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«Ich bin halt ein Schattenpflänzchen»

«Ich bin halt ein Schattenpflänzchen»

  • Text: Dinah Leuenberger

Aufgrund einer seltenen Erbkrankheit verträgt Brigitte Brunner kein Sonnenlicht. Ein Leben in der Dunkelheit kommt für sie aber nicht infrage.

Brigitte Brunner ist etwa fünf Jahre alt, als sich ihre Haut plötzlich anfühlt wie Salami. Auch ihre zwei Schwestern entwickeln Hautprobleme und so vereinbart ihre Mutter einen Termin beim Dermatologen. Mit gravierenden Folgen: Der Arzt rät, möglichst oft an die Sonne zu gehen, damit sich die Haut regenerieren kann. Eine Fehldiagnose, die eine seltene Erbkrankheit, an der die drei Schwestern leiden, erst richtig zum Ausbruch bringt.

Die heute 56-jährige Brigitte Brunner ist, wie nur gerade mal rund 10’000 Personen weltweit, betroffen von Xeroderma Pigmentosum, kurz XP. Bei Brigitte Brunner ist die Krankheit ausgebrochen, weil ihre beiden Eltern Träger der Krankheit waren, ohne dies zu wissen. Den betroffenen Personen fehlt seit der Geburt ein wichtiger Schutzmechanismus des Körpers: Schäden am Erbgut, die durch UV-Licht verursacht werden, kann ihr Körper nicht wie bei gesunden Menschen selbst heilen. Als Folge entwickeln sich aus den Hautschäden früher oder später weisser Hautkrebs sowie Basaliome, bösartige Tumore in der Oberhaut. So auch bei Brigitte Brunner. Weil sie sich nicht speziell gegen das Sonnenlicht schützte, entwickelte ihre Haut Tumore, besonders das Gesicht war betroffen, weil diese Partie am ehesten der Sonne ausgesetzt ist.

Die richtige Diagnose erhielt Brigitte Brunner schliesslich mit 18 Jahren, kurz nach ihrer ersten Krebsoperation: «Davor war es sehr schwierig, nicht zu wissen, an was ich leide. Es ging nicht vor- und nicht rückwärts.» Nach der Diagnose konnte zum ersten Mal konkret gegen die Krankheit vorgegangen werden. Brigitte Brunner begann, sich gegen die UV-Strahlen zu schützen. «Das Schwierige ist aber, dass der Körper ja Sonnenlicht braucht, ohne dieses fehlt das wichtige Vitamin D.» Trotz vieler Schutzmassnahmen hatte sie weiterhin ein bis zwei Operationen pro Jahr, um den neu gewachsenen Krebs in Schach zu halten. Bis die Haut zum Operieren nicht mehr ausreichte und man ihr Teile der Nase, der Lippe und des Ohrs hätte entfernen müssen.

Doch eine Woche vor der Operation wurde sie in die Studie eines neuen Medikaments aufgenommen. «Im allerletzten Moment», erinnert sich Brigitte Brunner. «Diese Operation hätte mich sehr stark belastet.» Obwohl die Medizin konsequent nach neuen Heilungsmethoden sucht, kann die Krankheit bis heute nicht geheilt werden. Bei Brigitte Brunner konnte das Wachstum des Hautkrebs durch das neue Medikament jedoch etwa um ein Zehnfaches verlangsamt werden. Starke Nebenwirkungen sind allerdings die Konsequenz: Weil das Medikament ähnlich wie eine Chemotherapie wirkt, ist Brigitte Brunner oft müde, zudem leidet sie an Geschmacksverlust und an starkem Haarausfall, weswegen sie auch schon gefragt wurde, ob sie denn ihre Rechtsradikalität so offen zeigen müsse.

Doch Brigitte Brunner ist eine Kämpferin: Sie hat sich an solche Sprüche gewöhnt und gibt den Leuten eine direkte, ehrliche Antwort: «Ich habe Krebs und will diese Krankheit nicht verstecken.» Eine Perücke besitzt sie zwar, zieht sie aber selten an. Auch, weil ihr Umfeld so verständnisvoll mit der Krankheit umgeht. Ihr Leben will Brigitte Brunner nicht nach der Krankheit ausrichten: «Ich tue eigentlich alles, was ich will und versuche, das Positive zu sehen. Weil ich Haarausfall habe, muss ich zum Beispiel nicht mehr zum Coiffeur und spare Geld.» Die Nebenwirkungen sind für sie aushaltbar, weil sie durch die Therapie in den letzten Jahren keine Operation mehr hatte, sich der Krebs nicht entwickelte. «Meine Lebensqualität hat sich dadurch extrem verbessert.»

Weil bei ihr die Stärke der Krankheit im mittleren von fünf Schweregraden liegt, braucht sie keine komplette Schutzbekleidung für den Tag. Allerdings beginnt jeder Morgen mit dem Auftragen einer dicken Sun-Blocker-Schicht. Auch kurzärmelige Kleidung meidet sie und in der Zeit zwischen zehn und zwei Uhr nachmittags trifft man sie selten draussen an; «und wenn, dann sicher nur im Schatten. Ich bin halt ein Schattenpflänzchen.»

Trotz der erschwerten Bedingungen sind Brigitte Brunners Tage ausgefüllt: Die ausgebildete Architektin plant eigene Projekte und hilft bei Umbauten von Freunden mit. Daneben leitet sie in der ganzen Schweiz Curlingtrainings. Sie selbst blickt auf eine erfolgreiche Curling-Profikarriere zurück, spielte an Welt- und Europameisterschaften. Den Sport hat sie aber nicht ausgesucht, weil er in der Halle ausgeübt wird. «Das ist natürlich für mich sehr praktisch, aber vor allem bin ich durch meinen Vater, früher ebenfalls ein aktiver Curler, dazu gekommen.» Besonders schön findet sie, dass auch ihre Kinder den Sport leidenschaftlich ausüben. Die Arbeit mit den Junioren macht ihr viel Spass und ist gleichzeitig Ablenkung: «So denke ich nicht immer an die Krankheit, vergesse die Nebenwirkungen.»

In der Sporthalle fällt Brigitte Brunner auf: Der türkisblaue Faserpelz und die passende Wollmütze leuchten, wenn sie auf den Curlingschuhen flink herumdüst. «Curling ist einfach mein Sport.» Aber auch in anderen Sportarten ist Brigitte Brunner aktiv: «Natürlich nicht im Segeln, das ginge nicht. Aber ich fahre gern Ski, da ist man ja sowieso dick eingepackt.» So plant sie auch ihre Ferien eher im Norden als im Süden. «Man kann nicht sagen, dass ich die Nacht lieber habe als den Tag, aber den Winter, den hab ich gern!»

– Weitere Informationen: xerodermapigmentosum.de

 

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Brigitte Brunner ist aktiv im Curlingsport, von der Krankheit will sie sich nicht einschränken lassen.