annabelle-Reportagenleiter Sven Broder findet es okay, gewisse Dinge für sich zu behalten. Als Hahn im Korb ist er deswegen auch auf der Redaktion der perfekte Geheimnishüter. Und was verheimlichen Sie?
Geheimnisse sind versteckte Akte der Grosszügigkeit, es sind Träume, Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte – etwa die Sehnsucht eines Mannes, der sich, wenn er sich von einer Frau angezogen fühlt, vorstellt, wie es wäre, an ihren Achseln zu riechen.» Dieser Satz ist nicht nur recht lang, er ist vor allem auch recht gut. Ich habe ihn in einer Bar gelesen, bei einem Bier und einer Zigarette, die ich eigentlich gar nicht geraucht habe. Jedenfalls in den Augen meiner Tochter nicht, die es immer so persönlich nimmt, wenn ich ein paar Jährchen meiner Lebenszeit mutwillig in Rauch auflöse. Als wäre mir die Zeit mit ihr nichts wert, nicht mehr wert zumindest als das Ziehen an diesem selbstmörderischen Glimmstängel. Das ist natürlich quatsch, aber erklären Sie einer 9-Jährigen mal so komplizierte Dinge wie Sucht, Verlangen, Gier, ohne im Gegenzug sämtliche hart erkämpften Erziehungsmaximen zur Disposition zu stellen. Ich darf rauchen und mich selbst ruinieren, weil ich erwachsen bin, du kein Glace mehr nach dem Zähneputzen, weil du ein Kind bist… irgendwie schwierig. Deshalb rauche ich heimlich. Mein persönliches kleines Geheimnis. Und spürte ich ein Verlangen, meine Nase in die Achselhöhlen fremder Frauen zu stecken – ich würde auch dies für mich behalten. Manchmal ist man sich selber gegenüber eben einfach ein bisschen grosszügiger.
Das ist okay. Geheimnisse sind das Schlösschen an unserem Tagebuch, die Darkrooms in unserem Bewusstsein, sie gehören zu uns, sie beeinflussen uns, sie machen uns zu dem, was wir sind, wie der Leberfleck am Hintern, die Warze am grossen Zeh.
Dies heisst nun aber nicht, dass man Geheimnisse in jedem Fall für sich behalten sollte. Denn das Verheimlichen eines Geheimnisses wirkt oft giftiger als das Geheimnis selbst. Und damit wären wir zurück bei Frank Warren, von dem der eingangs zitierte Satz stammt. Warren ist Geheimnis-Hüter. Seit 2005 vertrauen ihm fremde Menschen Dinge an, die sie zuvor noch nie jemandem erzählt haben, auf einer Postkarte, geschickt an: 13 345 Copper Ridge Rd, Germantown, Maryland 20 874, USA. Warum? «Ich glaube, weil sie etwas loslassen wollen. Ein Geheimnis aufzuschreiben und es abzuschicken hat eine reinigende Wirkung. Wer so etwas tut, will hinterher nicht bewertet werden und braucht auch niemanden, der seine Probleme löst», meinte er in einem Interview mit dem «Zeit-Magazin».
Vielleicht bin ich bei annabelle deswegen ein kleiner Frank Warren. Weil ich ein Mann bin. Dem Hahn im Korb vertrauen Frauen, so habe ich festgestellt, nämlich Dinge an, die sie sonst nur ihren besten Freundinnen erzählen. Wenn überhaupt. Erzählt mir eine Arbeitskollegin zum Beispiel, dass sie in öffentlichen Toiletten die Kloschüssel vor jedem Stuhlgang mit Papier auslegt, damit es dann nicht so «peinlich plumpst», finde ich das einfach nur interessant, total wertfrei. Ich käme zwar selber nie auf diese Idee, aber ich bin ja auch ein Mann. Ich habe mir deshalb überlegt, den Service des Geheimnis-Hüters zu importieren und Ihnen, liebe Leserinnen, exklusiv zur Verfügung zu stellen.
Wollen Sie also dringend etwas loswerden, senden Sie eine Postkarte an: Sven Broder, Redaktion annabelle, Werdstrasse 21, 8021 Zürich.