Leben
«Meine Arbeit ist mein Lebenselixier»
- Interview: Stephanie Hess, Video: Kerstin Hasse; Foto: Vera Hartmann
Sie zieht die Leidenschaft dem beschaulichen Ruhestand vor: In ihrem Keller kreiert die Zürcherin Vero Kern noch heute komplexe und erotische Düfte, die sie bis nach Los Angeles und Dubai verkauft.
annabelle: Eigentlich sind Sie seit eingen Jahren pensioniert. Doch Sie arbeiten noch heute jeden Tag. Warum?
Vero Kern: Ich habe mit 54 Jahren meinen Job bei der Swissair gekündigt, um eine Parfumeursausbildung in Paris zu absolvieren und mich dann selbstständig zu machen – damit habe ich mir einen grossen Traum verwirklicht. Dass ich ihn bis heute leben kann, bedeutet für mich ein grosser Erfolg.
Ein paar Jahre vor der Pension in die Selbstständigkeit zu wechseln ist ein mutiger Schritt.
Ja, und ich bin stolz, dass ich ihn gewagt habe. Ich habe mein ganzes Pensionskassenkapital dafür bezogen. Es ist nicht so, dass das Geld heute in Mengen fliesst. Dafür müsste ich stärker auf die Massen zielen. Doch ich will keinen Trends folgen, nur meiner Nase. Und ich habe alles, was ich brauche.
Sie haben Ihren Entscheid nie bereut?
Nein, nie, nie, nie (lacht).
Seit 2007 vertreiben Sie Ihre Parfums unter der Marke Vero Profumo weltweit. Woher kommt die Lust am Duft?
Ich hatte sie schon immer. Ich werde nie den Geruch meiner neuen Lederschuhe vergessen, die ich als Mädchen erhalten habe, ein seltenes Geschenk in den Kriegsjahren. Dieser Duft war für mich so kostbar, dass ich die Schuhe neben mein Bett stellte, damit ich ihn die ganze Nacht riechen konnte. Später habe ich ihn in meinem Parfum Onda umgesetzt.
Welche Düfte tragen Sie selber?
Abgesehen von meinen Prototypen, die ich während der Arbeit auftrage, um sie zu testen, benutze ich selten Parfum. Denn für mich ist Duft kein Lifestyle-Produkt. Er hat mit Identität zu tun, ist eine Erweiterung des Selbst, eine zweite Haut. Deshalb trage ich ausgewählte Düfte nur zu ganz speziellen Anlässen.
Warum haben Ihre Düfte weltweit Erfolg?
Sie sind komplex, eigenwillig und vor allem erotisch. Ich glaube aber, dass das Erfolgsgeheimnis in meiner künstlerischen Vision liegt. Ich komponiere meine Düfte mit offenem Geist, Mut zum Unkonventionellen und Leidenschaft – ja, vor allem mit Leidenschaft.
Sie haben Ihre Marke von Anfang an in den sozialen Medien aufgebaut. Letztes Jahr starteten Sie im Internet eine Crowdfundingkampagne für die Kreation O’züri, in die Sie die Essenz von Zürich fassen wollten. Sie bewegen sich in der digitalen Welt wie Millennials. Wie schaffen Sie es, diese Freude am Neuen zu behalten?
Mich interessiert, was in der Welt passiert. Ich lese viel über Politik, Philosophie, Kultur, Umweltthemen und liebe es, im Internet zu surfen und zu entdecken. In dem, was ich tue, spüre ich mich. Die Arbeit mit Düften und den Welten, die sie mir öffnen, gibt mir Kraft, macht mir Freude. Meine Arbeit ist schlicht mein Lebenselixier.
Vero Kern (78) wuchs im Kanton Aargau auf, machte eine Lehre als Pharma-Assistentin und arbeitete bis 1994 bei der Swissair. Daneben liess sie sich als Aromatherapeutin ausbilden. Nach einer Ausbildung zur Parfumeurin in Paris brachte sie 2007 mit 67 Jahren ihre Marke Vero Profumo auf den Markt. Ihre bis heute fünf Kreationen werden weltweit vertrieben. Sie ist geschieden und hat keine Kinder. Mit ihrem Hund Isidor lebt sie in Zürich.