Zeitgeist
«Hasskommentare im Netz dürfen nicht unkommentiert bleiben»
- Text: Marie Hettich
- Bild: Stocksy
Im Rahmen des Projekts «Stop Hate Speech» vom Schweizer Frauendachverband Alliance F werden mit einem Algorithmus Hasskommentare im Netz aufgespürt. Eine Community aus Freiwilligen reagiert dann darauf.
Bis heute ist die Ansicht weit verbreitet: Diskriminierende und beleidigende Kommentare im Netz sollten am besten ignoriert werden. Don’t feed the troll – schenkt dem Troll keine Aufmerksamkeit. Doch diese Taktik habe nicht funktioniert, sagt Sophie Achermann, Co-Projektleiterin von «Stop Hate Speech» und Geschäftsführerin von Alliance F. «Jetzt gehört das Internet den Unverschämten.»
Das vom Schweizer Frauendachverband Alliance F gerade gestartete Projekt «Stop Hate Speech» setzt darum genau gegenteilig an: Hasskommentare auf Social Media oder Medienplattformen sollen anhand eines eigens entwickelten Algorithmus ausfindig gemacht und dann von einer Community aus freiwilligen Helfer*innen kommentiert werden – beispielsweise mit einem simplen «Das ist nicht okay.» Im Fachjargon heisst das: Counter Speech – die aktive Gegenrede.
Was am besten kommentieren, damit die Trolle verstummen?
Zusammen mit der ETH und der Universität Zürich wird Alliance F in den kommenden Monaten zudem untersuchen, welche Form von Counter Speech am effektivsten ist – und ihre Erkenntnisse dann der Community zur Verfügung stellen. Schon jetzt gibt es für registrierte User*innen Tipps auf der Website, wie man auf Hate Speech reagieren kann; ausserdem kann sich die Community untereinander austauschen.
Gebaut wurde der Algorithmus basierend auf den Einschätzungen von rund 600 bunt zusammengewürfelten Personen. Wenn mindestens drei Personen einen Kommentar als Hate Speech eingestuft haben, wird er nun vom Algorithmus erkannt.
«Ich habe bis vor Kurzem selbst nicht reagiert, wenn ich irgendwo auf Hate Speech gestossen bin. Mir war das zu anstrengend – und ich hätte mich auch allein gefühlt», erzählt Achermann. «Aber es kann nicht sein, dass wir uns nicht verantwortlich dafür fühlen, was im Netz passiert. Wenn im Zug eine Person rassistisch beleidigt wird, ist für viele doch mittlerweile selbstverständlich, die Stimme zu erheben.»
Es gehe weniger darum, zu versuchen, die Trolle umzustimmen, so Achermann. Vielmehr sei wichtig, dieser «kleinen, sehr lauten Minderheit» etwas entgegenzusetzen. Zu zeigen: Sehr viele Menschen ticken anders, als es die Kommentarspalten vermuten lassen. «Schon allein, wenn man an die vielen Jugendlichen denkt, die mitlesen, dürfen Hasskommentare wie rassistische, sexistische oder queerphobe Aussagen nicht unkommentiert stehen bleiben. Es braucht ein Gegengewicht – sonst kann es gefährlich werden.»
Medienkompetenz und Zivilcourage stärken
Dass Hasskommentare einfach entfernt werden, ist für Achermann nicht per se die beste Option. «Wir von Alliance F sind davon überzeugt, dass die Gesellschaft ihre Medienkompetenz sowie ihre Zivilcourage im Netz stärken muss», sagt sie. Ausserdem würden Erfahrungen zeigen, dass Trolle aufhören, wenn sie mehrmals zurückgewiesen werden.
Das Ziel von «Stop Hate Speech»: eine Diskussionskultur im Netz schaffen, in der sich alle wohlfühlen. «Wir setzen uns für Meinungsvielfalt ein. Aktuell trauen sich aber viele gar nicht erst, ihre Meinung kundzutun, weil die Diskussionskultur so gehässig, diskriminierend und unkonstruktiv ist. Das ist indirekt eine Beschneidung der Meinungsfreiheit vieler anderer», sagt Sophie Achermann.
Gerade Frauen sind im Netz extrem häufig von Hate Speech betroffen. «Sobald ein Interview mit einer Politikerin veröffentlicht wird, kann man davon ausgehen, dass es etliche Hasskommentare gibt», so Achermann. «Es darf auf keinen Fall passieren, dass Frauen aus dem öffentlichen Diskurs immer mehr verdrängt werden und irgendwann ganz verstummen – aus lauter Angst, aufgrund ihres Geschlechts sexualisiert, beleidigt und gedemütigt zu werden.»
Mehr Infos zum Projekt «Stop Hate Speech» sowie die Anleitung zum Mitmachen finden Sie hier.