Hört auf zu wettern!
- Text: Kerstin Hasse; Foto: iStock
Warum sind Schweizerinnen und Schweizer so verrückt nach Wetter-Apps? Das wollte ein Kolumbianer von unserer Autorin Kerstin Hasse wissen. Ja, warum eigentlich?
Es war ein sonniger Nachmittag vor zwei Jahren. Meine Freundin hatte grad ihren Mann geheiratet, der aus Kolumbien in die Schweiz gezogen war, und das wurde mit einem Grillfest gefeiert. Ich fragte ihn, ob er sich schon gut in der Schweiz eingelebt habe. Er nickte und sagte: «Ich bin einfach erstaunt, wie bekümmert hier alle ums Wetter sind. Jede Schweizerin und jeder Schweizer verfügt über eine Wetter-App. Alle reden immer übers Wetter. Die grösste Sorge heute war nicht, was ich anziehe, sondern, ob die Sonne scheint.»
Ich war erstaunt. Einen Monat in der Schweiz, und das Erste, was einem Kolumbianer hier auffällt, ist die Schweizer Wetterneurose. Und natürlich hat er recht! Es fiel mir wie Schuppen von den Augen.
Es ist tatsächlich so: Mein Umfeld ist verrückt nach dem Wetter. Jeder und jede hat eine Wetter-App – und jede und jeder schwört darauf, dass diese App die beste und genauste ist. Der eine Arbeitskollege, ein Fotograf, benutzt nur die App von Meteo Schweiz, weil «diese App auch Gleitschirmflieger verwenden, und die müssen es ja wissen». Mein Mami empfiehlt allen Weather Pro und weiss immer schon, wie das Wetter in meiner nächsten Feriendestination wird. Wieder eine andere Kollegin ist sich sicher, dass die Landi-Wetter-App die beste ist. Darüber diskutieren, dass es vielleicht noch andere gute Applikationen gibt, mag eigentlich niemand. Wenn es ums Wetter geht, gibt es nämlich nur Schwarz und Weiss, nur Regen oder Sonnenschein. Du setzt aufs falsche digitale Pferd? Selber Schuld, dann wirst du halt nass, dein Auto verhagelt, dein Wochenende in den Bergen vernebelt.
Diese Wetterfixiertheit nimmt mitunter ein bizarres Ausmass an. Ich sass schon mit Freunden im Garten, da wurde anhand mehrerer Applikationen verglichen, wann der Regen am Nachmittag einsetzt. Es gab eigentlich keinen Grund, darüber zu reden, denn in diesem Moment schien grad herrlich die Sonne, alles war gut, wir hatten eine tolle Zeit. Dennoch wurde munter spekuliert. «Der Regen erreicht uns etwa um 17.33», meinte der eine und schob den Zeigfinger gekonnt über sein Display, um zu zeigen, wie das Wettertief über Zürich ziehen wird. «Ich glaube, es regnet schon früher», erwiderte die andere Freundin und zeigte auf ihre App, auf der es aus einer kleinen Gewitterwolke tröpfelte. «Also bei mir heisst es, dass es bis 20 Uhr trocken bleibt, das hab ich heute morgen schon gecheckt», meinte eine dritte Kollegin und lehnte sich entspannt im Liegestuhl zurück. Fehlte nur noch ein Wetterschmöcker, der einen Stein ableckt.
Als es dann tatsächlich um kurz vor halb sechs zu regnen begann und wir aufgeregt alle Flaschen und Teller ins Trockene balancierten, triumphierte mein Kollege mit erhobener Faust. «Was hab ich gesagt! Es regnet!» Das Gartenfest war dahin – und trotzdem habe ich bis dahin noch nie einen Menschen erlebt, der sich über Niederschlag freute.
Ich weiss nicht genau, woher diese Faszination fürs Wetter bei Schweizern kommt. Vielleicht hat das was mit unserem Faible für Perfektion zu tun. Das Wetter lässt sich zwar nicht kontrollieren, aber immerhin kann man es Minute für Minute analysieren. Und mit der entsprechenden Technik fühlt sich das schon fast ein bisschen wie Kontrolle an.
Ich habe übrigens keine Wetterapp, bis auf die von Apple, aber die taugt nichts, da immerhin sind sich alle Expertinnen und Experten in meinem Umfeld einig. Meist frage ich einfach in die Runde, wie das Wetter wird, dann zücken zwei oder drei Leute ihr Smartphone. Oder ich ruf mein Mami an, sie weiss auch immer Bescheid. Manchmal gehe ich aber auch ganz oldschool vor. Ich gehe am Morgen zum Fenster und schaue, wie der Himmel aussieht. Dann entscheide ich mich, ob offene Schuhe drinliegen oder nicht. No Risk no Sun.