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Die Handysucht nimmt überhand

Leben

Die Handysucht nimmt überhand

  • Text: Stephanie Hess, Foto: Gilles Lambert / Unsplash

Was könnte ich eigentlich mit all der Zeit anfangen, die ich meinem Handy widme? Das fragt sich unsere Autorin Stepahnie Hess und berichtet über die Beziehung zum digitalen Alltagsbegleiter. 

Ich wusste lange nicht, dass ich ein Problem habe. Ich las für eine Recherche ein Buch, installierte eine App, dann dieses Ergebnis: Pro Tag verbringe ich knapp zwei Stunden am Handy! Zeit ablesen. Wetter nachschauen. Mails checken. Musik hören. Whatsapp. Facebook. Jassen. Und wieder von vorn. 38 Mal greife ich danach, also mehr als zweimal pro Stunde. Das sagt die App Moments, die mich seit einem Monat trackt – überbordenden Smartphone-Konsum kontrolliert man selbstredend mit dem Smartphone.

Was könnte ich alles in zwei Stunden täglich tun, würde ich mich nicht jede halbe Stunde ablenken lassen von einem aufleuchtendem Display? Ein ganzes Taschenbuch lesen. Ins Tessin fahren. Zwanzig Kilometer rennen. Mit meinem Göttibub baden gehen. Französisch lernen. Eine Minestrone kochen.

Ehrlicherweise muss ich eingestehen, dass ich meine Abhängigkeit auch früher hätte erkennen können. Bereits die reine schwarzglatte Existenz des Smartphones in meiner Tasche übt eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Vergesse ich es zuhause, ziept es im Moment des Bemerkens sehnsüchtig, fast traurig in meiner Brust. Wenn ich gestresst bin oder verzweifelt oder gelangweilt, dann ziehe ich mein Smartphone hervor wie ein Alki seine Flasche. Schon breitet sich eine samtene Sicherheit über mich, im Tram, an der Bushaltestelle, beim Warten im Restaurant. Mein Handy sorgt dafür, dass ich ein funktionierendes Mitglied dieser Gesellschaft bin, meine Arbeit zuverlässig erledige. Ich, die nie eine Armbanduhr trug, weiss immer, wie spät es ist. Bin ich spät dran, löse ich das Zugbillett beim Rennen auf den Zug. Oder miete ein Auto vom Carsharing-Anbieter und stelle das Navi auf dem Handy ein.

Ich merke schnell, ich bin nicht die Einzige mit diesem Problem, ja meine Ausprägung nimmt sich im Vergleich nachgerade harmlos aus: Amerikaner verbringen täglich 4 Stunden am Handy. Deutsche 3.5 Stunden. Für die Schweiz fand ich keine solche Aufschlüsselung, die Zahlen werden ähnlich sein. Eine Studie der Universität Bonn besagt: 88 Mal pro Tag schauen Menschen in Deutschland aufs Handy. Angeblich brauchen Menschen im Schnitt 24 Stunden, um zu bemerken, dass ihre Kreditkarte gestohlen wurde. Beim Handy sind es 7 Minuten.

Smartphones machen süchtig. Weshalb, liegt auf der Hand: Ihr Zweck besteht einzig darin, unser Herz zu erobern und damit unsere tippende Hand, die Apps herunterlädt, Werbung öffnet, Daten preisgibt. Die Verführung fängt bei der Haptik an. Wir streicheln stundenlang über glatte Oberflächen, das muss uns ja zärtlich stimmen. Nun, meine liebevollen Gefühle sind ob all dieser Zahlen, ob dieser Verschwendung zerbröckelt.

Ich benutze inzwischen wieder einen Wecker, trage meine Armbanduhr öfter. Und vergesse zuweilen absichtlich das Handy zuhause. Denn ich habe irgendwann gemerkt, dass dem schmerzlichen Ziepen in der Brust jeweils etwas folgte. Etwas, das ich bis dahin ignoriert hatte. Ein zartes, warmes Gefühl. Ähnlich beglückend wie die Smartphone-Sicherheit. Ich glaube, es war Erleichterung.