Gleiche Pflichten – gleiche Rechte
- Text: Kerstin Hasse; Foto: iStock
Die Rechtskommission des Nationalrates spricht sich für eine Öffnung der Ehe aus. Ein wichtiger Schritt, mit dem es aber noch lange nicht getan ist, findet unsere Autorin.
Gratulation, liebe Politikerinnen und Politiker! Ihr scheint die Zeichen der Zeit tatsächlich endlich verstanden zu haben. Zumindest teilweise. Zwei Tage lang hat sich die Rechtskommission des Nationalrates getroffen, um ihre Liste an Traktanden abzuarbeiten, darunter auch die mögliche Einführung der Ehe für alle. Nun steht fest: Die Rechtskommission hat sich für eine Öffnung der Ehe ausgesprochen. Bis zum Februar 2019 soll ein Kernvorlage mit den nötigen Gesetzesänderungen ausgearbeitet werden, wie es in einer Mitteilung der Rechtskommission heisst. Übersetzt heisst das: Die Weichen für eine gleichgeschlechtliche Ehe sind gestellt.
2007 wurde in der Schweiz die eingetragene Partnerschaft eingeführt. Das ist 11 Jahre her, seit damals ist bei uns nicht sehr viel passiert. Europaweit haben wir es geschafft, die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare voranzutreiben. Deutschland hat die Ehe für Alle akzeptiert, Österreich zieht Anfang 2019 ebenfalls nach und auch Spanien, Frankreich und Irland haben eine Ehe für Alle eingeführt. Die Schweiz hinkt wieder Mal hinterher. Seit 2013 schleppt das Parlament diese Initiative mit sich herum, eine Entscheidung ist nie gefallen, die Behandlungsfrist wurde letztes Jahr bis zur Sommersession 2019 verlängert. Es sei eine komplizierte Sache, heisst es aus Bundesbern. Schliesslich werfe so ein Entscheid Fragen auf, die auch politisch aufgeladene Felder wie die Fortpflanzungsmedizin oder Einbürgerungspolitik tangierten.
Kompliziert ist es doch immer in der Politik, oder nicht? Und genau, weil so viele andere Fragen mit diesem Entscheid zusammenhängen, ist es wichtig, dass die Schweiz endlich mitzieht. Doch auch mit dem gefallenen Entscheid ist es noch lange nicht getan. Das Schweizer Partnerschaftsgesetz schliesst gleichgeschlechtliche Paare in eingetragener Partnerschaft von allen fortpflanzungsmedizinischen Verfahren aus. Das heisst, dass Ärzte in der Schweiz nur bei verheirateten Paaren eine Insemination oder In-vitro-Fertilisation durchführen dürfen. Wenn beispielsweise ein lesbisches Paar ein Kind möchte und einen Samenspender hat, dann kann es sich nicht auf eine medizinische Beratung und Behandlung verlassen. Das Paar muss die Befruchtung wortwörtlich selbst in die Hand nehmen und darauf hoffen, dass es klappt. Diese Ungleichheit ist leider auch mit dem Entscheid der Rechtskommission noch nicht aufgehoben. Rechtsbereiche wie die Fortpflanzungsmedizin sind in der Umsetzung der Initiative nicht inbegriffen. Das heisst, das gleichgeschlechtliche Paare auch weiterhin der Zugang zur entsprechenden medizinischen Expertise verwehrt bleibt – auch wenn die Ehe für alle in Kraft tritt.
Dennoch wurde mit dem Entscheid aus Bern eine wichtige Hürde genommen. Eine Hürde, die es zu überwinden längst fällig war. Es geht nicht um Wohlwollen, es geht nicht um Ideologie. Es geht um Gleichberechtigung. Die eingetragene Partnerschaft ist keine gleichwertige Alternative und es wird Zeit, dass das geändert wird. Wieso sollten sich Schweizerinnen und Schweizer damit zufriedengeben, dass sie – aufgrund ihrer sexuellen Orientierung – weniger Rechte haben? In Sachen Steuern leisten sie ja auch den gleichen Beitrag wie heterosexuelle Ehepaare. Gleiche Pflichten – gleiche Rechte. So einfach ist das.
Wer heiraten möchte, sollte heiraten dürfen. Gleichgeschlechtlichen Paaren vorzuenthalten, diese Bindung einzugehen, ist ein Armutszeugnis der Schweiz. Wir leben in Zeiten, in denen selbst in den konservativsten Kreisen die gelebten Familienmodelle so bunt sind wie eine Pride-Flagge. Wir sollten dieser Vielfalt Rechnung tragen – und zwar heute und nicht erst übermorgen.