Haustiere: Die Beziehung zwischen Mensch und Hund
- Text: Silvia Aeschbach; Foto: Sean Ellis/Courtesy Schirmer/Mosel
Nie hätte unsere Autorin gedacht, dass der Tod ihrer Hündin Jil sie so mitnehmen könnte. Ein Essay über die zunehmend symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Vierbeiner.
Ich sass heulend auf dem WC. Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig. Es war mein zweiter Tag im neuen Job. Draussen wartete mein Team auf die Morgensitzung. Und hier sass ich, ein Häufchen Elend, und konnte nicht aufhören zu weinen. Jil, unsere elfjährige Hündin, ein wunderschöner Podenco, war in der Nacht an multiplem Organversagen gestorben. Wir hatten sie am Abend ins Spital gebracht. Die Ärztin schickte uns mit beruhigenden Worten nachhause. Ein paar Stunden später der Anruf, Jil sei gestorben. Ich war am Boden zerstört.
Hätte mir zehn Jahre früher jemand gesagt, dass ich so um einen Hund trauern würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Wie tief die Liebe zu einem Haustier gehen kann, weiss ich erst, seit ich selber Tiere habe.
Rund 500 000 Hunde leben in der Schweiz. Sie sind Helfer im Alltag, beste Freunde, Ersatz für Partner und Familie. Warum wächst ihr Stellenwert ständig? Warum ihr fast schon menschlicher Status? Sind sie eine Kompensation für die immer komplizierter werdenden zwischenmenschlichen Beziehungen? Wir sind dauernd am Arbeiten, soziale Kontakte zu pflegen ist anstrengend. Ein Hund wird immer Freude haben, wenn wir am Abend heimkommen. Und er stellt keine unangenehmen Fragen. Er ist einfach da.
Der Hund, ein Familienmitglied
So war es auch bei uns. Jil gehörte zur Familie. Und wenn sie mich mit ihren grünen Augen musterte, hatte ich immer das Gefühl, dass sie spürte, wie ich mich fühlte. War ich traurig, suchte sie meine Nähe, liess sich stundenlang streicheln. Manche Träne tropfte auf ihr braunes Fell. Nur etwas mochte sie nicht: Wenn mein Mann und ich uns stritten, dann verzog sie sich subito. Dass Hunde menschliche Gefühle erkennen können, darauf schworen bis anhin vor allem wir Hundebesitzer. Doch seit diesem Frühjahr gibts dafür den wissenschaftlichen Beleg der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Es spreche sogar einiges dafür, berichten die Forscher im Fachmagazin «Current Biology», dass Hunde nicht nur tatsächlich menschliche Gesichtsausdrücke lesen können, sondern sogar «ein lächelndes Gesicht als positiv, ein wütendes als negativ empfinden.» Kein anderes Haustier hat diese Fähigkeiten.
Arthur Schopenhauers Bemerkung «Seitdem ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere» ist heute aktueller denn je. In unsicheren Zeiten, in einer Welt, in der sich Verrückte bis aufs Blut quälen und der Sinn für Menschlichkeit generell abhanden zu kommen scheint, ziehen sich immer mehr Menschen ins Private zurück, umgeben sich mit ihren Liebsten – und der Hund als Rudeltier gehört natürlich dazu. Mensch und Hund ticken sehr ähnlich, haben die gleichen Grundeigenschaften: Sie sind bindungsfähig und brauchen ein soziales Netzwerk. Eine neue australische Studie hat sogar ergeben, dass in der Beziehung von Hund und Mensch genau das gleiche «Kuschelhormon» wie bei einer Mutter und ihren Kindern ausgeschüttet wird. Nach nur drei Minuten Zweisamkeit sind bei beiden stetig steigende Oxytocin-Levels im Blut messbar. «Es ist bewiesen, dass das Neuropeptid Oxytocin mitverantwortlich ist für die enge Bindung», sagt Jessica Olivia, verantwortliche Studienleiterin der Monash University. Und diese Muttergefühle spüren auch Männer.
Ich habe mich bewusst gegen Kinder entschieden. Und natürlich hätte ich es immer weit von mir gewiesen, hätte jemand behauptet, dass Jil für mich ein Kinderersatz sei. Dennoch war ich überrascht, welch starke Gefühle ich für meinen Vierbeiner entwickelte. Jil war vielleicht nicht mein Kind, aber sie war mit Sicherheit meine beste Gefährtin.
Auch sie sind ein Team: Conny und Hanna. Die Bindung zwischen der Controllerin, 43 Jahre alt, und der springlebendigen Jack-Russell-Dame ist eng. «Die Männer in meinem Leben sind gekommen und gegangen, Hanna ist geblieben», sagt Conny und lacht. Da Conny 80 Prozent arbeitet, verbringt Hanna vier Tage in der Woche in einer Hundebetreuung. Diese unterscheidet sich nicht wesentlich von einer Spielgruppe für kleine Zweibeiner. Die Hunde dort – auffällig viele tragen menschliche Vornamen, sie heissen nicht mehr Bello, Purzel oder Struppi, sondern Bruce, Lotte oder Mia – tollen miteinander herum und werden mit spielerischen Übungen gefördert. Und diese neuen Hundespielgruppen boomen vor allem in den Städten. Inka Gerstenberg und Christian Töpper führen die Hundebetreuung Rasselbande Zürich. Auf einem 2500 Quadratmeter grossen Grundstück samt beheizbarer Halle betreuen die beiden jungen Deutschen ausserhalb von Zürich täglich die Hunde, die sie zuvor bei den Besitzern abgeholt haben. In letzter Zeit würden sie von Anfragen «geradezu überschwemmt», erzählt Töpper. «Immer mehr Berufstätige wollen eine gute Hundebetreuung während ihrer Arbeitszeit», sagt Inka Gerstenberg, die sich zwei Jahre lang zur Hundetrainerin ausbilden liess. 45 bis 60 Franken pro Tag lassen sich die Hundebesitzer das kosten, Abhol- und Lieferservice inklusive.
«Abends, wenn sie aus der Hundegruppe kommt, ist meine Kleine immer total fertig», sagt Conny, die jeden Abend für Hanna kocht. Ihr Hund frisst kein billiges Fertigfutter, sondern sorgfältig konzipierte Hundemenüs mit ausgewogenem Fleisch- und Gemüseanteil («Ich esse ja auch keinen Junk!»). Hat Conny frei, gehts mittwochs zum Agility-Hundesport, freitags bekommt Hanna eine Massage in einem neuen Wellnesscenter für Hunde. Und am Wochenende sind lange Spaziergänge angesagt. «Mit Hanna ist die Welt ein friedlicher Ort», sagt Conny. Gern zitiert sie auch ihren Lieblingsspruch von Erich Fried: «Für die Welt bist du irgendjemand, aber für irgendjemand bist du die Welt.»
Der Zürcher Psychiater Joe Hättenschwiler kennt solche Sätze. Er sagt: «Hunde geben Halt und spenden Lebensfreude. Das sehe ich häufig.» Und er beobachtet ausserdem, dass vor allem bei Frauchen der Hund einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. Gerade für junge Frauen sei ein kleiner Hund oft auch ein Accessoire, das ihren Stellenwert heben soll. Wohl nicht zufällig gehörten Ende 2014 bereits 13 der 25 meistvertretenen Hunderassen in der Schweiz dem Typ «klein» an, die häufigste neu registrierte Rasse war der Chihuahua – vor den Allzeitfavoriten Labrador und Border Collie.
Aber nicht nur junge Frauen lieben ihre kleinen Vierbeiner, sondern auch gestandene Mannsbilder. Ich erinnere mich an einen hünenhaften, älteren Mann, dem ich jeweils im Café begegnete. In seiner Begleitung waren immer zwei Chihuahuas namens Rocky und Rambo, die er mit Gipfeli fütterte. Heute sind nicht mehr Männer mit Babys die ultimativen Herzensbrecher, sondern Männer mit einem süssen Vierbeiner. Der Instagram-Account «Hot Dudes with Dogs» hatte innert weniger Wochen 100 000 Followers, unterdessen sind es an die 200 000. Die Erfinderin, Kaylin Pound, sagte gegenüber der «New York Post»: «Wenn es etwas gibt, das ich mehr liebe als Hunde, dann sind es heisse Jungs. Also fragte ich mich: Warum sollte man die beiden nicht zu einem echten Eye-Candy verbinden?» Und auch immer mehr männliche Stars posieren gern mit ihrem besten Freund. Wenn Hollywoodstar Ryan Gosling mit seinem Mischling George auftritt, schmilzt jedes Frauenherz. George hat übrigens seine eigene Facebook-Seite (Ryangoslingsdoggeorge) und darf sogar bei TV-Interviews mit ins Studio. Und er hat einen Frisurentrend gesetzt: Vor einigen Jahren liess ihm Gosling einen Irokesenkamm scheren, der viele Nachahmer fand. Vielleicht wird er jetzt dann auch den neuesten Frisurentrend, den sogenannten Dog Bun, eine Art Haarknoten, tragen.
Luxus für den Vierbeiner
Wenn es um unsere tierischen Freunde geht, ist den Schweizern selten etwas zu teuer: Zwischen November 2013 und November 2014 gaben wir rund 45 Millionen Franken allein für Hundefutter aus. Mit Tierarzt, Steuern und so weiter kostet ein Vierbeiner im Lauf seines Lebens locker so viel wie ein Kleinwagen. Als Jil krank war, bezahlte ich für ihre Behandlung im Tierspital mehrere Tausend Franken. Keine Frage, dass die geplanten Sommerferien gestrichen wurden. Und falls ich das Geld nicht gehabt hätte, ich hätte mich dafür verschuldet. Garantiert. Gleichwohl – bei aller Hundeliebe – tue ich mich doch schwer mit all den neuen Luxusleistungen, die immer mehr Leute ihrem Liebling angedeihen lassen: glutenfreies Futter gegen Lebensmittelintoleranzen, Physiotherapien gegen Altersgebrechen, Hunde-Yoga für mehr Beweglichkeit, der Besuch im Wellnesscenter inklusive Krallenpflege und Fellglanzspray oder die Konsultation einer Tierkommunikatorin, die behauptet, die Gedankenwelt des Hundes lesen und so zwischen Herrchen und Hund vermitteln zu können. Nicht zu vergessen das Abo für Dog TV, das die Vierbeiner bei Langeweile mit Tierfilmen unterhalten soll. In Amerika gibts sogar Zahnspangen für das nicht so wohlgestaltete Hundegebiss, Antidepressiva für Hunde, die unter dem Alleinsein leiden, und Burn-out-Behandlungen für die Dauergestressten.
Tanja Koch (40) führt den Fur Fairy Pet Spa an der Zürcher Goldküste. Die Hairstylistin, die während zwölf Jahren an den Pariser Modeschauen Models frisierte, arbeitet so gern mit Vierbeinern, weil dies «eine Herzenssache» sei. Sie verpasst den Hunden ihrer meist begüterten Kundinnen einen neuen Haarschnitt, bietet aber auch Aromatherapien oder Thalasso-Behandlungen mit Schlammpackung an. Zu ihren Spezialitäten gehört die «Delux Pfoten Pediküre», die Pfoten wieder «streichelzart» machen soll. «Sie besteht aus einer regulären Pedicure, danach werden die rissigen Pfoten mit Sheabutter und Kokosöl behandelt», so die Pet-Groomerin. Auf Wunsch lackiert sie natürlich auch die Nägel; passend zum Clutchbag der Hundebesitzerin. Doch – so oder so – noch das allerschönste Hundeleben geht einmal zu Ende. Und ist es so weit, werden die Lieblinge auf Tierfriedhöfen mit speziell gestalteten Grabsteinen beigesetzt. «Ruhe in Frieden, mein bester Freund.» In der Schweiz gibt es erste Tierkrematorien. Das modernste Europas wurde 2007 im aargauischen Seon eröffnet. Die Urne für die sterblichen Überreste der Tiere werden in verschiedenen Modellen mit Namen wie Schedar, Akropolis und Rhodos angeboten. Wer mag, kann auf der Website der Firma auch Geschichten und Erinnerungen an den besten Freund teilen.
Auch Jil ruht in Frieden in einer schlichen Sacramento-Urne aus rotem Ton. Als ich das eingeschriebene Paket auf der Post abholte, kam der ganze Abschiedsschmerz wieder hoch. Er konnte mich aber nicht davon abhalten, einen neuen Hund anzuschaffen. Inzwischen sind es sogar zwei, und sie machen mir doppelte Freude: Louis und Millie sind ehemalige Strassenhunde aus Spanien. Die beiden tragen weder Hundekleider noch Strasshalsbänder. Sie brauchen auch keine Physiotherapie oder Tierkommunikation. Kürzlich habe ich mir allerdings überlegt, ob ich den struppigen Louis statt in den kommunen Hundesalon nicht zu einem trendy Dog-Groomer bringen soll. Aber ich lasse es lieber bleiben. Louis liebt das Baden im Dreck. Einem Kind würde ich das nicht erlauben, Louis schon.
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Mit seiner Anmut und seiner aussergewöhnlichen Ausstrahlung stahl er nicht selten berühmten Models wie Kate Moss oder Eva Padberg die Show: Hund Kubrick hatte eine Präsenz und Lebensenergie, die sein Besitzer, der britische Modefotograf und Filmregisseur Sean Ellis, hingebungsvoll über zwölf Jahre dokumentierte. Den entsprechenden Bildband (Schirmer/Mosel) können wir Hundefreundinnen nur empfehlen.