Ihre Geschichte ist die perfekte Heldengeschichte: Eine junge Frau sticht in See, um Menschen zu retten. Sie hilft Hunderten Flüchtlingen, die bei der Überfahrt nach Europa mit ihren Gummibooten ertrinken würden. Dann geht der italienische Staat gegen Sie und andere Seenotretter vor. Sie werden im Herbst 2018 angeklagt wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung. Seither dürfen Sie keine Flüchtlinge mehr retten, Sie kämen ins Gefängnis. Es kann sein, dass Sie wegen Ihres Engagements eine halbe Million Euro Gerichtskosten bezahlen müssen.
Ihre Geschichte birgt im Grunde also alles, was eine Geschichte braucht, damit sie laut in den Medien erzählt wird. Alles auch, um die eigentlich so leicht entzündbare Empörungskultur der Social Media zu entfachen. Ungeheuerlichkeit, Tod, Schicksal und Rettung, der mächtige Staat, der gegen eine einzelne Kämpferin mit einem Herzen aus Gold vorgeht. Dennoch wurde Ihre Story nur an wenigen Orten erzählt. Tippt man «Pia Klemp» ins Suchfeld der Schweizer Mediendatenbank ein, ploppen da nur wenige Treffer auf.
Der Grund dafür ist wohl so einfach wie grausam: Ihre Geschichte spielt auf einem Schauplatz, der für die meisten Journalistinnen und Leser verblasst ist. Die von Schleppern misshandelten Flüchtlinge, das Massengrab Mittelmeer – wir haben so oft von diesem Schrecken gehört, gelesen, ihn aus sicherer Entfernung auf Bildschirmen betrachtet, dass er sich langsam ins alltägliche Grundrauschen eingefügt hat. Und unsere Hilflosigkeit und Unfähigkeit, etwas an diesem Schrecken zu ändern, werden zur unumstösslichen Gewissheit.
Sie, die etwas daran geändert hat, dürfen das nicht mehr. Dennoch kämpfen Sie weiter, nun an Land, in Ihrer Heimat Deutschland, mit Vorträgen und auf Podien. Sie erinnern daran, dass letztes Jahr im Schnitt täglich sechs Menschen starben beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Sie mahnen: «Wenn Menschenrechte nicht für alle gelten, können sie für niemanden gelten.» Sie sagen: «Wir müssen darüber reden, was passiert, während unsere Schiffe aus dem Verkehr gezogen werden: Menschen sterben.»
Dass Sie und Ihre Crew diese Woche nun in St. Gallen den Paul-Grüninger-Preis erhalten haben, ist wichtig. Nicht nur, weil er Ihnen mit 50 000 Franken zumindest ein kleiner Zustupf für die möglicherweise horrenden Gerichtskosten sein kann. Sondern auch, weil der Fall von Paul Grüninger erschütternde Parallelen zu Ihrer Geschichte aufzeigt: Der damalige St.Galler Polizeichef liess 1938 durch einen administrativen Trick Hunderte jüdische Flüchtlinge über die Schweizer Grenze. Er wurde entlassen und verurteilt. Bis zu seinem Tod 1972 war er zu einem Leben in ärmlichen Verhältnissen gezwungen. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Dass sie nicht gleich endet, dafür sind auch all diejenigen verantwortlich, die zuschauen.