Ich war neun, vielleicht zehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal auf die feministischen Barrikaden stieg. Es war ein rein instinktiver Akt, denn ich wusste damals natürlich noch nichts von genderpolitischen Protesten.
Ich war bloss wütend, weil die Jungs ins Werken durften, während ich zwei Stunden in die Handarbeit musste und dort dazu verknurrt wurde, Schlangen zu lismen, an einem Holzfliegenpilz häkeln zu üben (Masche ufe, öbereziehe ond abelo) und Puppenkleidli zu nähen.
Wie viel lieber wäre ich mit den Jungs an der Werkbank gestanden und hätte gehämmert, geschraubt und gesägt. Doch mein Knurren nützte nichts. Die Mädchen mussten in die Handsgi, die Buben ins Wärche, so schrieb es der Luzerner Lehrplan Anfang der 70er-Jahre für seine Primarklassen vor. Und da las ich eben eines Tages aus Protest gegen das Lismen im Grüppli demonstrativ mein neustes «Bravo-Heftli» (das galt damals als verrucht) und balancierte die Doppelseite mit der Foto-Love-Story auf meinen Knien, bis die Handarbeitslehrerin schwitzend herangerudert kam und mir mit hochroten Backen das Heftli wegnehmen wollte. Doch sie war zu langsam, ich schleuderte das «Bravo» weg, und zwar so, dass es auf der Deckenlampe landete und dort oben liegen blieb, worauf meine Mutter zum klärenden Gespräch vorgeladen wurde. Meine Mutter empfand aber weniger das «Bravo» oder mein Benehmen als Skandal, sondern vielmehr die Tatsache, dass Mädchen nicht ins Werken durften und die Jungs nicht in die Handarbeit, schliesslich, meinte sie, müssten Mädchen später ebenso Nägel in die Wand hämmern können wie Buben Knöpfe annähen.
Dieser Zwang zum Lismen, während ich doch werken wollte, hat mich also schon früh ahnen lassen, dass von Jungs und Mädchen unterschiedliche Fähigkeiten gefordert werden und davon ausgegangen wird, dass man sich dem auch fügt. Sechs Jahre später entpuppte sich diese kindliche Ahnung als Gewissheit: An jenen Dienstagnachmittagen im Untergymnasium in Luzern nämlich mussten wir Mädchen vier Stunden in den Handarbeits-, im Jahr drauf in den Hauswirtschaftsunterricht, die Jungs hatten frei. Ja, frei. Zum Tschutten, Herumhängen oder Aufgabenmachen. Mehr noch: Während wir schon wieder lismeten, Puppen nähten oder Saucen machten, hatten die Jungs Zeit, um für die Matheprüfungen zu lernen, die meistens am Morgen nach dem vierstündigen Hauswirtschaftsmarathon stattfanden. Ich war fassungslos, denn diese freien Nachmittagsstunden hätte auch ich dringend gebraucht, wenn eine Prüfung bevorstand – auch sonst, natürlich – denn in Mathe war ich grottenschlecht. Aber es schien, als hätte die Lehrerschaft mit ihren Schülerinnen etwas anderes vorgehabt als mit ihren Schülern. Herd gegen Hirn, sozusagen, auch wenn es Stimmen gab, die behaupteten, die Jungs bräuchten zum Lernen einfach mehr Zeit. Deshalb sei das okay so. Als Protest dagegen stickte ich Fratzen auf die Stoffpuppengesichter. Später, im Kochen, färbten meine drei Herdgruppenkameradinnen und ich das Fleisch blau (mit Lebensmittelfarbstoff, selbstverständlich) oder die Vanillecrème pink oder liessen «aus Versehen» Geschirr fallen –worauf wir den Rest des Unterrichts vor der Tür verbrachten.
Schliesslich protestierte meine Mutter erneut. Sie sprach bei der Schulleitung vor, forderte dieselbe Anzahl Unterrichtsstunden und dieselben Fächer für Buben und Mädchen, drohte, die Diskriminierung von Frauen im Luzerner Schulsystem in den Medien anzuprangern. Die Schulbehörden gaben sich zerknirscht bis zitternd, sie können nichts machen, sagten sie, es gäbe noch kein Gleichstellungsgesetz (das trat in der Schweiz erst 1996 in Kraft), und vertrösteten meine Mutter auf bessere Zeiten nach dem Jahr 2000. Ich weiss noch genau, wie meine Eltern abends zusammensassen und Ideen und Wege wälzten, wie dieser Prozess beschleunigt werden könnte. Das Ganze war mir natürlich ein bisschen unangenehm, denn ich hatte das Gefühl, die Kochlehrerin hatte begonnen, mich misstrauisch, wenn nicht sogar hasserfüllt anzustarren – aber vielleicht lag dies weniger am Gleichstellungskampf als an den blau gefärbten Schweinsplätzli. Gleichzeitig aber haben mich die Diskussionen zuhause sowie die Empörung, die ich stets empfand, wenn die Jungs dienstags um 12 Uhr freihatten, während ich mich in das würfelförmige, nach Putzmittel riechende Gebäude mit den Kochschullokalen schleppen musste, für gendertypische Diskriminierungen sensibilisiert und wachsam gemacht. Und es hat mir gezeigt, dass man Ungleichbehandlung nicht stillschweigend hinnehmen muss, sondern etwas dagegen tun kann. Auch als Einzelperson. Man muss nur wagen, es zu tun. In diesem Sinn: #annabellebleibtdran – #undichauch.
PS: Heute koche ich leidenschaftlich gern – gerade auch mit Jungs. Lismen überlasse ich anderen. Nähen auch. Mathe sowieso.