Werbung
«Der Weinstein-Skandal hat die Debatte verändert»

«Der Weinstein-Skandal hat die Debatte verändert»

  • Interview: Stephanie Hess; Foto: Getty Images

Frauen werden im Film oft sexualisiert – wenn sie überhaupt vorkommen. Die Regisseurin und künstlerische Forscherin Bernadette Kolonko untersucht in Zürich, wie diese Stereotypen durchbrochen werden können.

Film ist eine Männerwelt: Von den 1100 beliebtesten und erfolgreichsten Filmen, die in den vergangenen elf Jahren in US-amerikanischen Kinos liefen, wurden im Durchschnitt vier Prozent von Frauen gedreht. Diverse Studien, die deutsche TV- und Kinoproduktionen und  US-Kinofilme untersuchten, zeigen zudem, dass Männer auch vor der Kamera im Schnitt mindestens doppelt so oft in Erscheinung treten wie Frauen. Tauchen doch weibliche Figuren auf, werden sie auffallend oft sexualisiert dargestellt. 

Was muss sich ändern, damit auch weibliche Figuren mit Geist und einer komplexen Gefühlswelt einen Platz im Film finden? Damit befasst sich die Regisseurin und künstlerische Forscherin Bernadette Kolonko in ihrem Forschungsstipendium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

annabelle: Bernadette Kolonko, Sie sind studierte Filmregisseurin. Wo sind Sie in Ihrer Arbeit mit Geschlechterklischees in Berührung gekommen?
Bernadette Kolonko: Ein Schlüsselmoment, der auch den Anfangspunkt meiner Forschung bildete, war die Reaktion an der Filmhochschule Babelsberg auf mein Drehbuch. In der Geschichte bricht die Protagonistin aus ihrem familiären Umfeld aus, weil sie sich auf die Suche nach sexuellen Erfahrungen mit Fremden begibt. Mein betreuender Professor fand die Figur jedoch nicht glaubwürdig.

Weshalb?
Er sagte, eine Mutter würde sich doch niemals so radikal von ihrer Familie abgrenzen. Er schlug mir stattdessen zwei klassische Motive der Kulturgeschichte vor. Jenes der Frau, die an ihrer Schuld zerbricht. Oder jenes der Femme Fatale, die im Sex mit einem Mann grösste Erfüllung findet und damit in ihrem Umfeld Schaden anrichtet. 

Hure oder Heilige – zwei altbekannte Sichtweisen auf die Frau. 
Wir alle sind stark geprägt von solchen Bildern. Ich glaube daher auch nicht, dass Regisseurinnen automatisch dagegen gefeit sind, diese Bilder zu reproduzieren. Es braucht eine Auseinandersetzung darüber, wie die Frauenfiguren im Film mannigfaltiger werden.

Die Cartoonistin Alice Bechdel hat vor acht Jahren einst den sogenannten Bechdel-Test entwickelt, um Stereotypisierungen von Frauenfiguren im Film zu erkennen. Darin geht es um folgende Fragen: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Was halten Sie von diesem Test?
Er ist bestimmt eine gute Basis, ein erster Schritt, sich die eingeschränkten Rollen der Frauen im Film vor Augen zu führen. Aber meines Erachtens geht es eben nicht nur um Inhalt, sondern auch darum: Welche Bilder entstehen daraus? 

In Ihrer Forschung legen Sie den Fokus darauf, wie Frauen gefilmt werden können, ohne sie zum Objekt zu machen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Es geht mir nicht darum, dass man keine Frau mehr nackt oder beim Sex zeigt. Aber bisher wird sie dabei vornehmlich sexy gezeigt  – und wenn sie dabei spricht, dann über einen Mann und nicht über ihr eigenes Begehren. Die Frage ist: Wie kann man ihr in diesen Szenen mehr Selbstbestimmung geben und sie mit ihren Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten sichtbar machen?

Wie?
Die französische Regisseurin Céline Sciamma tut das in ihrem Film «Bande de Filles» (Trailer unten) dadurch, dass sie die junge Protagonistin Anweisungen aussprechen lässt, wie der Mann sich vor dem Sex ausziehen und hinlegen soll. Sie dreht einen altbekannten Ablauf um, das irritiert und wirft Fragen auf. Ein anderes Beispiel: Was sehen Sie vor sich, wenn wir von einer Szene sprechen, die eine Frau in der Badewanne zeigt?

Hinaufgesteckte Haare, ein Schaumbad, ein weicher Schwamm, der über glatte Beine fährt. 
Genau, man erwartet fliessende Bewegungen, Sinnlichkeit, viel nackte Haut. Ich habe das in einem meiner Filme bewusst umgedreht: Eine Frau, von der man nur den Rücken sieht, den sie sich total grob schrubbt, weil sie in Eile ist. Erst wenn die Erwartung gestört wird, fängt man an über Gesellschaft, über Rollen nachzudenken. Man muss dazu sagen: Es ist nicht nur die Frauenfigur, die oft vereinfacht dargestellt wird, sondern auch der Mann. In Diskussionen merke ich, dass sich auch die Männer in den Bildern im Film nicht immer wiedererkennen. 

Hat die Aufdeckung der sexuellen Übergriffe des US-Fimproduzenten Harvey Weinstein und die nachfolgende MeToo-Debatte die Diskussion um Frauen im Film auch innerhalb der hiesigen Filmszene befeuert?
Ja, ich habe das Gefühl, dass es die Debatte verändert hat und man genauer hinschaut. Dass der Mut grösser ist, darüber zu sprechen, was falsch läuft. Man spricht über Erfahrungen, die jetzt nicht einmal sexualisierter Natur sein müssen. Sondern über ungleiche Machtverhältnisse und eben auch darüber, wie man das wahre Leben zeigen kann. 

Braucht es dafür mehr Heldinnen im Film?
Unbedingt. Aber man muss aufpassen, dass man nicht nur den Held mit der Heldin austauscht und glaubt, alles andere gleich lassen zu können. Wenn die Frau dann wieder in weichem Licht, Hotpants und Highheels durch den Film schreitet, ändert das wenig. Für wahre Diversität im Film braucht es mehr Veränderungen, mannigfaltigere Figuren. Also auch Frauen über 50. Schwarze Kommissarinnen und Chirurginnen. Frauen, die keinem Schönheitsideal entsprechen. Frauen, die kinderlos glücklich sind. Ziel sollte es meines Erachtens sein, die ganze Bandbreite an Leben und Erleben abzubilden.