Sie sitzen in ihrer Ego-Bubble und lassen keinen mehr rein: Auf Social Media feiern die neuen #hermits gerade den Rückzug von allem, was nicht ins kuschlige Weltbild passt. Sie nennen es Achtsamkeit – unsere Autorin Linda Leitner findet andere Worte dafür.
Ich öffne Instagram.
Meine Augen scannen ein Zitat: «Creatives should never apologize for retreating from the world and having hermit time.» Zu Deutsch: Kreative Menschen sollten der Welt wie ein Eremit den Rücken kehren dürfen. Dafür solle man sich nicht – pardon, niemals! – entschuldigen. Diverse Leute, wohl die Eremiten-Elite, lassen ein achtsam gedrücktes Like da. Medien, die gern sozial genannt werden, schubsen uns behutsam ins Me-Time-Loch. Dort schimmert er, der heilige Gral unserer Zeit: der Rückzug.
Ich öffne Whatsapp.
Manche Chats sind stille Gräber. Ich trauere. Frage mich, warum die andere Seite kein schlechtes Gewissen hat, wenn sie sich nicht meldet. Ohne Rechtfertigung. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und das ist okay so, das haben uns Social Media beigebracht. Beerdigt gerade eine neue Empfindsamkeit unsere Loyalität? Macht uns der Zeitgeist egoistisch?
Ich öffne Google.
Ich erfahre, dass es sich beim Eremiten um einen etwas plumpen Blatthornkäfer handelt. Etwas weiter unten sagt Wikipedia, der Begriff stamme aus dem Altgriechischen und bedeute Wüstenbewohner oder Einsiedler. Nur einen Scroll entfernt erscheint der Eremit als Tarotkarte: Rückzug, Selbstbesinnung und Weisheit symbolisiere sie. Die Frauenzeitschrift «Brigitte» orakelt: «Es ist okay, wenn du jetzt Zeit für dich brauchst. Nur so kannst du dir selbst treu bleiben.»
Nur so! Nimm deine Bedürfnisse wahr! So murmelt es auch aus gesponserten Mindfulness-Posts, aus den Mündern von Hellseher:innen und aus diversen Selbsthilfebüchern. Selbstreflexion, Selbstliebe und Selbstfindung – selbst, selbst, selbst. Ich, ich, ich.
Ich öffne mich.
Wenn ich tief in mich hineinhorche, spüre ich: einen von der Gesellschaft auferlegten Entspannungsimperativ. Wer nicht mitpraktiziert, ist selbst schuld, wenn es nicht läuft im Kopf und im Leben. Autogenes Training, Breathwork, Meditationsrituale – egal ob uns Stress, Liebeskummer oder eine Meinungsverschiedenheit den Alltag schwer machen, wir sollen die Hürden des Lebens mit Achtsamkeit und einem Becher Matcha nehmen.
Klar, in einer Zeit, die schnell und fordernd und stressig ist, sind Meditation und Achtsamkeit probate Werkzeuge zur Steigerung des Wohlbefindens. Und der Produktivität. So schicken grosse Unternehmen wie Google und Ikea ihre Mitarbeitenden längst in Mindfulness-Programme, um ihnen ein Auffangnetz zu bieten, bevor sie in ein mögliches Burnout schlittern. Auf Social Media aber werden diese Begriffe inflationär verwendet, diese Therapieformen infolge banalisiert. Achtsamkeit wurde zum Modewort.
Es scheint einfach: Man brauche quasi kein Equipment, lediglich einen gewissen Leidensdruck. Und ein paar Mindfulness-Apps, mit denen wir unseren Schlaf tracken. Achtsam könne man quasi alles schaffen. Auch abnehmen. Oder jemanden umbringen, wie der deutsche Rechtsanwalt und Bestseller-Autor Karsten Dusse in seiner Krimireihe «Achtsam morden» erläutert.
«Gerade auf Social Media wird ein eindimensionales Lifestyle-Wannenschaum-Me-Time-Narrativ zelebriert», sagt die Schweizer Autorin Anna Miller, die in ihrem Buch «Verbunden» für einen bewussten Umgang mit digitalen Medien plädiert. Selbstoptimierung im Bademantel also. Achtsamkeit als weichgespülter Trend.
Ich öffne die Tür.
Meine Freundin erzählt, sie sei geghostet worden, nach einigen Dates habe der Typ ihre Nachrichten einfach ignoriert. Sein Handy sei im Flightmode, im Flugmodus, gewesen, hiess es auf ihre Nachfrage. Tagelang? Keine weitere Erklärung. Konversation und Kennenlernen beendet. Das Funkloch als Rechtfertigung für zwischenmenschliches Steckerziehen. Sorry, not sorry. Vermutlich habe er Zeit für sich gebraucht, mutmasst die Freundin.
Aber ist es wirklich okay, wenn man die andere Person im Dunkeln des Screens tappen lässt? «Jede Person hat das Recht, sich aus einer Situation zurückzuziehen, aber dies sollte mit Respekt und Kommunikation geschehen», so Katarzyna Fischmann, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Praxis in Luzern.
Ist das, was auf Social Media als achtsamer Lifestyle propagiert wird, nicht oft einfach die perfekte Ausrede? Der Rückzug eine zeitgeistige Legitimierung für unanständiges Verhalten? Es scheint fast, als schenke uns diese neue Empfindsamkeit einen Selbstreflexionsschleier, den wir über alles werfen, wonach uns gerade nicht ist. Verabredungen, Verpflichtungen, Menschen. Niemand soll sich in Situationen zwingen, die einem nicht guttun.
Aber ist das noch gesunder Egoismus? «Gesunder Egoismus ist der goldene Mittelweg zwischen Selbstfürsorge und der Rücksichtnahme auf andere», so Fischmann. Das Gleichgewicht, das es uns erlaubt, in Harmonie zu existieren. Grenzen setzen ist wichtig. Aber ausgrenzen?
«Rückzug ist ein Luxus – und ein Milliardengeschäft»
Ich öffne Google.
Ich suche nach dem Phänomen des Therapy Speak, bei dem Begriffe aus der Psychologie wie Trauma, Panikattacke oder eben Achtsamkeit Karriere im alltäglichen Sprachgebrauch machen. Das gibt uns ein neues Vokabular an die Hand, um alles und alle zu verstehen und zu analysieren – aber eben auch, um unser Verschwinden zu legitimieren, wenns unangenehm wird. «Sich rausnehmen müssen», das hat man mal so in der Therapie gelernt. Oder in einem Podcast gehört. Oder in einem Selbsthilfebuch gelesen. Inzwischen ein super Argument für einen Lifestyle ohne schlechtes Gewissen.
Aber nicht jeder emotionale Impuls ist Anxiety. Nicht jeder Streit kreist um eine toxische Person. Wirft man mit diesen Begriffen unbedacht um sich, besteht die Gefahr, mentalen Krankheiten ihre Bedeutung zu nehmen, sie zu banalisieren. Und das in einer Zeit, in der laut einer Umfrage der Schweizer Stiftung Pro Mente Sana zwei von fünf Menschen angeben, psychisch belastet zu sein.
In manchen Kreisen sind mentale Probleme noch immer stigmatisiert. In anderen gehören Therapiesitzungen zum guten Ton, die richtige Diagnose baumelt wie ein exklusives Accessoire vor der schnell atmenden Brust. Es ist wichtig, zu sensibilisieren.
Aber seine Daddy Issues professionell ergründen zu lassen, ist ein Privileg. Sich ein Retreat zu buchen oder sich einen Abend freizuräumen – das mag heilsam sein, ist aber schlichtweg nicht für alle möglich. Für Eltern, für Alleinerziehende, für die, die Care-Arbeit leisten, drei Jobs haben. Das Streicheln der Seele kostet. Zeit und Geld. Rückzug ist ein Luxus – und ein Milliardengeschäft.
Ich öffne Zoom.
Simon Schindler ist Professor für Psychologie an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin. Mit 19 Jahren war er zum ersten Mal in einem Schweigekloster, inzwischen forscht er zu Achtsamkeit. In einer Studie untersuchte er den Effekt, den Mindfulness-Übungen auf unsere Moral haben.
Die Forschenden konfrontierten Proband:innen mit einem verstörenden Video über Massentierhaltung und deren Effekt auf das Klima. Darauf folgte eine kurze Achtsamkeitsübung. Eine Vergleichsgruppe schaute dasselbe Video, machte aber keine Übung. Resultat: Die Achtsamkeitsgruppe zeigte weniger Neigung, ihren Fleischkonsum zu reduzieren.
«Ein signifikanter Unterschied, der uns darlegt, dass man mit Achtsamkeit Emotionen wie das schlechte Gewissen regulieren oder runterfahren kann. Wir wollten darauf hinweisen, dass Achtsamkeit nicht per se alles besser macht, man dadurch nicht automatisch zum besseren Menschen wird», so Schindler. Wenn schon Achtsamkeit in ihrem ursprünglichen Sinn das Mitgefühl schwächen kann, was macht dann die weichgespülte Version der #mindfulness mit uns?
Ich öffne das Tor zur Vergangenheit.
Achtsamkeitspraktiken stammen aus dem Buddhismus. Dort gilt Leid als zentrales Charakteristikum menschlichen Lebens. Was das Leiden verursacht, ist lediglich unser Ego – mit all seinen Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen. Mindern lässt sich das nur, indem man all diese Bedürfnisse wahrnimmt, anerkennt und dann auflöst. Es geht darum, das Leiden aller Wesen zu reduzieren. Wenn man seine Sinne schärft, riecht es neben Sandelholz und Weihrauch nun vor allem nach einem Widerspruch: Die Arbeit an sich selbst war ursprünglich zum Wohle aller da. Nicht nur zum eigenen.
Ich öffne Zoom erneut.
Auf meinem Bildschirm erscheint Erica Fankhauser. Sie trägt einen Kristall um den Hals, ihr Lachen ist ansteckend. Als Achtsamkeitscoach leitet sie Workshops für Schulen und Unternehmen, bietet aber auch Trance-Healing-Therapie an. Auch sie wundert sich manchmal darüber, wie unzuverlässig die Menschen geworden sind. Schliesslich sei es ja so: «Was macht Achtsamkeit mit dem Gehirn? Es vergrössert das Bewusstsein», ist sie sich sicher. «Wer ständig absagt, könnte an seinem Bewusstsein noch etwas arbeiten, ist sich seines Handelns nicht bewusst.»
Wertneutralität als wichtiger Pfeiler der Achtsamkeit besage, man solle Menschen nicht für ihr Handeln verurteilen, ohne die Hintergründe zu kennen – dennoch brauche eine Gesellschaft Regeln, einen bewussten Umgang, der dafür sorgt, dass wir einander guttun. «Ist die Grundhaltung achtsam, muss man sich gar nicht aus dem Leben herausnehmen», so Fankhauser.
Mindfulness wird demnach oft falsch verstanden und praktiziert. In einer Gesellschaft der Superlative werden an und für sich gute Konzepte auf die Spitze getrieben – was dabei herauskommt, ist eine Hyper- und Pseudo-Achtsamkeit, die in einer Überstilisierung durch Social Media gipfelt. Ein flutschendes Inspirational Quote, das zur Selbstreflexion in Einsamkeit rät – und indirekt auch dazu einlädt, diese Erfahrung zu teilen.
«Die Leute schauen in sich hinein und plappern ihre Erkenntnisse direkt wieder aus. Eine achtsame Haltung bedeutet auch, seine Gedanken bei sich zu behalten, zu reflektieren und daraus zu lernen», so Fankhauser. Man müsse nicht um den Erdball schicken, wie gut oder schlecht es einem geht. Wer Achtsamkeit postet, ist nicht achtsam: «Achtsamkeit beginnt bei dir und nicht im Handy.»
«Früher ging man gemeinsam in die Kirche. Heute allein auf die Yogamatte»
Ich öffne Instagram.
Ein Reel schwappt mit klischeehaft pastellfarbener Leichtigkeit über den Screen: Eine skandinavische Influencerin trinkt in eine Decke gekuschelt Tee, stellt Marmelade auf den Tisch, liest, macht ihr Bett. Ein Schriftzug, flankiert von frohlockenden Sternschnuppen-Emojis, liegt über den Bildern – «introverted life» steht da.
Wie schön, denkt man, introvertiert müsste man sein. Obwohl auch extrovertierte Menschen ihre Kissen aufschütteln und mal ein Buch lesen, gibt es neunmal mehr Einträge zum Hashtag #introvert als zu #extrovert. Letzterer trägt schliesslich diese teuflische Sehnsucht nach Gesellschaft in sich, die gerade komplett am Zeitgeist vorbeijagt. Nicht gern allein zu sein – ein Armutszeugnis.
Gibt es zu wenig Me-Time? Nein, sagt Achtsamkeitscoach Erica Fankhauser. Jeder Mensch habe andere Bedürfnisse. Wer zu wenig Me-Time habe, müsse seine Gewohnheiten ändern: «Nimm dein Handy mal nicht mit aufs Klo. Sitz da einfach mal mit dir selbst. Mach dein Bett nicht mit der Zahnbürste im Mund.»
Es ist doch verwunderlich: Sind nicht die, die sich selbst beim Introvertiert-Sein filmen, irgendwie die Extrovertiertesten? Gilt dieser Widerspruch nicht für eine ganze Generation, die zur Inszenierung geboren ist? Die ihr Innerstes nach aussen stülpt und davon ausgeht, die Welt interessiere sich für jedes Getränk, das sie bestellt?
Ich öffne meine Pilates-App.
Um meinen Platz in einem Zürcher Studio zu buchen, brauche ich eine Minute. Wenn was dazwischenkäme, könnte ich drei Stunden vorher absagen. Die anderen Teilnehmenden kenne ich nicht. Anonymer ist es nur noch beim Cycling: Da schwitzt man sogar im Dunkeln.
In der Stadt tritt man unsichtbar auf der Stelle, während man auf dem Land im Turnverein rauschende Feste plant. Wer sich da zum Fussball verabredet, kommt einfach. Eine App fürs Bier danach gibt es nicht. «Die Optionen in der Stadt sind vielfältiger – genau die will man sich auch offenhalten», so die Schweizer Trendforscherin und Texterin Alex Viert. Man will das Beste vom Besten. Das gilt für den Job, fürs Dating und für Freundschaften.
Es hiess ja mal, jegliche Art von Beziehung sei ein Kompromiss. Verlernen wir den gerade? Jetzt, wo Late Cancellation beim Sport-Abo wie im Leben stets eine Option ist? «Wir leben in einer hyperindividualisierten Gesellschaft, beobachten einen Wandel weg von alten Kollektiven», sagt Alex Viert. «Früher war Politik wichtig, Vereine, die Kirche – Institutionen, die eine Gemeinschaft bilden. Heute ist das Ich in den Vordergrund gerückt.»
Früher ging man gemeinsam in die Kirche. Heute allein auf die Yogamatte. Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg miterlebte, fand in den eigenen Tiefen nur Grauen und ermöglichte nach dem Krieg den Wiederaufbau mit Gesellschaftsverträgen und Militärbündnissen.
Bei der heute herrschenden Endzeitstimmung, deren Ende nicht absehbar scheint, wählt man sich selbst als höchste Instanz. «Die Generation, die jetzt gross wird, wächst mit einem Zukunftsbild auf, bei dem man sich fragt: Lohnt sich das alles überhaupt? Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, zu sagen: Ich schau mal, was ich will», so Sozialpsychologe Simon Schindler.
«Wir müssen unsere digitalen Gewohnheiten entrümpeln, um wieder zueinander zu finden»
Ich öffne Whatsapp.
Gruppenchats. Fragen. Einladungen. Blaue Haken signalisieren, dass die Nachrichten gelesen wurden. Die Antworten aber bleiben aus. Sorry, not sorry. Was ist eigentlich aus Euphorie geworden? Aus Yolo? Aus «Ich freue mich», als es noch keine Floskel war? Aus «My loneliness is killing me», wie Britney Spears noch in den Neunzigern sang?
Die Smartphones haben sich zwischen uns gelegt, schreibt Anna Miller in ihrem Buch «Verbunden» und sagt: «Ja, die Leute sind weniger verlässlich. Aber das hat nichts mit psychisch gesunder Abgrenzung zu tun. Wenn wir soziales Verhalten, Anstand, Präsenz und die Ego-Bubble diskutieren wollen, ist es wichtig, zu verstehen: Wir werden aus dieser Sache nicht rauskommen, wenn wir die digitale Quantität nicht reduzieren.»
Statt im Internet am All-you-can- eat-Buffet der Sinneseindrücke rumzulungern, müssen wir also unsere digitalen Gewohnheiten entrümpeln, um wieder zueinander zu finden. Und haben unser Schicksal wortwörtlich in der Hand: «Rund neunzig Prozent der Menschen greifen nach dem Erwachen sofort zum Smartphone. Wir werden von einer enormen Informationsflut überrollt», erklärt Miller.
News, Messages, das vermeintlich bessere Leben der anderen – all das überreize uns. Irgendwann seien wir nicht mehr in der Lage, uns nachhaltig anderen Menschen zu widmen. Das, was dann als Egoismus an die brodelnde Oberfläche schwappt, ist also etwas ganz anderes.
«Grundsätzlich ist Selbstfürsorge – richtig verstanden – ein fundamentaler Grundpfeiler, um sozial interagieren zu können. Ohne gute Beziehung zu dir selbst entsteht keine Verbundenheit», so Miller. Sind wir aber überreizt, aktiviere der Körper sein Stress-Notfall-Programm. Was das überreizte Nervensystem dann mitteile, ist fight, flight oder freeze – Kampf, Flucht oder Starre. Der Flightmode also als Entschuldigung für jemanden, der oder die still und heimlich ins Geisterland abrauscht? «Für sich sorgen heisst, zu wissen, was einem guttut und was nicht. Nur wenn ich ressourcenorientiert handle, habe ich Energie für das Gegenüber», so die Autorin.
«Eigentlich sollten wir alle unsere fixen Gesprächspartner:innen haben. Eine Person, die völlig neutral ist, mit der man wöchentlich für eine Stunde über einen selbst spricht. Für wen wäre das nicht hilfreich?», würde sich Sozialpsychologe Simon Schindler wünschen.
Na also: Der Startpunkt der Reise zu einem respektvollen Umgang liegt im eigenen Kopf. Natürlich darf man sich mal zurückziehen, muss reflektieren – um dann in die Welt hinauszuziehen. Man soll Hände statt Smartphones nehmen, Körper statt Buttons drücken, in Ohren statt Freisprechanlagen brüllen, in Küchen tanzen statt auf Tiktok. Das Leben ist ein schmissiger Lovesong, der vor allem gemeinsam geschmettert so richtig Fahrt aufnimmt.
Ich schliesse alle Apps.
Und möchte einen echten Menschen umarmen. Ganz bewusst, aber ganz unachtsam stürmisch.
Toller Artikel, regelrecht spannend zu lesen mit der Schreibweise. Hat mir jedenfalls ein paar Dinge bewusster gemacht, ich werde versuchen nach dem aufstehen das Handy für 2 Stunden zu ignorieren. Aber wie stelle ich dann den Wecker aus und checke Kryptokurse? =D Spaß beiseite, der Wandel der Gesellschaft ist allerdings in vielerlei Hinsicht besorgniserregend.
Dass auf diesen instruktiven Artikel bisher kein wertschätzender Kommentar folgt, ist quasi die Bestätigung von “Ich, ich, ich”. Toller Artikel. der natürlich ins Schwarze trifft und viele wahrscheinlich unangenehm berührt. Auch mich – leider!
Siehe Kommentar von Konstantin, der vor dir kommentiert hat lol
Danke, danke, danke! Dieses Achtsamtkeits- und “mindfulness”-Getue geht mir schon lange gegen den Strich, da schlicht meist fake. Wer alles in die SM tragen muss, ist ganz sicher nicht achtsam, sondern auf Likes und Anerkennung aus. Unverbindlichkeit und Ghosting sind schlicht anstandslos, entsprechen aber mehr und mehr dem (gruseligen) Zeitgeist.
Bin zufällig auf den Artikel gestossen, uiii Mann auf einer Frauenseite. Das Thema dürfte wohl auch eher tendenziell weiblich besetzt sein. Aber dieser Artikel spricht mich voll an. Und ist genau das, was meiner Frau passiert ist. Eine Bloggerin die verschiedene Beratungsdienstleistungen anbietet hat sich diesem Achtsamkeitsthema in ihrem Blog verschrieben. Dass sie dabei selbst mit Kritikausteilen nicht spart ist ihr egal, aber für Kritik an ihr nicht zugänglich ist. War immer schon so, Viele die gut austeilen können, können nicht einstecken. Selbst gute freundschaftliche und geschäftliche Beziehungen und Projekte wurden dadurch zerstört. Begründung: Achtsamkeit, ich muss auf mich selbst achten, dass sie dabei über emotionale Leichen ging war ihr egal, Hauptsache ihr ging es gut. Sie hat ihre Botschaften angebracht. Danke für so viele gute und richtige Gedanken in diesem Artikel.
Ich wünschte wir hätten den kollektiven Mut und die Stärke, aus dem digital-egozentrierten Dornröschenschlaf zu erwachen. Aber es fängt ja bekanntlich mit einem selbst an. Danke für diesen wunderbar inspirierenden Beitrag!
Gerade eben über den Artikel gestolpert.
Schön beschrieben, dass Achtsamkeit nicht bedeutet nur SICH zu beachten.
Sollten viele Neuklugen (Hobby-)Psychiater auch mal erkennen bevor Sie eine Ich-bezogene Achtsamkeit als Therapie empfehlen und praktizieren.
Sehr geehrte Frau Leitner, das ist ein sehr schöner Artikel von emotionaler Reife und schön geschrieben. Habe ihn sehr gern gelesen. Gruss
SUPER NÖTIGE KLARSICHT !
+ KLARTEXT !
D A N K E !!!
Danke für den Artikel. Genauso ist es leider.
Super Artikel! Eigentlich Symphatisches, Tolles und “Achtsames” kann umgedreht und als Ausrede benutzt werden für nicht so Tolles, nicht so Symphatisches und nicht so Achtsames (gegenüber anderen).
Jetzt fühle ich mich durch diesen Artikel schon etwas entfremdet! Ich habe ganz einfach kein Smartphone (für was auch?) und Achtsamkeit praktizierte ich nicht nur in einer Gemeinschaft im burmesischen Waltdloster, sondern 30 Jahre später immer noch genau da, wo jeder nur noch durch seinen Bildschirm glart; im Bus, am darauf warten, zum Aufwachen und Einschlafen, zum Sonnenuntergang (welcher jeder andere nur noch filmt).
Achtsamkeit ist das Gegenteil von Zerstreuung. Wie heute fast nonstop nur noch durchs Handy. Ich verstehe auch, dass es die Zerstreuung braucht, damit man nicht in eigene Abgründe blickt. Mit Ego hat das schon gar nichts zu tun, schon eher mit der erschreckenden Leere in einem selbst, der man nichts entgegnen kann. Selbstschutz eines Selbst, das schon lange nichts mehr ist.
Achtsame warten immer noch auf alle Anderen, damit sie ihre Bildschirme einmal niederlegen und wieder wahrnehmen. Passiert leider fast gar nicht mehr. Achtsame sind aber geduldig. Es wird auch wieder eine Zeit ohne Bildschirme kommen. Das ist gewiss.
Danke, ein guter, scharf beobachteter und längst überfälliger Artikel.
Hi, ich finde deinen Beitrag mega 🙂 In einer speziellen Phase war ich auch umgeben von ich, ich, ich.. Schlimm auch, wie allergisch man dadurch irgendwann auf bestimmte Begriffe oder leichtgefeuerte Aussagen wird.. Im kritischen und genervten Modus vergisst man scließlich, dass diese Dinge eigentlich etwas gutes sind/waren 😀
Danke Linda, hat mich echt berührt – hats so recht. Vor allem am Ende – mit mehr Umarmungen könnte man die Welt retten..schöne Idee, oder?
Die Menschen haben vergessen, wie man eine Gemeinschaft aufbaut und aufrecht haltet. Es ging auch der Zweck des Zusammenlebens vergessen. Man lebt zusammen, weil man als Gruppe Gefahren und Chancen bessert wahrnimmt. Gemeinsam ist die Aufmerksamkeit grösser als allein. Den irgendwann lässt die Aufmerksamkeit nach. Dann ist man froh, jemand anders ist wach und passt auf.
Achtsamkeit, Bedachsamkeit, Behutsamkeit, Wachsamkeit, Vorsicht, Rücksichtsnahme, Empfindsamkeit, Sorgsamkeit etc. sind nur spezial Formen der Aufmerksamkeit. Jedes Tier ist aufmerksam bzw. passt auf, keine Energie zu verschwenden. Schon sind wir Mitten im nächsten Thema.
Sehr guter Beitrag, danke!
Schon dieser Begriff, “Achtsamkeit”, und in welchen Zusammenhängen und wie oft er gebraucht wird, ist letztlich doch recht flach und banal. Und, wie es auch im Artikel angesprochen wird, heute oft ein direkter Widerspruch zu dem, was “Achtsamkeit” und sonstige Pseudo-Seelenretter-Konzepte aus diesem Dunstkreis behaupten zu sein und zu bewirken.
Natürlich sollte jeder möglichst aufmerksam durchs Leben gehen. Um zu lernen, um zu erkennen, um eben “drin” zu sein in seinem Leben und nicht nur Fotos oder Reels davon auf 8,5 cm Bildschirmen durchzuscrollen…
Aber das ist doch selbstverständlich, dazu braucht man keine Memes und Videotutorials. Oder, genauer: Videotutorials zu glotzen verhindert gerade aufmerksam in seinem / für seinen Lebensalltag zu sein. So toll oder schlau die Sprüche manchen auch vorkommen mögen.
Natürlich kann ein Vollbad oder Pseudo-Meditation einen in manchen Situationen erden oder zu sich selbst bringen. Das ist aber eher selten und eher zufällig so.
Wer sich Ratgeber oder eben diese an Oberflächlichkeit und geistig-seelischer Leere kaum zu übertreffende Influencer-null-Ahnung-von-nichts-Blase reinzieht, mit all den Bildchen von Schaumbädern und Ruhe und “Heilsteinen” (Company Shithole hat die besten! Über 20.800 Empfehlungen! Über diesen Link mit 10% Rabatt!!!!) und dann glaubt , mit Schaumbädern und ruhigen Momenten könnte er/sie irgendetwas bewirken oder erreichen oder erkennen – der hat nichts verstanden, außer sich unkritisch von Werbeanzeigen lenken zu lassen in seinem Konsumverhalten.
“Achtsamkeit” als SocialMedia-Hype – es ist so lächerlich dumm und substanzlos, man möchte sich in der Tischkante verbeißen…
Manchmal gibt es diese wunderbaren Augenblicke, wo mir die Google-timeline KI solche Artikel wie diesen vorschlägt. Morgens um sieben vor der Teambesprechung. Guter Reminder auf was es wirklich ankommt. Vielen Dank für diesen Artikel.
Einen besseren Artikel habe ich schon lange nicht mehr gelesen. <3
Dieser Artikel wird jetzt von mir ohne jeden Kommentar an meine Kolleg/innen in der Nachhaltigkeitsgruppe meines Arbeitgebers weitergeleitet. Super Anregungen, sehr lebensnah geschrieben, ich verstehe langsam, warum ich so “faul” darin bin, mich mit den sozialen Medien auch noch privat zu beschäftigen. Herzlichen Dank!
Dem aktuellen Zeit-“Geist”(-Wahnsinn) mal richtig schön sachlich mit Genuss einen Nierenhaken verpasst. Ich liebe diese Art zu reflektieren sehr und mag die zeitlich ablaufende Struktur im Text. Könnt Sie dafür einfach vor Freude umarmen. Vilen Dank für diesen vollkommenen Text.
Falls Sie noch vor haben ein Buch zum Thema zu schreiben. Mur Mut! Es gibt noch genug Menschen die Herz und Verstand benutzen können und es bestimmt verschlingen.
Mich hat dieses: „Sei positiv!” und alles wird besser seit Jahren genervt. Weil es schlicht weg in der Öffentlichkeit inflationär zum Gelddrucken missbraucht wird. Das Einzige was geheilt wird, sind die Konten der “modernen Rattenfänger” die schamlos und ohne Kenntnis des Gegenübers Situationen eiskalt ausnutzen. Da werden schamanische Reisen für 3000€ angeboten (2h per Live Chat, von einer ehemaligen Kosmetikerin), oder mal eine 2 Tages Angebot für 2000€ von Menschen deren Lebenslauf eher ein Marathon durch einen Parcours ähnelt (zwei eigene Erfahrungen aus meinem Umfeld). Und die sich selbst optimierten Damen und Herren rennen diesem Trend reihenweise die Tür ein. Und mit falschem Selbstbewusstsein werden diese Menschen dann auf andere Menschen losgelassen, wie Missionare des früheren Jahrhunderts.
Eine wirklich schöne und inspirierende Quelle hierzu war für mich das Buch von Juliane Marie Schreiber: “Ich möchte lieber nicht”
Danke für den tollen Input, über den ich natürlich auf Social Media gestolpert bin.
Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass wir einer Illusion hinterherlaufen um auszublenden was wirklich ist. Wenn wir anfangen würden, die Welt wie sie ist zu sehen, müssten wir auch uns selbst wirklich ehrlich hinterfragen.
Gerade die spirituelle Szene, versteckt sich meiner Ansicht nach hinter Frequenzen und der vermeintlich passenden Energie, um dann wieder unter seinesgleichen zu bleiben und das wahre Leben ausblendet. Wir werden in vielen Dingen dogmatisch, bewegen uns zwischen den Extremen hin und her. Was fehlt, ist die Balance, bzw. die Vielfalt dazwischen, die uns vom Gegenüber lernen lässt, das Leben bereichert und unsere Konzepte sprengt – ganz ohne irgendwelche teuren spirituellen Methoden – im Mensch sein. Was es dazu braucht – ist das sich einlassen auf andere Menschen im realen Leben, ganz ohne App und Social Media sowie die Zeit und die Kunst des Zuhörens.
Wir nehmen hin wie es ist, geben immer mehr die Verantwortung ab und sind aber der felsenfesten Meinung, eine bessere Welt zu kreieren. Am Ende kreieren wir mehr vom Alten nur in einer neuen Verpackung.
Achtsamkeit beinhaltet mich und das große Ganze, zu hinterfragen, hinzusehen und daraus abzuleiten wie sich nicht nur mein Leben sondern das einer Gemeinschaft positiv beeinflussen lässt. Denn ja, nicht alle haben die Kapazitäten sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, aus unterschiedlichen Grünen.
Je mehr ich mein Ich und damit das Ego in den Vordergrund rücke, desto weniger kann ich mich auf andere und das Leben in seiner Vielfalt einlassen.
Leben und leben lassen – Manche von uns sind einfach introvertiert, allerdings herrscht in der Gesellschaft das Ideal von Extraversion. Am Wochenende zuhause zu sein und zu lesen, anstatt mit Freunden unterwegs zu sein, alleine ins Kino oder Café zu gehen, lieber im konstanten Home-Office zu sein, als Kollegen zu sehen – Für all das wurde man teils stillschweigend, teils auch offen verurteilt. Es stimmt nicht, dass Introvertierte nicht sozial sind. Wir haben sehr wohl Freunde. Ich sehe meine nicht oft und zwischen den Whatsapp-Nachrichten liegen Tage, manchmal auch zwei Wochen. Dafür sind diese Freundschaften unglaublich tief und langanhaltend. Wir respektieren unsere Grenzen, reden offen über die intimsten und kontroversesten Aspekte in unserem Leben. Einer meiner Freunde, ebenfalls introvertiert, hat sogar einen Kreis von Kumpels für die Kneipe am Wochenende. Dennoch braucht er dazwischen den Rückzug um atmen zu können. Introversion ist nicht bei jedem gleich verteilt, auch wenn die meisten sich in ein Lager einteilen können (Intro-/Extraversion). Ich war nie viel in Social Media aktiv, aber ich denke es passiert etwas ähnliches wie man u.a. auf TikTok wohl im Bereich Mental Health (Im Sinne diagnostizierbarer Störungen) beobachten kann; die Themen, die lange Zeit wie ein Makel behandelt wurden, werden nun nicht nur toleriert, sondern offen und manchmal schon provokativ angesprochen. Es ist ein wenig vom einen ins andere Extrem geschwappt, obwohl es noch immer stigmatisierte Störungen gibt (Hallo Narzissmus, Hallo Borderline, Hallo Schizophrenie!). Mir als introvertierter Person gefällt dieser Trend auch nicht so wirklich, aber ich kann verstehen, dass diese plötzliche Message von “Es ist vollkommen okay, was Du da machst” gut tut und das ist, was man gerne annehmen und glauben möchte. Leicht wird es dann so sehr zum Credo, dass es als eine Rechtfertigung genutzt wird. Man kann das bei unzähligen Themen beobachten, auch in der Politik und unter dem Stichwort gesellschaftlicher Wandel. Es sind Strömungen, die kommen und gehen und man kann derweil eben hoffen, dass die Fronten nicht durch Angriffe weiter verhärtet werden – Dazu zählt für mich auch dieser Artikel, der zu viel zusammenwirft, was nicht zueinandergehört. Mindfulness ist eine riesige Industrie, aber nicht nur auf Eremiten fokussiert. Marsha Linehan, Begründerin der DBT und eine wichtige Person (mMn), die Achtsamkeit als Element von Therapie und Selbstfürsorge vorangetrieben hat, war selbst absolut extrovertiert. Das trifft auch auf viele weitere Personen zu, gerade Psychologen und Psychologinnen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind oft eher extrovertiert. Um es an der Stelle aber mal kurz zu machen: Fronten, extreme Meinungen, Rechtfertigungen, eine von der Industrie gesteuerte Selbstfürsorgeermahnung – Das ist alles per se nie schön. Aber dagegen hilft Toleranz, Interesse für die andere Seite, Ermutigung zum Austausch und Respekt. Wenn jemand lange nicht auf WhatsApp antwortet, würde ich meine Freunde exakt das fragen, was die Autorin hier denkt: Wie es denjenigen gerade geht und weshalb sie nicht antworten und ich würde auch offen mit meinen Zweifeln umgehen, ob die Stille etwas mit der Freundschaft zu tun hat.
Für mich selbst bedeutet Whatsapp seit Jahren Stress. Lange Nachrichten zu beantworten dauert maximal einige Minuten und das weiß ich. Dennoch sträubt sich alles in mir dagegen. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich persönlich fühle mich damit nicht gut. Ich versuche es meistens mit dem Kompromiss über meine Schwierigkeiten zu sprechen, dass es passieren kann, dass ich für einige Zeit “abtauche” und dass man mich in dringenden Fällen immer kurz anklingeln oder kann – dann schaue ich rein und bin (Abhängig von unserem Verhältnis natürlich) da, so gut ich es für diese Person sein kann.
Liebe Linda,
super Artikel, der mir aus der Seele spricht :-).
Und ich stehe für stürmisch unachtsame Umarmungen immer gerne zur Verfügung :-), geht mir nämlich genauso, dass ich lieber echte Menschen (Freunde, Bekannte, Kolleginnen) umarme, als “Likes” zu verteilen, die eigentlich überhaupt keine emotionale Bedeutung haben