Reporter Frank Heer über das leidige Schreiben, das sein Beruf als Journalist mit sich bringt.
Gelegentlich überlege ich mir, den Beruf zu wechseln. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin gern Journalist und mag die Lizenz zum Fragen. Ich liebe an meinem Beruf fast alles – ausser das Schreiben.
Sie lachen. Doch stellen Sie sich vor, Ihr Zahnarzt ekelt sich vor Zähnen. Ein Fall für den Psychiater! Warum suchen Sie sich keinen anderen Job?, höre ich Sie sagen. Natürlich haben Sie recht, und es mangelt mir auch nicht an Vorstellungskraft. Mir kommen viele Berufe in den Sinn, die mir gefallen würden: Schlagzeuger bei der Rockband Queens of the Stone Age. Opernsänger oder ein berühmter Maler. Leider bin ich dafür nicht qualifiziert. Also schreibe ich. Reportagen, Interviews, Musikrezensionen. Porträts, Features, Glossen.
Gestern sah ich den Film «Spotlight». Er handelt von Reportern des «Boston Globe», die den sexuellen Missbrauch von Schülern durch einen Priester aufdecken. Toller Tatsachenfilm. Und wissen Sie was? Man sieht die Journalisten in keiner einzigen Szene ihre Artikel schreiben. Wird einfach ausgeblendet. Ein anderes Beispiel: «All the President’s Men». Die Aufdecker der Watergate-Affäre sitzen zwar ständig vor ihren Schreibmaschinen, doch nur um zu telefonieren.
Habe ich erwähnt, dass ich seit 25 Jahren Journalist bin? Man könnte denken, dass sich im Verlauf eines Vierteljahrhunderts so etwas wie Berufsroutine einstellt. Mitnichten. Das Einzige, woran ich mich gewöhnt habe, ist der Umstand, dass sich beim Schreiben keine Berufsroutine einstellt. Schreiben ist wie eine Krankheit, mit der man leben lernt. Schreiben ist anstrengend. Schreiben ist einsam. Schreiben ist die dunkle Seite des Journalismus.
Vielleicht sagen Sie jetzt, meine Kolumne lese sich ganz locker. Danke, das ist nett. Doch während ich diese Zeilen verfasse, fühle ich mich nicht wie Truman Capote, sondern wie Vincent van Gogh, bevor er sich das Ohr abschnitt. Ich glaube, dass das, was ich schreibe, ein Tauchlehrer auf Ibiza treffender formulieren könnte. Ich bin überzeugt, dass die Krümel in der Tastatur die Ursache für meinen Schreibstau sind. Ungeöffnete Post stapelt sich auf meinem Pult, und schmutzige Tassen setzen Schimmel an. Unter dem Schreibtisch liegen Bananenschalen, Leergut und Essensresten. Ich stehe kurz davor zu kapitulieren, das Pult zu räumen und mich dem Glücksspiel zuzuwenden. Lange hatte ich mich durchgemogelt, jetzt fliegt der Schwindel auf!
Kaum zu glauben: Vor ein paar Jahren erhielt ich den ersten Preis für eine Reisereportage. Die Jury lobte die lockere Schreibe und die originelle Erzählweise. Ha! Ein weiterer Beweis dafür, wie weit ich mich hochgestapelt habe. Wenn Sie wüssten, wie ich Satz um Satz erringe. Schreiben ist wie Maurerarbeit, Ziegel auf Ziegel, Reihe über Reihe. Da ist nichts Lockeres, nichts Lässiges dabei. Erst wenn das Haus steht, die Räume begehbar sind und die Fenster überraschende Ausblicke bieten, setzt so etwas wie Entspannung ein. Man ist noch einmal davongekommen. Dann schreibe ich meinen Namen über den Textanfang, bringe das Manuskript ins Korrektorat und räume meinen Arbeitsplatz auf.
Frank Heer ist Reporter bei annabelle. Er schreibt abwechselnd mit Sven Broder und Thomas Wernli übers Mannsein bei einer Frauenzeitschrift und andere Extremsituationen.