Bea Knecht entwickelte mit Zattoo das erste Gratis-TV für mobile Geräte – damals noch als Mann. Dann beschloss sie, so zu leben, wie sie sich seit jeher gefühlt hat: als Frau.
annabelle: Sie haben während einer Auszeit von vier Monaten in den USA beschlossen, Ihrer gefühlten Identität als Frau nachzuleben. Das war vor fünf Jahren. Äusserlich kann ein Mann verhältnismässig einfach zur Frau werden. Wie sieht es innerlich aus?
Bea Knecht: Meine Identität ist seit jeher weiblich. Als Junge war es mir beispielsweise fremd, mich mit anderen zu raufen. Das musste ich mir erst antrainieren. An diese Männerwelt habe ich mich 45 Jahre lang angepasst. Das war weitaus anstrengender für mich als das spätere Hineingleiten in die Frauenwelt. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich je alles aufholen kann, was eine Frau durch ihre Sozialisierung gelernt und verinnerlicht hat. Was bestimmt nicht nur tragisch ist: Frauen wird auch viel Unnützes eingetrichtert.
Was erachten Sie als unnütz?
Die Zuschreibungen, was Frauen können und was nicht. Wenn ich heute als Frau mit einem Handwerker über die Umsetzbarkeit einer Idee spreche, muss ich weit mehr Überzeugungsarbeit leisten. Ich muss aufzeichnen und erklären, bevor er mir glaubt. Als Mann war das viel einfacher.
Ist es heute in der Schweiz leichter, Frau zu sein oder Mann?
Ich muss es so sagen: Das Leben ist grundsätzlich mal einfacher im richtigen Geschlecht. Viele Jahre empfand ich mich wie ein Linkshänder, der mit rechts schreibt. Es geht, aber es fühlt sich falsch an und ermattet ungemein. So gesehen ist das Leben als Frau für mich bedeutend einfacher.
Sie sind heute Verwaltungsratspräsidentin von Zattoo, leiten die Schwesterfirmen Genistat und Levuro, sitzen in der Eidgenössischen Medienkommission. Was denken Sie: Wäre Ihre Karriere so auch möglich gewesen, wenn Sie sie als Frau gestartet hätten?
Ich hätte mehr Kraft gehabt. Aber ich bin überzeugt, dass ich auch mehr Kraft gebraucht hätte. Schwer zu sagen, ob es netto auf dasselbe rausgekommen wäre.
Als Mann ist es also einfacher in der Geschäftswelt?
Eindeutig ja. Ich musste mich nicht so sehr beweisen. Heute schreibt man mir weniger Kompetenz zu als früher. Und ich merke, dass sich Männer weniger selbstverständlich von einer Frau leiten lassen.
Wie spüren Sie das?
Ich kann in Sitzungen beispielsweise meine Sätze nicht mehr beenden. Das war früher nie ein Problem.
Wie gehen Sie damit um?
Abtastend. Ich registriere es, versuche die Hintergründe solcher Handlungen zu begreifen. Bisweilen spreche ich es auch direkt an.
Welche Vorteile haben Frauen in der Geschäftswelt?
Ich glaube, Frauen verfügen über eine natürliche Bremse, was sie sich zumuten. Sie fügen sich in der Geschäftswelt nicht bedingungslos in Gruppen ein. Männer handeln in diesen Konstrukten, in denen die Hackordnung immer wieder neu definiert wird. Ich habe das mitgemacht, jetzt tue ich das nicht mehr.
Aber wer nicht mitmacht, bleibt aussen vor. Man kann so als Frau keine Allianzen schmieden, ist nicht dabei, wenn wichtige Deals besprochen werden.
Ja, «les absents ont toujours tort» (die Abwesenden haben immer Unrecht, Anm. d. Red.). In anderen Worten: Wenn man nicht dabei ist, ist man ausgegrenzt. Und es ist dann ein Leichtes für die Gruppe, einem etwas anzudichten – einen Fehler, eine Unterlassung, eine falsche Haltung. Es ist eine Führungsaufgabe, das zu verhindern oder immerhin zu mindern.
Und auch eine der Politik? Wie denken Sie über die Frauenquote?
Früher dachte ich, dass sie heikel wäre, weil sie sogenannte Quotenfrauen generiert. Also Frauen, die ihre Posten nur aufgrund ihres Geschlechts innehaben anstatt wegen ihres Könnens. Heute hingegen bin ich überzeugt, dass es die Quote braucht. Sonst passiert nichts.
Was müssen Frauen selber tun, damit sie erfolgreich sein können?
Ich stelle fest, dass Männer sich schneller mit neuen Werkzeugen anfreunden als Frauen. In meinem Bereich sind das beispielsweise neue Kommunikationsprogramme. Um Projekte zu besprechen, treffe ich mich mit Menschen aus aller Welt in spezifischen Chats. Die muss man bedienen können, sonst kann man buchstäblich nicht teilnehmen. Frauen brauchen vielleicht einen längeren Atem. Man darf nicht aufgeben, auch wenn nicht alles nach Plan läuft. Also ich habe dauernd Niederlagen.
Tatsächlich?
Ja, achtzig Prozent von dem, was ich mache, misslingt. Beispielsweise versuche ich seit Jahren, die Online-TV-Quote der Schweiz publizieren zu können. Doch das ist hochpolitisch, es könnte grosse finanzielle Auswirkungen haben. Ich renne immer wieder gegen Wände. Ich könnte den Kopf in den Sand stecken, mich und meine Arbeit schlecht finden. Aber diese Gedanken kommen mir nicht.
Sie lassen sich nicht unterkriegen – ein Überbleibsel Ihrer männlichen Seite?
Diese Frage impliziert, dass es ein Oben und ein Unten gibt. Doch darum geht es mir nicht, mir liegt immer nur die Sache am Herzen. Das war bei mir als Mann so – und so ist es auch als Frau.
Bea Knecht wuchs in Windisch AG auf. Mit 18 Jahren besuchte sie – damals noch als Beat Knecht – die Highschool in den USA und absolvierte danach den Informatik- Bachelor an der University of California in Berkeley. Später arbeitete sie in Management- und Beraterfunktionen für die UBS, McKinsey und Internet-Start-ups. Ab den Neunzigerjahren begann sie, gemeinsam mit dem US-amerikanischen Professor Sugih Jamin Zattoo zu entwickeln, das weltweit erste Gratis-Fernsehen für mobile Geräte. Heute wird es in der Schweiz und Deutschland von zwanzig Millionen Menschen genutzt. Bea Knecht erhielt 2014 den Ehrenpreis von Best of Swiss Web und den Digital Lifetime Award der IAB Switzerland Association. Seit fünf Jahren lebt Bea Knecht als Frau.
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«Viele Jahre empfand ich mich wie ein Linkshänder, der mit rechts schreibt»