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Hate-Speech-Expertin Sophie Achermann: «Meta gibt Menschen zur Jagd frei»

Hate-Speech-Expertin Sophie Achermann: «Meta gibt Menschen zur Jagd frei»

Mark Zuckerberg will auf Instagram, Facebook und Threads den Faktencheck abschaffen – und im Namen der Meinungsfreiheit Hasskommentare wieder vermehrt stehen lassen. Sophie Achermann, Geschäftsführerin der Public Discourse Foundation, ordnet ein.

annabelle: Meta-CEO Mark Zuckerberg sagte in seiner Videobotschaft vom 7. Januar 2025: «Wir werden zu unseren Wurzeln zurückkehren, Fehler reduzieren, unsere Regelwerke vereinfachen und die freie Meinungsäusserung auf unseren Plattformen wiederherstellen.» Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das Video gesehen haben?
Sophie Achermann: Ich finde es gefährlich, dass Zuckerberg das Moderieren von Inhalten als «Zensur» bezeichnet und ankündigt, die freie Meinungsäusserung «wiederherzustellen». Moderation und Zensur sind nicht dasselbe. Und Meinungsfreiheit bedeutet nicht: «Ich darf alles sagen, was ich möchte – egal, wie verletzend es ist.»

Wo hört Moderation auf – und wo fängt Zensur an?
Das ist keine einfache Frage. Beginnen wir mal mit der Bedeutung von «Moderation»: Wenn wir uns im öffentlichen Raum aufhalten – und da gehört das Internet dazu –, gelten für alle bestimmte Regeln. Im deutschsprachigen Raum nennen wir diese Online-Verhaltensregeln «Netiquette». Inhalte, die gegen diese Netiquette verstossen, zum Beispiel rassistische Äusserungen, werden moderiert. Das heisst, der Kommentar wird gelöscht.

Und was ist demnach eine Zensur?
Für die eine Seite wird immer zu wenig moderiert und für die andere Seite zu viel. Diese Komplexität muss man anerkennen und akzeptieren, dass es nicht in jedem Fall eine klare Antwort auf die Frage gibt. Was genau Meinungsfreiheit bedeutet, wo also beispielsweise die Grenzen zwischen Beleidigung und Sexismus verlaufen, sollte gesamtgesellschaftlich viel aktiver diskutiert und nicht einfach von einzelnen Plattformen intransparent entschieden werden.

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«Auf meinem Feed fragen sich aktuell viele Feminist:innen, ob sie auf Instagram noch sicher sind»

Wie könnte so ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs aussehen? 
Es braucht mehr Problembewusstsein und Sensibilisierung rund um das Thema Hassrede und Online-Diskurs. Und es fehlt nach wie vor an verlässlichen Daten und wissenschaftlichen Studien, um evidenzbasiert Lösungen zu diskutieren. Wir von der Public Discourse Foundation setzen uns genau dafür ein. Und wir sehen in unserer Arbeit immer wieder: Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Vielfalt. Freie Meinungsäusserung ist nicht immer angenehm auszuhalten.

Was meinen Sie damit?
Es kann passieren, dass ich Dinge lese, die mich verletzen, die ich respektlos finde, die gegen meine politische Haltung gehen – und all das aber stehen bleiben darf. In einer Demokratie muss das Platz haben.

Was wäre so ein Beispiel?
«Frauen können nicht Auto fahren.» Ich finde den Kommentar stereotypisierend und unverschämt – aber auch verletzende Meinungen sind bis zu einem gewissen Grad durch die Meinungsfreiheit geschützt. Man muss aber zwischen «Freedom of Speech» und «Freedom of Reach» unterscheiden: Die Plattformen hätten es in der Hand, solche Inhalte allenfalls nicht zu löschen, aber dem Kommentar nicht zur Verbreitung zu verhelfen. Zuckerberg weist hier aber in seinem aktuellen Statement klar die Verantwortung von sich.

Laut internen Dokumenten, die US-Journalist Casey Newton zugespielt wurden, dürfen auf Facebook und Instagram künftig queere Menschen als «geisteskrank» bezeichnet werden.
Wenn diskriminierende Hasskommentare wie diese künftig stehen bleiben, wird das Klima auf Social Media für viele Leute sehr ungemütlich. Auf X ist das schon passiert – und viele Menschen haben der Plattform deshalb den Rücken gekehrt. Meta gibt mit den neuen Richtlinien und der gewählten Rhetorik gewissermassen Menschen zur Jagd frei – und wird damit, passend zum aktuellen politischen Klima, marginalisierten Gruppen ihre Stimme nehmen. Auf meinem Feed fragen sich aktuell viele Feminist:innen, ob sie auf Instagram noch sicher sind.

Gäbe es nicht alternative Social-Media-Plattformen – und wenn ja, welche?
Es gibt Alternativen zu X, wie beispielsweise Blue Sky. Und in der Schweiz bieten auch Medien in den Kommentarspalten Diskursraum für Diskussionen. Es ist aber nicht so einfach, sich von einer Plattform zurückzuziehen, solange noch viele Menschen auf diesen Plattformen unterwegs sind. Wir als Public Discourse Foundation haben es uns zum Ziel gesetzt, Menschen Tools an die Hand zu geben, wie sie sich konstruktiv in den Diskurs einschalten und sich vor den Auswirkungen von Hassrede schützen können.

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«Demokratie funktioniert nur dann, wenn wir alle daran teilhaben können»

Was wollen Leute, die Hasskommentare schreiben, bewirken?
Das Ziel von Hassrede ist, bestimmte Menschen aus dem Diskurs auszuschliessen; sie von Plattformen zu verbannen. Demokratie funktioniert aber nur dann, wenn wir alle daran teilhaben können – und nicht, wenn es so hasserfüllt zugeht, dass es für einen Teil der Bevölkerung in der digitalen Öffentlichkeit nicht mehr auszuhalten ist.

Besteht die Hoffnung, dass sich die neuen Richtlinien immerhin auf Europa weniger stark auswirken werden?
Wir hoffen, dass in der EU die Auswirkungen nicht ganz so verheerend sein werden, weil das Gesetz über digitale Dienste gilt. Es verpflichtet die Social-Media-Plattformen dazu, gegen hasserfüllte Inhalte und Desinformation vorzugehen. Und auch in der Schweiz wird über Regulierung diskutiert. Der Bundesrat sollte dazu bald ein Gesetz vorlegen, welches dann vom Parlament debattiert und beschlossen wird.

Zuckerberg verweist in seiner Video-Botschaft auf die «Schwarmintelligenz»: Wie auf X sollen auch auf den Meta-Plattformen künftig andere User:innen dafür verantwortlich sein, mit sogenannten «community notes» einzuschreiten und Kommentare zu beanstanden. Was ist davon zu halten?
Das bedeutet, dass wir uns viel mehr einsetzen müssen. Wenn die Plattformen keine Verantwortung übernehmen, müssen wir es tun – so unfair das auch ist. Wir müssen uns für bessere Rahmenbedingungen, klare Regeln und Transparenz einsetzen. Und wir müssen Menschen dazu bringen, sich gegenseitig zu unterstützen und schützen.

Was heisst das konkret? 
Im Idealfall lassen wir uns von den Social-Media-Plattformen nicht vertreiben – und betreiben Gegenrede. Heisst also, Hasskommentare nicht einfach still zur Kenntnis zu nehmen, sondern zu reagieren, uns dagegenzustellen. Und Menschen, die Hass erfahren, zu supporten. Es ist online so viel einfacher, Zivilcourage zu zeigen als im Tram oder an der Supermarktkasse.

Warum das?
Online können wir uns viel besser schützen, indem man beispielsweise unter einem Pseudonym postet. Und der Handlungsspielraum ist grösser: Man kann den Kommentator konfrontieren – aber man kann auch einfach der betroffenen Person Solidarität aussprechen. Mich motiviert immer folgender Gedanke: Nur ein ganz kleiner Teil der User – 1 Prozent! – postet zwischen 50 und 70 Prozent aller Hasskommentare im Internet. Heisst im Umkehrschluss: Wenn wir uns alle an der Nase nehmen und Gegenrede betreiben, können wir diese 1 Prozent ziemlich schnell übertönen.

Sophie Achermann ist Geschäftsführerin der Public Discourse Foundation, die sie 2023 mitgegründet hat. Zuvor war sie Geschäftsführerin von alliance F und lancierte das Projekt «Stop Hate Speech», welches später in die Stiftung überführt wurde.

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