«Ich orientiere mich am Urteil von Frauen»
- Interview: Helene Aecherli
Der Konflikt zwischen Müttern und Töchtern hält Männer an der Macht, sagt die Geschlechterforscherin und feministische Aktivistin Franziska Schutzbach.
annabelle: Franziska Schutzbach, die Mutter-Tochter-Beziehung wird meist als Problemzone betrachtet. Warum?
Franziska Schutzbach: Dafür gibt es verschiedenste Erklärungen. Eine lautet, dass Töchter den traditionell niederen Status der Mutter ablehnen. Mutterschaft geniesst in unserer an Männern ausgerichteten Gesellschaft nach wie vor wenig Prestige. Sie wird ins Private verdrängt, ist unsichtbar, wird aber gleichzeitig als aufopferungsvoll und selbstlos idealisiert. Das ist ein schwieriges Rollenmodell. Töchter orientieren sich deshalb eher am Vater. Der verspricht Welt, Abenteuer und Einfluss.
Mütter sind innerhalb der Familie aber oft sehr dominant, im positiven wie im negativen Sinn. Kompensieren sie dadurch das fehlende Prestige?
Ja, das kann man so sehen. Manche Mütter herrschen geradezu. Nicht umsonst ist die tyrannische Mutter eine verbreitete literarische und mythologische Figur. Meist bleibt sie jedoch eine Handlangerin des Patriarchats, auch insofern, als dass sie ihre Töchter oft passförmig macht für ein patriarchales System. Dies ermöglicht ihr einen gewissen Status – als Mutter, die ihre Pflicht erfüllt.
Ist der Bezug auf das Patriarchat nicht zu simpel, um die komplexen Mutter-Tochter-Beziehungen zu erklären?
Ich spreche hier weniger von real gelebten Mutter-Tochter-Beziehungen als von Darstellungen der Mutter-Tochter-Beziehungen in der westlichen Kulturgeschichte, die unser Verhalten prägen. Nehmen wir das Märchen vom Rotkäppchen: Die Rolle der Mutter besteht darin, Rotkäppchen zu sagen, dass es nicht vom Weg abkommen soll. Es darf nicht die Welt selbstbestimmt erkunden, sondern soll auf dem vorgegebenen Weg bleiben und das Essen bringen. Rotkäppchen hält sich nicht an ihre Weisung und wird vom bösen Wolf, dem Patriarchat, gefressen. Die Botschaft ist: Mädchen sollen ihren Müttern gehorchen. Ähnlich ist es in der höfischen Literatur, zum Beispiel in den Nibelungen: Die strenge Mutter führt ihre Tochter in die Rolle der Ehefrau ein und wacht über ihre Ehre.
Womit der Konflikt programmiert ist.
Genau. Der Konflikt ist Programm. Eine anthropologische These besagt, dass der Konflikt, also letztlich die Spaltung zwischen Müttern und Töchtern – wie zwischen Frauen überhaupt – historisch notwendig war, um Männermacht zu ermöglichen. Jahrtausendelang wurde in unterschiedlichen Kulturen der Frauentausch praktiziert, das heisst, Frauen wurden an Männer weggegeben, um Macht- und Besitzverhältnisse zu regeln. Die Söhne blieben auf dem Hof oder beim Clan, während die Töchter ihre Beziehungsgefüge aufgeben mussten. Diese Weitergabe von Macht und Besitz unter Männern durfte nicht durch starke Frauenverbindungen gestört werden.
Das ist in vielen Regionen noch immer so.
Natürlich. Auch in der westlichen Welt leben patrilineare Traditionen fort, in Ritualen, zum Beispiel: Heiratet die Tochter, wird sie oft vom Vater zum Altar begleitet – dies ist die Inszenierung der Übergabe der Tochter an einen anderen Mann. Die Frau wird zum Einsatz im Machtgefüge der Männer, Die Mutter spielt hier keine Rolle mehr.
Heute sind jedoch viele Frauen berufstätig und machen Karriere. Inwiefern wird dies die Mutter-Tochter-Beziehung verändern?
Ich weiss es nicht. Gegenüber dem neuen Frauenbild bin ich skeptisch. Eine Berufskarriere als Alternative zu Hausfrau – ist das emanzipatorisch? Frauen müssen alles können, sich zu Tode schuften und dabei erst noch perfekte Mütter und sexy sein. Zukünftige Untersuchungen sollten fragen: Wie geht es den Töchtern der heutigen Supermums?
Viele Frauen sagen: «Ich will nicht so werden wie meine Mutter.» Man hört hingegen kaum: «Ich will nicht so werden wie mein Vater.»
Ja. Frauen richten sich oft an Männern aus, weil diese bis heute die gesellschaftlich bedeutenden Positionen besetzen. Sie sind Autoritäten, von denen Frauen anerkannt werden wollen. Auch Männer messen sich vor allem an Männern. In der Soziologie nennt man dies Homosozialität. Die Weitergabe von Macht und Prestige unter Männern setzt sich fort. So fördern zum Beispiel Professoren oder Konzernleiter noch immer vor allem Männer. Homosozialität ist für Frauen schwer zu durchbrechen.
Was ist der Ausweg?
Zum Beispiel, an den Beziehungen unter Frauen zu arbeiten. Wir können versuchen, gegenseitig unseren Einfluss und Status zu stärken.
Ist es aber nicht so, dass sich Frauen in Bezug auf den Mann in einem ständigen Konkurrenzkampf befinden?
Das ist ein Problem aller minorisierten Gruppen. Anstatt sich aneinander zu orientieren, sind sie auf diejenigen fixiert, die mehr Macht haben als sie selbst. Dadurch werden die vorherrschenden Massstäbe ständig reproduziert: Das Männliche bleibt der Massstab, und Frauen zerfleischen sich gegenseitig im Kampf um einen Platz «dort oben».
Oft wird gesagt, die schlimmste Feindin einer Frau ist die Frau, Frauen führen Zickenkriege und sind stutenbissig.
Konflikte zwischen Frauen werden weniger ernst genommen. Die wichtigen Dinge spielen sich – so die verbreitete Meinung – zwischen Männern ab. Ich versuche, diesen Mechanismus zu durchbrechen, indem ich mich am Urteil von Frauen orientiere. Wenn ich etwa einen Text schreibe, überlege ich nicht als erstes, wie der Text sein muss, damit er in einer Zeitung erscheint, sondern frage mich: «Was würde meine Freundin dazu sagen?» Ich versuche dadurch, andere Kriterien für mein Denken und Handeln relevant zu machen.
Das hört sich an wie ein rein intellektuelles Konstrukt.
Es ist eine politische Entscheidung. Ich bin überzeugt: Wenn Frauen den derzeitigen Massstäben die Autorität entziehen und sich mehr aufeinander beziehen, ändert sich etwas. Es geht dabei nicht um Sisterhood, sondern darum, dass Frauen sich als Subjekte ernst nehmen. Das bedeutet nicht, dass sich alle nett finden müssen.
Im Fokus steht also nicht Frauensolidarität?
Nein. Solidarität ist zur Erreichung konkreter Ziele zwar sinnvoll, aber hier meine ich etwas anderes: dass Frauen sich einen Subjektstatus ermöglichen. Das heisst durchaus auch, dass sie anderer Meinung sein können oder aus verschiedenen Lebensbereichen kommen. Differenz ist produktiv. Frauen wurden zu lange in einen Topf geworfen.
Sie haben eine 10-jährige Tochter. Wie leben Sie Ihre Mutterrolle?
Sicher nicht allzu harmonisch. Ich finde die Vorstellung sonderbar, dass Mütter und Töchter in Harmonie leben müssen. Vielmehr geht es um die Möglichkeit von Differenz. Aber meine Tochter ist kein Versuchskaninchen. Ich bilde mir ein, dass ich die Balance zwischen Nähe und Distanz ganz gut hinbekomme. Meine Tochter ist nicht meine verlängerte Identität, sie weiss, dass ich mein Leben und meine Leidenschaften habe. Wenn sie eines Tages auszieht, muss sie sich keine Sorgen machen. Ihre Mutter wird beschäftigt sein.
Franziska Schutzbach lehrt und forscht am Zentrum Gender Studies an der Universität Basel