibt Musiker, die machen alles, was man ihnen sagt, und es gibt solche, die ein grösseres Ego haben – das sind oft die Interessanteren –, die arbeiten dafür gegen dich, und das nervt. Ich weiss, wo ich mit meiner Musik hin will, da ist eine starke Zweitmeinung nicht immer gefragt. Ich versuche zum Beispiel seit Jahr und Tag, meine Musik zugänglicher zu gestalten, gerate aber immer an Kreativ-Nerds, die alles nur komplizierter machen. Für die EP habe ich recherchiert, wie man einen einfachen Song schreibt, «how to write a pop radio song», aber eigentlich irritiert es mich, schematisch zu denken. Trotzdem habe ich es zum ersten Mal geschafft, einen Song zu schreiben, der nur drei Akkorde hat, darüber bin ich megahappy.

«Hoffnungsmusik» klingt sehr optimistisch – spielen Sie Cheerleader für sich selbst?
Nein, ich meine das ernst. Ich habe den Song in einem Sog der Euphorie geschrieben. Ich arbeitete damals gerade am Theater, der Frühling kam, ich habe plötzlich angefangen, Sport zu treiben, so eine total doofe Hüpfklasse, aber es hat sich angefühlt, als ob ich eine gewisse Kontrolle über meine Psyche zurückgewinnen würde. Es war ein gutes Jahr, ich bin von London schön nach Berlin rübergeflowt, alles war im Fluss. Leider konnte ich das Gefühl nicht aufrechterhalten. Mittlerweile verstehe ich den Text fast schon wieder sarkastisch.

2012 war Ihre Musik «am Arsch», wie Sie sagen. Was war passiert?
«Television Religion», mein zweites Album, kam damals raus. Es war sehr brachial, dadurch habe ich auch meine Stimme ruiniert. Wir hatten einen furchtbaren Manager, der uns abgezockt hat. Er hat zwar überall gute Gagen rausgehandelt, aber das nützt nichts, wenn die Leute dann nicht kommen. Danach habe ich zwei Jahre lang fast nirgendwo mehr spielen können, weil die Veranstalter dachten, bei Evelinn Trouble kommt das Geld nicht rein. Presse und Feuilleton waren super, aber leider ist das nicht gleichbedeutend mit Publikum. Dann haben wir in einem besetzten Haus in Zürich gespielt und nicht mal unsere Freunde sind gekommen, ein absoluter Tiefpunkt. Und nach dem Konzert bin ich dann auf diesen Zug gesprungen (Anm. d. Red.: Trouble sprang auf einen einfahrenden Zug im Bahnhof Zürich-Hardbrücke. Durch einen Stromschlag erlitt sie schwere Verbrennungen zweiten und dritten Grades, 32 Prozent ihrer Körperoberfläche waren betroffen). Ich war wochenlang im Spital, und die Verbrennungen heilten sehr langsam, ich war ziemlich lädiert. Es war kein Suizidversuch, aber ich dachte, doch, das kann ich wenigstens noch, auf einen Zug springen, da spüre ich was! Und tatsächlich: Für einen Moment hat sich danach eine Grunddankbarkeit eingestellt. Man weiss wieder, wer wichtig ist, was man will, ich hatte plötzlich total viel Energie. Man merkt, dass man eigentlich keine Zeit hat. Aber das geht eben wieder vorbei, und man kann ja nicht ständig auf Züge springen. Aber ich habe gemerkt, dass ich bereit bin, noch mehr für die Musik aufzuopfern.

Muss man in der Schweiz seine eigene Schublade kreieren, da reinklettern und sich am besten nicht mehr verändern, um kommerziell erfolgreich zu sein?
In erster Linie muss man banale Musik machen und sich anbiedern, um in der Schweiz Erfolg zu haben. Das gilt vor allem für die Deutschschweiz. Ich sehe auch keine Chance, dass sich das ändert. Es sei denn, die öffentlich- rechtlichen Sender würden von ihrem Konzept abweichen und lokale Musik fördern, die nicht dem klassischen Pop-Schema entspricht, aber das wird nicht passieren. Deswegen gehe ich auch nicht davon aus, dass ich in der Schweiz jemals kommerziell erfolgreich sein werde. Dadurch, dass ich meinen Stil ständig verändert habe, wurde mein Karriereweg bestimmt steiniger. Ich weiss derzeit auch nicht, wie es musikalisch weitergehen soll, weil ich karrieretechnisch nicht wirklich vom Fleck komme. Aber ich fühle mich in der Schweiz wohl in der Rolle der Aussenseiterin, die Grenzen auslotet und provoziert. Das habe ich mir allerdings nicht ausgesucht – ich habe keine Wahl, ich könnte nie Musik machen, die mir nicht entspricht, nur aus kommerziellem Druck heraus. Obwohl ich natürlich trotzdem Bock hätte, vor 10 000 Leuten am Openair St. Gallen zu spielen.

War Sophie Hunger, eine der kommerziell erfolgreichsten Musikerinnen unseres Landes, bei der sie als Backgroundsängerin gearbeitet haben, eine Mentorin für Sie?
Am Anfang war sie eine Art Mentorin. Ihr Management oder sie wollten dann aber nicht mehr, dass ich dabei bin, als es richtig losging.

In Ihrer Labelbiografie wird dies folgendermassen formuliert: «Die Zusammenarbeit nahm ein abruptes Ende, als Hungers Management sich Sorgen machte, dass Trouble dem Main Act die Show stehlen könnte.»
Ich weiss nicht mehr genau, warum das damals passiert ist. Jedenfalls haben wir, obwohl sie auch in Berlin wohnt, nicht mehr gross miteinander zu tun. Sie ist keine Begleiterin für mich. Es ist ein hartes Business, und es gibt Menschen, die einen fördern, und andere, die sich auf sich selbst konzentrieren. Man umgibt sich besser mit Menschen, die etwas Gutes für einen wollen.

Gilt das auch für die Liebe? Den Song «Monstrous» bezeichnen Sie als Ihren Versuch, eine romantische Hymne zu schreiben.
Früher war ich schon sehr von Disneyfilmen geprägt (lacht) und ich habe mir alle Prinzessinnenfilme noch mal angeschaut, als ich den Song geschrieben habe. Heute glaube ich eher, dass die Liebe zwischen zwei Menschen etwas sehr Seltenes und Spirituelles ist. Ich bin auch überzeugt davon, dass unsere Seelen lange vor unseren Körpern schon mal hier waren. Mit manchen Menschen hat man diese Verbundenheit, die für mich das Prinz-trifft-Prinzessin-Ding ersetzt hat. In der Realität ist es doch schon ein Wunder, wenn man sich gut versteht (lacht laut). Die Frage ist ja: Hält man es aus, dass Menschen einen gern haben möchten? Hält man es aus, jemanden zu lieben, ohne dass man Erwartungen daran knüpft, und noch wichtiger: Hält man es aus, die Erwartungen anderer zu ertragen? Die nichtpossessive Liebe ist als Prinzip in unserer Gesellschaft unterbewertet. Wenn es den einen geben sollte, dann habe ich ihn jedenfalls noch nicht getroffen. Ich will einfach nur viele schöne Begegnungen haben. Kinder möchte ich auch nicht, ausser mir fällt eins in den Schoss.

Wie steht es mit Ihrer Hoffnung in Ihre Generation?
Wir Millennials sind zu individualistisch. Wir wissen nicht mehr, wie wir uns gemeinsam für eine Sache organisieren, damit sich eine politische Schlagkraft entwickelt. Uns fehlen die Tools. In der Hinsicht habe ich die Hoffnung ein wenig aufgegeben. Warum braucht es etwa zwei Bewegungen, die Operation Libero und die Campax? Man könnte sich doch auch zusammentun, aber alle wollen ihr eigenes Ding machen, das ist wichtiger als das, was man dann erreicht. An die Zwanzigjährigen von heute, an die glaube ich mehr. Die Stimmung schlägt um, die wollen wirklich etwas verändern. Ich wünsche mir, dass wir Millennials politisch aktiver werden und uns selbst mehr in den Gesamtkontext setzen.

Aber Sie sind ja selbst total individualistisch unterwegs.
Eben, das ist das Problem. Ich hänge voll mit drin. Ich fliege Easyjet.

Evelinn Trouble: Hope Music. Die Musikerin hat soeben den Schweizer Musikpreis 2018 gewonnen