Wie ich in der Schwangerschaft zur Feministin wurde.
Ich war 29 Jahre alt und hochschwanger, als ich meinem Mann zum ersten Mal eine Szene machte. Wir waren in einem gut besuchten Restaurant essen, als er nebenbei erwähnte, er habe mit seinem Chef vereinbart, sein Arbeitspensum etwas aufzustocken. Ich fühlte mich verraten. Wir waren uns doch einig, die Kinderbetreuung halbe-halbe aufzuteilen! Jetzt bestand ich wie Justitia mit der Waage in der Hand auf der strikten Einhaltung dieser Vereinbarung. Ich tobte und fühlte mich gleichzeitig furchtbar in dieser Rolle als schreiende Emanze. Die anderen Gäste drehten sich zu uns um. Es war wie in einem schlechten Film.
Das war Ende 2008. Einige Monate vorher sind zwei Bücher erschienen, die viel zur Szene im Restaurant beigetragen haben. Sie hiessen «Wir Alphamädchen» und «Neue deutsche Mädchen». Bis dahin stand Feminismus für die verstaubte Alice Schwarzer, nun meldeten sich erstmals Frauen um die dreissig zu Wort, die einen neuen Tonfall und andere Anliegen hatten. Die Zeitungen sprangen auf den Zug auf und schrieben plötzlich über Sexismus, Lohnungleichheit, flexible Arbeitszeiten und Frauenförderung. Man diskutierte diese Themen auch im Freundeskreis und unter Arbeitskollegen. Zwar gab es 2008 noch keine Hashtags, aber es war doch so was wie ein #Aufschrei. Der Diskurs lieferte keine Patentlösung, aber brachte mich zum Nachdenken. Letztlich wurden mir zwei Dinge klar: Du musst wissen, was du willst. Und dich dafür einsetzen.
Zwischen mir und meinem Mann läuft nicht alles paritätisch und schon gar nicht reibungslos. Aber eines klappt: Wir teilen uns die Kinderbetreuung exakt hälftig – und sind beide mit diesem Modell glücklich. Jedes Paar soll für sich selber entscheiden, wer wie viel arbeiten geht. Aber der Entscheid muss wohlüberlegt sein und für beide stimmen. War mein Ausbruch damals im Restaurant also richtig? Inhaltlich ja. Am richtigen Tonfall arbeite ich noch immer.
Wichtige feministische Bücher aus der Schweiz: «Wie Frau sein» von Michèle Roten, «Macho-Mamas» von Nicole Althaus und Michèle Binswanger, «Papa steht seinen Mann» von Sven Broder.