Es gibt eigentlich nicht viel zu sagen. Und doch muss dies noch gesagt werden:
Die türkische Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG an der nordsyrischen Grenze ist seit Monaten, ja seit Jahren erwartet worden. Jetzt hat sie Präsident Recep Tayyip Erdogan in die Tat umgesetzt, mit einem Freipass in der Jackentasche, einem «Laissez-passer», von seinem Kollegen US-Präsident Donald Trump, der mit dem Abzug der amerikanischen Truppen aus der Region der Offensive erst den roten Teppich ausgelegt hat. Ziel der türkischen Mobilmachung sei es, entlang der Grenze eine Sicherheitszone einzurichten, um dort syrische Flüchtlinge anzusiedeln, die derzeit in der Türkei leben. Doch wird man den Verdacht nicht los, dass Erdogan mit diesem militärischen Schachzug von seinem innenpolitischen Schwächeln ablenken will, Muskeln zeigen, wenn sie im Schrumpfen begriffen sind – etwas, notabene, das auch andere Oberhäupter immer wieder gern tun, um Kritiker zum Schweigen zu bringen und die Bevölkerung hinter sich zu scharen. Denn in den vergangenen Monaten hat Erdogan eine politische Ohrfeige nach der anderen kassiert: Seine islamisch-konservative Partei AKP verlor bei den Kommunalwahlen in Istanbul und Ankara und musste gegenüber der Opposition klein beigeben. Welche Schmach. Was könnte besser davon ablenken als ein gross angelegter, anscheinend selbst von der staatlichen Religionsbehörde legitimierter Militäreinsatz gegen «Terroristen», grotesk euphemistisch als «Quelle des Friedens» bezeichnet?
«Zurück in den Sandkasten, Jungs! Fuck off!», würde man am liebsten schreien angesichts der Katastrophe, die sich schon wieder vor unseren Augen abspielt: Zehntausende von Frauen, Kindern und Männern sind gemäss dem Uno-Flüchtlingshilfswerk seit Beginn der Offensive in Nordsyrien auf der Flucht, die Zahl der Todesopfer steigt stündlich. Mit einem Schlag werden Friedensbemühungen und Initiativen zur Wirtschaftsförderung, gerade auch für Frauen, zunichtegemacht. Mantrahaft warnt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International vor einer weiteren humanitären Katastrophe. Kämpfer des IS wittern ob des plötzlichen Machtvakuums Morgenluft. Die Geschichte wiederholt sich. Zum wievielten Male eigentlich?
Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mit seiner Militäraktion eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, von der man inständig gehofft hatte, dass sie endlich zum Stillstand gekommen wäre. Nun beginnt sich der fatale Kreislauf von Gewalt und Machtpoker erneut zu drehen. Nichts gelernt. Und die westlichen Staaten? Die kritisieren zwar brav und heftig. Aber sonst?
Dass es die EU, inklusive der Schweiz, und die internationale Gemeinschaft in all den Jahren nicht geschafft haben, sich entschiedener für einen gangbaren Frieden in der Region einzusetzen, ist deplorabel. Dass sie trotz der konstanten humanitären Desaster politisch nicht willens genug gewesen sind, den Kriegstreibern dezidiert die Stirn zu bieten und ihnen nicht bloss zu drohen, sondern sie auch tatsächlich mit Sanktionen zu belegen, ist beschämend. Dies ist nun die letzte Chance: Wird jetzt nicht gehandelt, bleibt bloss eines: grandioses Versagen.