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Helen Mirren im Interview

Leben

Helen Mirren im Interview

  • Interview: Jacqueline Krause-Blouin; Foto: Ascot Elite

Die grossartige Schauspielerin ist auch mit siebzig noch gross im Geschäft. Beim Interview in London spricht die Britin über ihre Hassliebe zur Presse, Feminismus in Hollywood und Donald Trump. Und verliert am Schluss die Contenance.

annabelle: Helen Mirren, in Ihrem neuen Film «Trumbo», der in der Nachkriegszeit spielt, geht es um Zensur und die Einschränkung der freien Meinungsäusserung. Was glauben Sie, lässt sich die Facebook-Generation von so einem Thema begeistern?
HELEN MIRREN: Ich denke, viele werden sich fragen: Ist das wirklich passiert? Als ich als junger Mensch von der Hexenjagd auf die Kommunisten erfahren habe, habe ich mir auch gedacht: Das ist so unamerikanisch, so gar nicht «land of the free». Und was ist schon Freiheit, wenn nicht seine eigenen Ideen und politischen Ansichten zu haben?

War Politik ein Thema in Ihrer Familie?
Oh ja, mein Vater war selbst Mitglied der Kommunistischen Partei. Er ging an antifaschistische Märsche. Wenn man damals nicht Sympathien in diese Richtung hatte, war man doch ein – fast hätte ich Idiot gesagt. Aber wirklich, jeder mit Anstand und einem Sinn für Gerechtigkeit musste doch für die Gewerkschaften sein, weil die Arbeiter massiv ausgebeutet wurden. Wenn man über das menschliche Leben nachdenkt, muss man doch einfach derartige Schlussfolgerungen ziehen. Es ist kein Wunder, dass Intellektuelle eher links sind.

Hat die Filmindustrie eine soziale Verantwortung?
Ja, Filme waren und sind eine unglaublich starke Propagandamaschine. Im Zweiten Weltkrieg wurde das ja auch sehr erfolgreich eingesetzt. Film hat nach wie vor sehr viel Kraft und ist auch gefährlich: Man kann derart gut manipulieren. Unsere Aufgabe als Künstler ist es, die Gesellschaft und die Welt um uns herum zu hinterfragen und zu reflektieren. Komischerweise ist es oft so, dass man versucht, die Stimme der Künstler zu unterdrücken. Es ist schockierend, was mit Künstlern passiert in Ländern, in denen freie Meinungsäusserung nicht existiert. Ich denke da besonders an die iranische Poetin.

Sie sprechen von Hila Sedighi, die ohne Angabe von Gründen verhaftet wurde. Aber ist im «land of the free» freie Meinungsäusserung wirklich noch ein Thema?
Ja, denn im Moment gibt es eine neue Welle von politischer Korrektheit. Ich meine nicht in der Politik, sondern in der Gesellschaft. Ich selbst bin eine grosse Verfechterin der Komik. Stand-up Comedians haben Macht. Denken Sie nur an Shakespeare, in «King Lear» war der Hofnarr der Einzige, der die Wahrheit sagen durfte. Ich finde es sehr schade, dass uns politische Korrektheit daran hindert, die Wahrheit auszusprechen. Das ist unerfreulich und vielleicht sogar gefährlich.

Die Meinungsäusserung der US-Republikaner ist ziemlich frei und durchaus beängstigend.
Donald Trump! (Verzieht das Gesicht) Nun, auf eine komische Weise ist er harmloser als viele. Das Problem ist, dass man absolut unbedingt freie Meinungsäusserung für alle will, jedoch keine Hassreden. Es wäre sehr interessant zu sehen, was mit den USA passieren würde, wenn die extremen Rechten regieren würden. Die Ted Cruzes und Marco Rubios dieser Welt. Offenbar gibt es in Amerika ein Verlangen nach ganz extremen Stimmen. Mich würde daran auch interessieren, was es für einen Einfluss auf die Kultur hätte. Die Kunstförderung wäre jedenfalls als Erstes gestrichen.

Viele Menschen kennen Ihren Namen besser als den von Politikern. Sind Sie sich Ihrer Macht bewusst?
Nun, vielleicht, auf eine sehr wunderliche Art. Aber wissen Sie, ich kritisiere mich selbst sehr oft dafür, dass ich nicht öfter den Mund aufmache und die Dinge unterstütze, an die ich glaube. Manchmal bin ich etwas müde, meine Prominenz für politische Statements zu nutzen. Aber vergessen Sies, dumme Ausreden! Man sollte einfach sagen, was man denkt. Und das tue ich nicht oft genug. Ich bin zu vorsichtig.

Haben Schauspieler in Hollywood nicht generell Angst davor, ihre Meinung auszudrücken?
Ja, man möchte doch gemocht, nein, geliebt werden. Ein weiteres Problem ist, dass einem die Worte im Mund umgedreht werden. Sogar wenn ich jetzt mit Ihnen rede, möchte ich gern ungezwungen sprechen, habe aber gelernt, dass man das nie darf. Man muss immer aufpassen. Ein Nebensatz oder eine ironische Bemerkung kann plötzlich zur Headline werden.

In der Academy der Oscars sind 94 Prozent der Jurymitglieder weiss und 77 Prozent männlich. Wird sich da etwas verändern?
Ja, die Präsidentin der Academy, die eine gute Freundin von mir ist, wird sich darum kümmern. Das sind notwendige Veränderungen. Aber meiner Meinung nach ist nicht nur die Academy das Problem, sondern die Prozesse, die sich abspielen, bevor ein Film überhaupt zu den Oscars kommt, etwa bei der Besetzung. Mein Mann, ein weisser Regisseur, ist übrigens dafür verantwortlich, dass zwei schwarze Schauspieler einen Oscar gewonnen haben. Aber in Hollywood ist es wie mit dem Huhn und dem Ei – was war zuerst? Man muss also auch das Publikum kritisch unter die Lupe nehmen: Sagt das Publikum uns, was wir produzieren sollen, oder sagen wir dem Publikum, was es konsumieren soll?

Ihre Kollegin Patricia Arquette wurde während ihrer Oscar-Rede 2015 ungewöhnlich politisch, als sie gleiche Gagen für Mann und Frau forderte.
Ich habe ihre Rede geliebt. Man könnte denken, dass die Oscar-Verleihung nicht die richtige Veranstaltung für solche politischen Äusserungen ist, aber sie wusste, die ganze Welt hört zu. Und interessanterweise hatte ihre Rede Einfluss auf die Politik. In Kalifornien wurde einige Monate später ein neues Gesetz für Lohngleichheit verabschiedet. Ich bewundere sie sehr dafür.

Auch Jennifer Lawrence und Emma Watson prangern die Ungerechtigkeit gegenüber Frauen an. Verglichen mit dem, was Sie in den Sechzigern durchgemacht haben, muss das dennoch wie ein Witz für Sie klingen. Klagen diese jungen Frauen auf hohem Niveau?
Auf gewisse Weise ja. Aber die jungen Frauen von heute sind absolut fantastisch. Was ich so toll finde, ist, dass sie keine Angst haben, diese Themen anzusprechen. Und der Zeitgeist ist auf ihrer Seite. Uns hat damals niemand zugehört, und ich mache auch die Medien dafür verantwortlich. Als junge Schauspielerin konnte man in Interviews über Feminismus sprechen, bis man blau anlief, aber kein Wort davon wurde gedruckt.

Wann haben Sie gespürt, dass sich etwas ändert?
Ich wurde älter (lacht). Einer der grössten Vorteile des Älterwerdens ist, dass man den ganzen Mist nicht mehr einfach hinnehmen muss. Und die Sichtweisen haben sich verändert. Früher wurde man ausgelacht, wenn man protestiert hat, also musste man auf die Zähne beissen. Die Schwierigkeit ist trotzdem, dass man heute vielleicht vor Gericht gewinnt, aber die Karriere danach trotzdem vorbei ist. Hollywood mag kein Gejammere.

Über Ihre Filmfigur, die Klatschjournalistin Hedda Hopper, die Hollywoodstars damals in Angst und Schrecken versetzte, haben Sie die Theorie entwickelt, dass sie sexuell missbraucht wurde. Warum?
Es war ihre Beziehung zu Chaplin, die mich stutzig gemacht hat. Sie war so hart und hasste ihn abgrundtief. Sie hat ihn gejagt, diesen genialen Künstler. Sie glaubte nicht an Kunst. Sie mochte Filmstars wie John Wayne, aber keine komplexen Künstler, die etwas Nuanciertes über das menschliche Wesen zu sagen hatten. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie so verbissen war. Nun, die Figur Charlie Chaplin ist umstritten. Sie hielt ihn für einen Pädophilen, und es stimmt, er mochte junge Frauen. Aber das Problem bei vielen Journalisten ist, dass sie etwas kritisieren, das sie gleichzeitig auf eine kranke Art verherrlichen. Es gab damals ein junges Mädchen, das behauptete, schwanger von Chaplin zu sein. Das Gegenteil wurde zwar bewiesen, das stoppte aber Hedda Hopper nicht. Sie war dafür verantwortlich, dass Chaplin die USA verliess. Ich habe schliesslich herausgefunden, dass Hoppers erster Ehemann sehr viel älter war als sie. Ausserdem kam sie als junge Schauspielerin nach New York, und man weiss heute, dass Mädchen zu der Zeit Dinge hinnehmen mussten, für die Männer heute im Gefängnis landen. Man spürt diese Verbitterung in ihr.

Auch Sie haben in Ihrer über 50-jährigen Karriere einiges erlebt, sind Sie nachtragend?
Manchmal schon. Aber ein weiterer Vorteil des Älterwerdens ist, dass man weniger Sinn darin sieht, nachtragend zu sein. Oft ist es reine Zeitverschwendung. Aber es gibt durchaus Grausamkeiten, die ich nicht vergessen kann. Ich denke da an meinen Kollegen Nigel Hawthorne, in meinen Augen der beste Schauspieler der Welt und zufällig schwul. Es war kein Geheimnis, und er war seit dreissig Jahren mit seinem Partner zusammen, ging mit ihm an öffentliche Veranstaltungen – nur hatte er nie in einem Interview explizit gesagt «Ich bin schwul». Für «The Madness of King George» war er für einen Oscar nominiert, doch am Tag der Verleihung kam ein Artikel heraus: «Die Schwuchtel spielt den König.» Das war dermassen bösartig und homophob, sein angebliches Liebesnest wurde gezeigt, das Haus, in dem die beiden seit dreissig Jahren zusammengelebt hatten (weint). Tut mir leid, ich weine, weil es mich so wütend macht (denkt lange nach). Ich muss herausfinden, wer dieser Journalist war!

«Trumbo» von Jay Roach: ab 3. März im Kino