Leben
«Ich kenne keine Mutter, keine Frau, die sich nicht Vorwürfe macht»
- Interview: Kerstin Hasse; Foto: Jessica Prinz
Mamma mia, wie bekommt sie das alles unter einen Hut? Moderatorin und Journalistin Andrea Jansen macht den Anfang unserer Serie über Frauen, die sich neben ihrer Familie selbstständig gemacht haben. Sie hat ihren Blog Any Working Mom zu einer erfolgreichen Community-Plattform ausgebaut.
annabelle.ch: Andrea Jansen, Sie haben vor kurzem aus Ihrem erfolgreichen Blog Any Working Mom eine GmbH gegründet. Sie haben eine grosse Community und zwei Partnerinnen, die mit Ihnen zusammen die Familienplattform gestalten. Das Konzept Ihrer Selbstständigkeit scheint also zu funktionieren.
Andrea Jansen: Ich habe Any Working Mom als Blog begonnen, aber es war von Anfang an die Idee, daraus ein Unternehmen zu machen. Ich bin stolz, dass wir dank unserer Community so gewachsen sind. Wir sind aber noch nicht am Ende unserer Entwicklung angekommen. (lacht)
Es gibt einige Mütter, die sich nach der Geburt ihres Kindes mit einem eigenen Projekt selbstständig machen. Bietet denn die Selbstständigkeit tatsächlich mehr Vereinbarkeit von Karriere und Familie als ein Angestelltenverhältnis?
Ich bin da wahrscheinlich ein Spezialfall, weil ich nie angestellt war – auch nicht, bevor ich Kinder hatte. Auch beim Schweizer Fernsehen hatte ich immer befristete Verträge, die über eine Sendung hinweg liefen. Mit 25 Jahren habe ich meine eigene GmbH Jane Doe Media gegründet, und seither mache ich alles unter dem Dach dieser Firma. Ich musste mich also nie irgendwelchen Strukturen unterordnen. Und das geniesse ich auch bei Any Working Mom. Unser Team ist zum Beispiel abends um 9 fast immer online. Wir drei arbeiten dann, wenn die Kinder im Bett sind. Das gibt uns eine gewisse Flexibilität. Wenn ein Kind krank ist, ist es krank – dann verschiebt man halt einen Termin. Da hat man sicher mehr Freiheiten als in einem grossen Unternehmen. Auf der anderen Seite haben auch wir fixe Deadlines, an die wir uns halten wollen und müssen.
Selbstständigkeit bietet Flexibilität, aber nicht unbedingt mehr Sicherheit.
Aber diese Flexibilität ist viel wert. Ich kenne einige gut ausgebildete Leute, die keinen passenden Job finden. Weil zum Beispiel die geeigneten Stellen immer für 80 Prozent ausgeschrieben sind, man aber nicht so viel arbeiten will – oder kann. Ich meine, das muss man sich auch leisten können: Zahl mal vier Tage Kinderkrippe in Zürich! Das ist bei mir auch so, das kann ich ganz offen sagen: Ein Grossteil meines Verdiensts fliesst in die Kinderbetreuung. Ich mache meinen Job nicht wegen des Geldes. Und es muss einem schon per se gut gehen, dass man das machen kann. Sonst kann man sich Vereinbarkeit gar nicht leisten. Leider.
Ihr könnt also nicht davon leben?
Nein, nicht ganz. Wir drei Gründungsmitglieder unserer neuen Firma, haben verschiedene Anteile an der Firma und die spiegeln sich auch in den Arbeitspensen. Mir gehören 75 Prozent der Firma, und ich arbeite 80 Prozent. Die anderen beiden arbeiten weniger. Wir zahlen uns momentan 50 Prozent von dem aus, was wir im Stundenlohn als Freie für unsere Arbeit bekommen würden. Im freien Markt würden wir für unsere Arbeit also das Doppelte verdienen, in einem Angestelltenverhältnis jedoch nicht. Wir haben mittlerweile auch IT-Unterstützung und eine Mitarbeiterin, die sich um den Online-Shop kümmert. Wenn wir jede Kooperations-Anfrage annehmen würden, jeden bezahlten Inhalt posten und ich mit einem Markenstaubsauger und meinen Kindern im Wohnzimmer auf Instagram posieren würde, dann könnten wir recht viel Geld verdienen. Wir haben uns aber ganz bewusst dagegen entschieden.
Warum?
Weil unsere Motivation eine ideologische ist: Wir wollen Denkstrukturen aufbrechen, den Druck des Elternseins, insbesondere des Mutterseins, reduzieren. Im besten Fall wollen wir etwas verändern. Wenn es uns darum gehen würde, das grosse Geld zu verdienen, könnten wir die Plattform einem grossen Verlag verkaufen, und die könnten sich mit den Einnahmen herumschlagen. Dann würde aus Any Working Mom aber etwas werden, was es schon tausend Mal gibt: eine generische Familienplattform, in der es in erster Linie darum geht, möglichst viel gesponserten Content unterzubringen. Darum sagen wir sehr viele Angebote ab und machen nur das, was mit unserem Leitbild «Mal ehrlich» übereinstimmt. Das ist unser grosses Privileg als unabhängiges, selbstständiges Medium. Diese Strategie funktioniert: Wir können uns finanziell selbst tragen und wachsen stetig.
Ein Mamablog ist noch mal ein Spezialfall, wenn es darum geht, als Mutter selbstständig zu sein. Das wird gern als Klischee empfunden, wenn sich Frauen nach der Geburt damit befassen, übers Muttersein zu schreiben.
Mit diesem Vorwurf wurde ich oft konfrontiert. Vor allem ganz am Anfang. Da wurde mir mal in einem Interview die Frage gestellt: Warum reduzierst du dich so aufs Muttersein? Diese Frage ist mir nie richtig aus dem Kopf gegangen, und ich frage mich bis heute, was ich darauf hätte antworten sollen. Denn eigentlich finde ich die Frage an sich schon so falsch.
Warum genau?
Indem man fragt, warum sich jemand aufs Muttersein reduziert, macht man das Muttersein so klein. Denn Mutter zu sein, so scheint es, muss man einfach leisten, das hat eigentlich keinen Wert. Alles, was man on-Top leistet, zum Beispiel Erwerbsarbeit, zählt. Das finde ich komplett falsch. Die Arbeit, die man als Mutter oder Vater leistet, ist so wichtig, so schwer und so herausfordernd. Mein Partner zum Beispiel sagt mir regelmässig: Jeder Tag, an dem er ins Büro geht, ist so viel einfacher, als wenn er zuhause ist. Ich finde, man muss den Wert des Elternseins, von Care-Work, komplett anders betrachten. Aber nochmal zurück zu den Mamablogs: Es gibt tatsächlich ganz viele solcher Blogs mittlerweile. Das Spektrum erinnert mich an den Begriff Promi – Promi und Mamablog sind Reizwörter für mich. Ich habe für meine Abschlussarbeit an der Uni die Bedeutung von Prominenz untersucht – schliesslich heisst es ja nichts anderes als herauszuragen. Man ist in dem Moment ein Promi, in dem man beim «Bachelor» in der vierten Runde rausfliegt. Gleichzeitig gilt auch ein Bundesrat als Promi. Das ist eine ziemliche Bandbreite. Das ist auch bei den Mamablogs so. Es gibt im Bereich Elternplattformen qualitativ sehr hochstehende Sachen und ganz viel andere, die ich gar nicht verurteilen will, die mich als Leserin aber nicht interessieren. Wir sind kein klassischer Blog, sondern eine Plattform mit ganz verschiedenen Bereichen. Wir wollen Inhalte wiedergeben, die eine Beständigkeit haben.
Wie kam es denn überhaupt dazu, dass Sie über Familienthemen schreiben wollten?
Nachdem mein erstes Kind, mein Sohn, geboren worden war, war ich in einer Phase, die sicher viele Mütter erleben. Das war so eine Aha-Phase, in der ich verstand: Aha, das ist ja gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aha, das ist ja alles nicht nur eine Organisationsfrage, sondern da kommen ja noch ganz viele Gefühle rein und Rollenbilder, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie in mir trage. Leute haben mit mir geredet, als wäre es jetzt für mich als Mutter logisch, dass ich nicht mehr arbeiten würde. Mein Gesicht war nicht mehr im Fernseher, und ich hatte ein Baby, und das hatte eigentlich nichts miteinander zu tun, aber viele empfanden das eine als logische Folge des anderen. Ich kam ein wenig in eine Identitätskrise. Und da merkte ich, dass ich beim Schreiben berufliche Befriedigung fand. Ich realisierte: Ja, es ist schön, ein Kind zu haben, aber es definiert mich nicht. Über das wollte ich schreiben.
Gleichzeitig gibt es Mütter, die gern zuhause bleiben würden, sich aber gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, Karriere zu machen.
Ich kenne keine Mutter, keine Frau, die sich diese Fragen nicht stellt, die sich keine Vorwürfe macht und das eigene Bild tausend Mal reflektiert. Das ist schade – jede und jeder sollte das System leben können, das für sie oder ihn stimmt. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass wir noch nirgends sind. Darum plädieren wir bei unserer Plattform auch für mehr Ehrlichkeit. Und darum ist es mir auch wichtig zu betonen: Ich bin kein Paradebeispiel für eine Working Mom.
Das heisst?
Ich bin nicht die durchschnittliche arbeitende Mutter: Weder in der Höhe der Prozente, die ich arbeite, noch im Beruf, noch in der Anzahl Kinder, die ich habe. Meine Priviliegien sind auch nicht durchschnittlich. Das Any in unserem Namen steht deshalb eher für die Emotionen, die jede Mutter durchmacht. Unser Rebranding – wir heissen neu «Mal ehrlich by Any Working Mom» hat auch eine bestimmte Aufgabe. Wir stellen den Claim «Mal ehrlich» in den Vordergrund. Das ist unsere Leitlinie, unser roter Faden.
Welchen Tipp würden Sie einer jungen Mutter geben, die sich selbstständig machen will?
Ich würde es mir wirklich sehr gut überlegen. (lacht) Ich habe sehr viel Geld in dieses Projekt hineingesteckt. Geld im Sinn einer finanziellen Investition, aber auch in Form von Zeit, in der ich sonst mit einem Job hätte Geld verdienen können. Mir haben am Anfang alle gesagt: Du kannst damit kein Geld verdienen. Und ich fand immer: Wait for it! In anderen Ländern funktioniert es auch. Es ist nicht einfach, und man muss es wirklich wollen. Denn es ist verdammt zeitintensiv, was wir machen. Das habe ich auch meinen Partnerinnen gesagt: Wir müssen das gleiche Ziel haben. Unser Ziel ist nicht Geld, sondern mehr Ehrlichkeit beim Elternsein zu transportieren.
Passend zu Ihrem neuen Claim noch eine letzte Frage. Sie haben im letzten Jahr eine Weltreise mit Ihren drei Kindern gemacht. Ich selbst habe keine Kinder, aber empfand das nur schon als Beobachterin auf Social Media als riesige Herausforderung. Mal ehrlich: Wie zur Hölle macht man das?
Es gibt ganz viele, die uns sagten: Also wir könnten das nie! Das ist zu teuer! Zu umständlich! Aber meist stimmt das nicht ganz – ich kenne viele Familien, die dasselbe getan haben. Denn es kommt ja einfach darauf an, wo man seinen Fokus setzt. Wir haben zum Beispiel kein Haus, und wir haben auch nie ein grosses Hochzeitsfest gefeiert für 50 0000 Franken oder mehr. Und nein, es war auch nicht nur einfach. Man ist unterwegs, es ist anstrengend für sich selbst, für die Familie, für die Partnerschaft. Ich wollte allen und allem gerecht werden und habe daneben noch gearbeitet. Ich bin wirklich auf der Reise fast ein wenig in ein Burn-out reingelaufen. Zum Glück traf ich dannmeine super-spirituelle Freundin aus LA, die mich auffing.(lacht) Ich musste dann ein paar Sachen abgeben und von unterwegs aus deligieren. Diese Krisen versuchte ich auch wiederzugeben. Bei mir ist nicht alles judihui und trallala.