Gummi-Manie auf Schweizer Flüssen
- Text: Sven Broder; Foto: iStock
Das Treiben auf unseren Flüssen wird unserem Autor Sven Broder zu bunt. Hier kann er mal richtig Luft ablassen.
Vermutlich hätte ich geschossen. Und sie hätte im ersten Moment aufgeschrien und um ihr regenbogenfarbenes Einhorn geweint. Dicke Tränen wären ihr übers Wangenrouge und über ihren wasserfesten Fond de teint gelaufen, während dem Fabeltier, das mit seinem Hals eben noch prall zwischen ihren nassen Beinen klebte, langsam die Luft ausgegangen wäre. Doch dann hätte sie sich auf ihr eigenes Wesen besonnen, auf das aufgeklärte, kultivierte, stolze Wesen, das sie zweifelsohne ist – bitte, ich möchte fest daran glauben! – und sie wäre mir dankbar gewesen. Denn es war ein unwürdiges Schauspiel, dem ich ein Ende gesetzt hätte. Sie war ganz lächerlich in Havarie geraten, drehte sich in einem zarten Strudel der trägen Limmat um die eigene Achse, blickte ratlos nach Höngg, zum Üetliberg, nach Höngg und wieder zum Üetliberg, während sie mit ihren pédicureverwöhnten Zehenspitzen zunehmend verzweifelt an der Wasseroberfläche paddelte, so unbeholfen wie ein Baby, das mit vollen Windeln, festgezurrt in der Lauflernhilfe Jungle Fun, ziellos durchs elterliche Wohnzimmer irrlichtert.
Doch ich hatte nichts zum Schiessen. Keinen Pfeil, kein Luftgewehr. Und ich war eigentlich auch ganz froh darüber. Denn auch dem Pärchen, das so schampar angestrengt verliebt aussah, weil im Grunde nonstop damit beschäftigt, seine eingeölten Fitness-Ärsche auf dem glitschigen Gummi-Sofa zu halten, ohne den billigen Sekt, den sie aus Wegwerf-Flûtes nippten, zu verschütten – ja, auch diesen beiden hätte ich sonst gerne die Luft unterm Hintern weggeschossen. Oder die wummernde Boom-Box versenkt, die diese zwei volltätowierten, aufgeblasenen Pirellimänner zusammen mit geschätzten zwanzig Litern Büchsenbier hinter sich herzogen, die GoPro Hero 6 auf der Stirn für ein digitales Filmli, das sich nie jemand mit ihnen zusammen anschauen wird. Nie! Oder die schwimmende Pizza, den Schmollmund, die Riesenkarotte oder die XXL-Gummiente mit XXS-Bibeli im Schlepptau. Und natürlich all diese Pseudo-Relaxten in ihren «Explorer Pro»-Böötli, die so tun, als wäre das alles wahnsinnig #lovelife, aber Zeter und Mordio schreien, wenn das Zigipäckli nass wird. Einfach mal zurücklehnen, sich treiben lassen – ha!, seid doch wenigstens ehrlich: Eine Flussfahrt im Gummiboot ist wie Gruppensex im Gumpischloss – ein ewiger, kräftezehrender Wettstreit um die richtige Position. Geil ist nur die Vorstellung.
Aber klar, am Montag regen wir uns wieder auf über die Plastiksäckli in der Migros und am Mittwoch kaufen wir Bio-Datteln aus Kreta, aber am Sonntag, ja, am Sonntag setzen wir uns alle wieder in unsere Donuts aus Polyvinylchlorid und zeigen der vorbeiziehenden, ach so prächtigen Natur unsere sonnengebräunten Hinterteile. Pffff – es geht definitiv bachab mit uns.