«Ich habe mich 1991 nicht beteiligt und tue es auch jetzt nicht»
- Text: Jessica Prinz, Verena Edinger; Foto: Keystone
Der Frauenstreik bewegt Menschen und Medien. Wie sieht es in der Politik aus? Eine Einordnung.
2019 ist ein politisch brisantes Jahr. Die nationalen Wahlen stehen an, die Klimajugend macht Lärm auf den Strassen und lanciert damit eine neue Klimadebatte, und der Nationale Frauenstreik wirft Fragen rund um das Thema Gleichstellung auf. Und je näher der 14. Juni rückt, desto lauter wird der feministische Diskurs. 28 Jahre ist es her, seit der letzte Frauenstreik in der Schweiz stattfand, bereits zehn Jahre zuvor wurde die Gleichstellung in der Verfassung verankert. Noch immer aber sehe «der Alltag der Frauen anders aus». So steht es auf der offiziellen Website der Gewerkschaften für den Frauenstreik vom 14.Juni.
Das sieht auch Nationalratspräsidentin Marina Carobbio so. Ihr Amtsjahr im Nationalrat widmet sie ganz den Themen Lohngleichheit, Massnahmen gegen Gewalt an Frauen zu finden und die faire Vertretung von Frauen in der Politik zu fördern. Sie findet es wichtig, dass das Parlament und die Politik eine Bewegung wie den Frauenstreik nicht ignorieren. Die amtshöchste Schweizerin streikte bereits 1991 mit, damals als Medizinstudentin in Basel. Heute setzt sie sich dafür ein, dass während der Nationalratssitzung morgen Freitag 15 Minuten Pause eingelegt werden. Zeit für ein Foto vor dem Bundeshaus, um sich mit den Streikenden zu solidarisieren. Immerhin. Denn obschon sich SVP-Nationalrat Andreas Glarner klar gegen die Pause ausspricht, wurde über den Vorschlag abgestimmt. Die Mehrheit sprach sich klar für den Ordnungsantrag aus.
Dass Nationalratspräsidentin Carobbio sich solidarisch den Anliegen des Frauenstreiks gegenüber positioniert und nach Sessionsende ins Tessin fährt, um an Aktionen teilzunehmen und eine Rede zu halten, verwundert nicht. Auch, dass Bundesrätin Simonetta Sommaruga vor der anstehenden Bundesratssitzung in die Waadt reist, um dort mit Schulklassen über das Thema Gleichstellung in der Schweiz zu diskutieren, ist nicht überraschend. Streikbewegungen an sich entspringen meist dem politisch linken Ufer. Doch was ist mit den Frauen aus dem Mitte-rechts-Feld?
Wie es in einer Mitteilung heisst, unterstützt die bürgerliche Mitte generell die Werte und Forderungen wie Lohngleichheit oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Deswegen haben FDP, CVP, BDP, GLP zusammen mit Business and Professional Women Switzerland (BPW) und Alliance F eine Forderungserklärung verfasst, in der sie sich für die Chancengleichheit von Frauen und Männern aussprechen. Zudem wird der 14. Juni zum Aktionstag – gestreikt wird aber nicht.
Die FDP-Frauen unter Präsidentin Doris Fiala lancieren dafür eine nationale Plakatkampagne, die Geschlechterklischees hinterfragen soll. Mit Begriffspaaren wie zackig/zickig – jeweils unter ernst aussehenden Männer- beziehungsweise Frauenporträts – wollen die FDP-Frauen aufzeigen, dass Frauen und Männer in Politik und Wirtschaft noch immer nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt werden und so der Diskriminierung von Frauen entgegenwirken.
CVP-Bundesrätin Viola Amherd sieht die Rahmenbedingungen für die Gleichstellung der Geschlechter zwar als gesetzt, dennoch bestehe Handlungsbedarf – vor allem was die Betriebskultur und die Ausschöpfung von Alternativen, wie zum Beispiel flexible Arbeitsformen, betrifft. Deswegen hat die Verteidigungsministerin am 13. Juni zusammen mit der ehemaligen Bundesrätin Doris Leuthard und CVP-Kandidatinnen im Bundeshaus die Rolle von Frauen in Politik und Gesellschaft diskutiert. Denn für die CVP gilt: Frauen gehören ins Bundeshaus. Bis jetzt sind rund 40 Prozent der eingetragenen CVP-Kandidaturen für die anstehenden National- und Ständeratswahlen weiblich. Der langfristig geplante Event wurde auf den Vortag des Frauenstreiks gelegt, damit auch jene Parteikolleginnen, die am Freitag streiken möchten, teilnehmen können.
Beide vor einem halben Jahr gewählten Bundesrätinnen, FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter und CVP-Verteidigungsministerin Viola Amherd, teilen mit, dass sie weder selbst am Frauenstreik teilnehmen noch öffentlich auftreten werden. Beide Frauen werden ihrer Tätigkeit nachgehen und auch danach nicht an den Demonstrationen teilnehmen. «Ich habe mich schon beim ersten Frauenstreik nicht beteiligt und werde es auch jetzt nicht tun», sagt Keller-Sutter gegenüber annabelle. Es gebe in der Frauenfrage unterschiedliche Positionen, und die Anerkennung dieser politischen Vielfalt stärke das Bild der Frauen.