Nachhaltig Lebensmittel einkaufen
- Text: Stephanie Hess; Foto: Getty Images
Was wir im Supermarkt wählen, wirkt sich auf die Welt aus. Von Nachhaltigkeitsexpertin Verena Berger wollte unsere Autorin vor Ort lernen, wie man verantwortungsvoll einkauft. Ein Wegweiser durch die Regale.
Im Supermarkt kommt die Welt zusammen. Von jedem Produkt zieht sich ein unsichtbarer Faden rund um den Globus – zu einer Fischfabrik in Thailand, zu einer Kaffeeplantage in Costa Rica, auf ein Gemüsefeld in Spanien, in einen Schlachthof in der Schweiz. Und zugleich führt ein jeder dieser Fäden direkt oder über Umwege zu den grossen ungelösten Problemen dieser Welt: Klimaerwärmung, Tierleid, soziale Ungleichheit, Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser. Ein Drittel der konsumbedingten Umweltbelastungen in Europa geht aufs Konto unseres Essverhaltens. Und so stehe ich also immer wieder im Supermarkt, mit einem Körbchen in der Hand, und kann mich nicht entscheiden. Weil ich weiss, dass ich mit jedem Griff ins Regal meinen eigenen kleinen Beitrag leisten könnte – oder eben nicht.
Dabei wussten wir noch nie so viel über die Lebensmittelproduktion wie heute. Universitäten und Umweltorganisationen publizieren darüber Studie um Studie, Netflix zeigt Dokumentationen über Honigpanscherei und die Abgründe der Milchproduktion, Zeitungen recherchieren über Arbeitsbedingungen spanischer Tomatenpflückerinnen, sogar der Boulevard berichtet über die Problematik der Massentierhaltung. Doch anstatt dass sich daraus ein klarer Handlungsrahmen für nachhaltigen Konsum bilden würde, sammelt sich in meinem Kopf lediglich nutzloses Halbwissen an.
Um endlich verbindliche Richtlinien für ein gutes Konsumverhalten zu definieren, mache ich mich auf die Suche nach einer Expertin, die mich durch die Supermarktregale begleitet. Ich gelange an Verena Berger (34), Mitarbeiterin am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil. Sie warnt mich aber schon am Telefon vor: «Ich kann auch nicht alle Fakten und Zahlen aus dem Ärmel schütteln.» Als zusätzlichen Experten ziehe ich später Niels Jungbluth bei. Er ist Geschäftsführer von ESUServices, einer Nachhaltigkeitsberatungsfirma, die Forschungen und Ökobilanzen für Bund und Organisationen anbietet.
Als ich Verena Berger treffe, trägt sie einen schweren Rucksack auf ihren Schultern. Er entpuppt sich als veritables Nachschlagewerk für Nachhaltigkeit. Berger wird ihm immer mal wieder eine dieser zahlreichen Studien entnehmen, um wenn immer möglich Klarheit zu schaffen, mit Zahlen, Studien und Statistiken.
Leise quietschend trägt uns die Rolltreppe in die verführerische Welt des Konsums, wo wir scheppernd einen Einkaufswagen aus der Kolonne ziehen.
Früchte
Das erste Regal lässt Verena Berger aufseufzen: exotische Früchte. Auf der Papaya klebt das Etikett «By air», sie kam per Flugzeug von Brasilien. Dass Fliegen das Klima extrem belastet, gehört inzwischen zum Allgemeinwissen. Die Schweden kultivieren dazu gerade den Begriff «flygskam»: Flugscham. Ein Flug von Brasilien nach Zürich verursacht pro Passagier rund 1.8 Tonnen CO2, also so viel wie ein Jahr Autofahren. Bio Suisse verzichtet wie die meisten Bio-Labels darum komplett auf Flugtransporte. Die Früchte kommen per Schiff, was immerhin 12-mal weniger belastend ist, wie eine Berechnung von Niels Jungbluth von ESU-Services zeigt.
Neben der Papaya liegt auch das Sinnbild einer angeblich nachhaltigkeitsfremden Ernährung: die Avocado. Ich erzähle Verena Berger, was ich kürzlich gelesen habe: Die Avocado sei eine Kalorienbombe und daher sei es auch gerechtfertigt, dass sie mehr CO2-Ausstoss verursache als weniger nahrhafte importierte Früchte. «Nun», meint Verena Berger, «sich nachhaltig zu ernähren bedeutet schon ein bisschen mehr, als einfach CO2-sensibel zu sein.» Definiert man nachhaltige Ernährung gemäss dem Ernährungsökologen Karl von Körber muss diese verträglich sein für Gesundheit, Wirtschaft, Sozialsysteme und Umwelt. Die Belastung Letzterer lässt sich gemäss dem Forschungsinstitut Agroscope eruieren durch die Faktoren Überdüngung, Wasserverbrauch, Klimagase, Versauerung von Ökosystemen und Flächenbedarf. Verena Berger sagt: «Die meisten Avocados wachsen in Monokulturen auf überdüngten Böden und brauchen sehr viel Wasser: 1000 Liter pro Kilogramm.» Das gilt im Übrigen auch für andere exotische Früchte wie Mangos, Kokosnüsse oder Bananen. Sie rät: «Wenn überhaupt exotische Früchte, dann mit Bio-Label und aus fairem Handel. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben dann immerhin auch die Produzenten etwas davon.»
Wir kommen zu einer Wand voller Schweizer Äpfel. «Saisonale und lokale Früchte einzukaufen ist grundsätzlich am nachhaltigsten. Aktuell sind Äpfel und Birnen ohne grosse Bedenken zu beziehen.» Verena Berger öffnet ihren Rucksack und zieht eine Studie der Umweltorganisation WWF und der ETH Zürich heraus. Sie besagt, dass Äpfel, die nach der Ernte im Kühlhaus gelagert werden, sechs Monate lang besser abschneiden als Äpfel, die per Schiff von Neuseeland importiert werden. «Ab Mai setzt man dann also besser wieder auf saisonales Obst aus der Region.» Erste Erdbeeren im Mai oder Kirschen ab Juni. Apropos Vitamine – wie sieht es in den Wintermonaten mit Zitrusfrüchten wie Grapefruits, Mandarinen, Orangen, Zitronen aus? Verena Berger sagt: «Schauen Sie wegen der kürzeren Transportwege unbedingt darauf, dass sie zumindest in den warmen Regionen Europas gewachsen sind.»
Gemüse
Zwei von drei Gurken liegen hier in Plastik eingeschweisst – die Bio-Variante ebenso wie jene mit dem Demeter-Label (siehe Labelguide Seite 37). Plastik gehört aktuell zu den grössten Feindbildern der Konsumentinnen und Konsumenten. Unverhältnismässig, meint Experte Niels Jungbluth: «Schmeisst man ihn nicht in den Rhein, sondern entsorgt ihn im Abfall, wirken sich diese Plastikverpackungen und Säckchen lediglich im Promillebereich auf die Umweltbelastung der Schweiz aus.» In der Gemüseabteilung hat der Plastik zudem eine durchaus auch nachhaltige Funktion. Die Gurke oder auch der Broccoli, die zum Zeitpunkt der Ernte noch eine aktive Zellatmung besitzen, würden ohne Plastik schnell viel Wasser verlieren. Dank der Verpackung soll sich die Haltbarkeit einer Gurke in etwa verdoppeln, betonen Supermarktketten. Biologisch produziertes Gemüse muss zudem laut Schweizer und EU-Recht von konventionell Angebautem unterscheidbar sein. «Bio-Lebensmittel sind noch immer Nischenprodukte», erklärt Niels Jungbluth. Deshalb landen diese in der Plastikummantelung und nicht etwa der viel grössere Rest. Trotzdem gibt es gemäss Verena Berger aktuell Bemühungen, unnötigen Plastik in der Bio-Abteilung durch Kleber oder Laserstempel zu ersetzen.
Weit negativer als Plastik wirken sich hierzulande beheizte Gewächshäuser aus. Darum sagt Verena Berger: «Als Faustregel gilt: Zwischen Oktober und Mai setzt man besser nicht auf Schweizer Tomaten, sondern bevorzugt – wenn unbedingt nötig – Bio-Ware aus warmen Regionen wie Spanien.» Neben Biound Demeter-Tomaten liegen in unserem Supermarkt auch solche, die im Gewächshaus in einer Nährstofflösung gezogen werden – hors-sol, ausserhalb des Bodens. Was die Umweltbelastung anbelangt, hat Hors-sol einige Vorteile gegenüber der Feldvariante. «Diese Produktion braucht weniger Platz und beeinträchtigt Böden nicht mit Dünger und Pestiziden», sagt Experte Niels Jungbluth.
Bio Suisse zertifiziert Hors-sol-Produktionen jedoch nicht, da «Bio-Gemüse in und auf echtem Boden wachsen muss», heisst es in den Richtlinien. Niels Jungbluth sagt: «Das Bio-Label zeichnet weder per se gesündere Lebensmittel aus, noch steht es in jedem Fall für Umweltfreundlichkeit.» Für den Bio-Gemüseanbau etwa werden zwar weniger Pestizide ausgebracht, es wird ein höheres Gewicht auf Biodiversität und geschlossene Kreisläufe gelegt. Der Bio-Anbau benötigt jedoch mehr Land und wirft weniger Ertrag ab. «Der Bio-Bauer muss also mit seinem Traktor weitere Strecken für weniger Kartoffeln abfahren.»
In der Gemüseabteilung in unserem Supermarkt wiegt Verena Berger inzwischen etwas in der Hand,das aussieht wie ein violetter Erdklumpen. «Natürlich, Labels wie bio sind nicht die Lösung für alles. Aber es wäre fatal, sie zu ignorieren, nur weil sie noch nicht perfekt sind. Sie helfen mit, die Produktionen langsam nachhaltiger zu machen.» Dann hält sie den Erdklumpen, eine Rande, hoch: «Die sind dankbar. Sie werden in der Schweiz angebaut und sind das ganze Jahr lagerbar. » Ebenfalls ganzjährig ohne Bedenken zu konsumieren: Kartoffeln, Lauch, Rüebli, Zwiebeln. Grösstenteils das ganze Jahr in der Schweiz produzierbar: Kabis, Chinakohl, Nüsslisalat und Knollensellerie.
Fisch
Auf körnigem Eis liegen noppige Krakenarme aus dem Indischen Ozean. Crevetten aus vietnamesischer Fischzucht. Dunkelrosa Thunfischscheiben aus dem Pazifik. Durch manche Stücke ist ein Etikett mit Bio-Label gestochen, viele sind mit MSC oder ASC angeschrieben (siehe Labelguide). Doch Verena Berger sagt: «Egal, ob mit Nachhaltigkeitslabel, aus freiem Fang oder aus der Zucht: Mehr als ein bis zwei Mal Fisch pro Monat können die Gewässer nicht verkraften.» Sie zieht eine Studie der Organisation Fair-Fish aus dem Rucksack: Die Hälfte aller Fischbestände ist bis an die Grenzen befischt, heisst es da, ein Viertel sogar überfischt. Von den 92 Millionen Tonnen, die weltweit gefangen werden, werden 33 als Futter für Raubfische in Zuchtbetrieben verwendet – für Thun, Lachs, Forelle, Kabeljau, Wolfsbarsch, Steinbutt. Laut Fair-Fish sollte man beim Zuchtfisch anstelle von Thunfisch & Co. grundsätzlich auf pflanzen- oder allesfressende Arten wie Karpfen, Tilapia oder Pangasius setzen. Oder noch besser: Fisch aus nahen Gewässern. «Am besten direkt vom Fischer. Dann bestimmt der Fang, was auf den Teller kommt», sagt Verena Berger. Wer Meerestiere konsumieren will, konsultiere am besten die Einkaufsratgeber-App vom WWF. Aber: «Klimaschädlich ist deren Konsum wegen der langen Transportwege dennoch. Auch die Zuchten sind umstritten.»
Fleisch
Zwanzig verschiedene Rohschinkenpackungen baumeln an einer Stellwand, mit Slogans wie: bio, aus der Region, mit Tierwohlgarantie, aus Auslaufhaltung, weniger Plastik. Wie soll ich mich da entscheiden? Verena Berger fragt: «Möchten Sie denn heute Fleisch essen?» Wegen des Land- und Wasserverbrauchs, der hohen Umweltbelastung durch zugekauftes Futter und wegen der Ausscheidungen der Tiere, die Luft und Böden zusetzen, sind tierische Produkte mit Abstand der umweltschädlichste Bestandteil der Ernährung – und für die Hälfte der Klimagas-Emissionen der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verantwortlich.
Schweizerinnen und Schweizer essen 50 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Ein Bedarf, der nicht gedeckt werden könnte, würde das Fleisch ausschliesslich in ökologischer und tierfreundlicher Landwirtschaft produziert. Dafür müsste er auf 16 Kilogramm gesenkt werden, schreiben die Umweltorganisation Greenpeace und die wissenschaftliche Publikation «Fleischatlas ». Das wären noch 300 Gramm Fleisch pro Woche, also etwa drei Packungen Rohschinken. Nur: welchen denn? «Ich würde die Supermarkt-Eigenlabels ignorieren und wiederum Demeter oder bio wählen», sagt Verena Berger. Diese weisen auch eine bessere Klimabilanz beim Futter auf: Seit diesem Jahr dürfen Tiere in Bio-Betrieben (Fisch, Masttiere, Legehennen, Milchkühe) nur noch mit Getreide aus Europa gefüttert werden. Verena Berger betont aber: «Wir dürfen uns keine Illusionen machen – weder was die Bio-Tierhaltung noch was die angeblich so hohen Schweizer Tierschutzstandards betrifft, die gern zitiert werden. Auf den allerwenigsten Höfen in der Schweiz toben die Tiere auf der grünen Wiese herum, wie wir es aus der Werbung kennen.»
Verena Berger zieht wieder Zahlen aus dem Rucksack: Ein Bio-Schwein bewegt sich auf 1.65 Quadratmetern (plus Auslauf). Eine konventionell gehaltene Sau auf 0.9 Quadratmetern. Zum Vergleich: Die meisten Bürotische haben eine Fläche von etwa 1.5 Quadratmetern. Mastrinder erhalten 3 Quadratmeter, auf dem Bio-Hof 6.5 (plus Auslauf im Sommer). 11 Bio-Masthühner teilen sich einen Quadratmeter an Stallfläche, hinzu kommen 2 Quadratmeter Auslauf pro Tier. In der konventionellen Landwirtschaft befinden sich 15 Masthühner auf einem Quadratmeter. Da bleibt für jedes Huhn eine Fläche so klein wie ein A4-Blatt.
Solche Masthühner liegen in gelben Schalen vor uns, darunter auch ein Demeter-Junghahn. Er war einst eines dieser Küken, die wegen ihres Geschlechts keine Legehennen werden konnten – und wäre bis vor Kurzem, wie dies Hunderttausenden seiner Artgenossen blüht, getötet worden. Das Töten der männlichen Küken ist heute auch auf Bio-Höfen noch erlaubt, in Demeter-Betrieben jedoch seit diesem Jahr nicht mehr. Der Hahn liegt hier zu einem Preis von 28 Franken pro Kilo, daneben ein dralles Hühnchen für 9.50 Franken pro Kilo. «Ein heftiger Unterschied», meint Verena Berger, als wir weitergehen. «Der hohe Preis ist eines der grösseren Probleme von bio.»
Man muss allerdings auch festhalten: Wir beklagen uns zwar ständig über hohe Preise, doch gleichzeitig geben wir in der Schweiz immer weniger fürs Essen aus: Jährlich fliessen 12 Prozent eines Haushaltsbudgets in die Ernährung. 1960 waren es noch 30 Prozent. Und eigentlich zahlen wir alle – bio hin oder her – sowieso zu wenig dafür. Verena Berger zückt eine Studie der Welternährungsorganisation: Die unbezahlten Kosten für Umweltschäden und die sozialen Mehrkosten aus der Lebensmittelherstellung belaufen sich auf 4800 Milliarden US-Dollar. Für Verena Berger steht fest: «Es ist nicht beliebt, das zu sagen, aber auch in der Schweiz müsste vor allem Fleisch mehr kosten.»
Eier
Dasselbe gilt für die Eier. 5 Franken müsste er eigentlich für ein Ei eines Rassehuhns erhalten, sagte der Bauer Kurt Brunner in einer Reportage des «Tages-Anzeiger», damit sich seine Legehennen rechnen würden. Die teuerste 6-er-Schachtel im Regal unseres Supermarkts kostet gerade mal 4.85 Franken – mit Bio-Label und dem Hinweis, dass die Legehennen ohne Sojazusatz im Futter ernährt wurden. Verena Berger: «Wählen Sie bio, Demeter oder KAG-Freiland. Freilandhaltung ist da garantiert. Futter ohne Soja macht Sinn, genauso wie die 5 Quadratmeter pro Tier. Oder kaufen Sie die Eier am besten beim Bauer nebenan. Dort sehen Sie, wie die Tiere leben, und können fragen, wie sie gefüttert werden.»
Milch
Vor dem Kühlregal mit Milch, Butter, Joghurt und Käse zückt unsere Expertin eine Berechnung von Niels Jungbluth im Auftrag des WWF: Vegetarierinnen verursachen bei der Ernährung 24 Prozent weniger Umweltbelastung als Fleischesserinnen. Veganerinnen 40 Prozent weniger. Der bereits im Kapitel Fleisch erwähnte Greenpeace-Report rät zu einem Milchprodukt-Konsum von 33 Kilogramm pro Jahr. Das sind 630 Gramm pro Woche, also etwa 4 Joghurts, 8 grosse Milchkaffees oder um die 20 Raclette-Scheiben.
Verena Berger empfiehlt auch bei der Milch die Labels: bio, Demeter oder KAG-Freiland, gemäss deren Richtlinien die Milchkühe nach den aktuell höchsten Tierwohlstandards gehalten werden. Demeter-Kühe müssen zudem Hörner haben. Egal, ob mit oder ohne Label: Schweizer Milch entsteht ohne genetisch veränderte Futterzutaten, wie der Branchenverband IP Lait auf Anfrage schreibt. Er hat vor Kurzem überdies palmölfreie Fütterung beschlossen.
Süsses
Apropos Palmöl. «Versuchen Sie, ein Produkt zu finden, das ohne Palmöl hergestellt wurde», sagt Verena Berger in der Süsswarenabteilung. Ich ziehe eine Packung nach der anderen aus dem Regal, lese die Zutatenliste. Schoggistängeli, Guetsli, Kuchen – in fast allen Produkten steckt Palmöl oder Palmfett drin, aber auch in den allermeisten Duschmitteln und Gesichtscrèmes, die in den anderen Supermarktabteilungen stehen. Problematisch ist das, weil die Palmöl-Produktion in den grössten Exportländern wie Malaysia und Indonesien zu Landraub führt, zu Vertreibungen der lokalen Bevölkerung und zu gravierenden Umweltschäden, insbesondere durch die illegale Abholzung von Regenwald. Auf einer Müeslipackung steht: Palmöl aus nachhaltiger Produktion. – «Können Sie ignorieren », meint Verena Berger. Industrie und Handel würden sich auf das Zertifizierungssystem «Round Table on Sustainable Palmoil» berufen, das auch für Nachhaltigkeit stehen soll. Doch gemäss der Schweizer Palmöl-Koalition, die aus diversen Schweizer Umweltorganisationen wie Public Eye und Pro Natura besteht, sind dessen Richtlinien viel zu lasch; so wird etwa zugelassen, dass giftige Pestizide eingesetzt werden. Niels Jungbluth betont allerdings: «Es ist weniger das Produkt, sondern eher die wachsende Nachfrage, die Probleme verursacht». Denn: Palmöl sei momentan noch die effizienteste Art, um den wachsenden Bedarf an Pflanzenölen zu decken. Ich finde letztlich genau eine Packung mit Guetsli ohne Palmöl: Totebeinli.
Kaffee
Verena Berger zieht eine weitere Studie aus ihrem Rucksack – die letzte für heute. Sie besagt: Welchen Kaffee man trinkt, beeinflusst die Ökobilanz stärker als die Zubereitungsart. «Eine grössere Auswahl an fair gehandelten Kaffees als in den meisten Supermärkten gibts in kleinen Röstereien oder in Weltläden wie etwa Claro Fair Trade», sagt Verena Berger.
Doch wie rein kann mein Gewissen sein mit Kaffee im Magen? Die Produktion braucht extrem viel Wasser, mehr noch als Rindfleisch. Und sie ist energieintensiv: Die Bohne muss aus Afrika oder Südamerika nach Europa transportiert, geröstet und verpackt werden. «Wenn Sie etwas fürs Klima tun wollen, trinken Sie besser gar keinen Kaffee», sagt Verena Berger. Doch was ist mit den Bauern, die vom Kaffeeanbau leben? «Alles geht nicht. Nachhaltiger Konsum bedeutet, sich zu entscheiden.» Und wenn ich so in unseren leer gebliebenen Einkaufswagen schaue, muss dieser Entscheid eben auch mal Verzicht bedeuten.
Nachhaltig einzukaufen ist komplex. Aber es ist nicht nur das, was mich beim Griff in die Regale zögern lässt. Es tobt ein Kampf in mir: zwischen der Überzeugung, dass es mir als Konsumentin zusteht, meiner Lust nach Avocado oder einem Poulet nachzugeben. Und meinem Verstand, der weiss, dass die Welt diesen Egoismus nicht mehr lang verkraftet. Wie gehe ich mit diesem Dilemma um? «Lassen Sie die Moral beiseite», sagt die Spezialistin für derlei Fragen, Imke Schmidt, Konsumethikerin und Autorin des Buches «Consumer Social Responsability». «Bei der Moral arbeiten wir ja mit gut und schlecht, richtig und falsch. Bei nachhaltigem Konsum funktioniert das aber schlecht. Weil dieser als Prozess verstanden werden muss.» Bedeutet: Die Rahmenbedingungen sind heute noch nicht so weit, dass wir in jedem Fall nachweislich und uneingeschränkt nachhaltig einkaufen können.
Was wir also tun können: Das schlechte Gewissen beiseite lassen und bewusste Schritte in die richtige Richtung tun. Niels Jungbluth rät zu vier Massnahmen: weniger Fleisch, keine Flugimport-Produkte, kein Gemüse aus beheizten Gewächshäusern und keinen Foodwaste. Das ist einfach.
Die Stiftung Pusch hat mit dem WWF Schweiz, Helvetas und der Stiftung für Konsumentenschutz SKS die 31 wichtigsten auf dem Schweizer Lebensmittelmarkt vertretenen Labels bezüglich Nachhaltigkeit beurteilt und das Rating in einem Ratgeber veröffentlicht. Weitere Infos und die vollständige Liste finden Sie hier.