Geschmacksachen – Der Gendergap an Herd und Tisch
- Interview: Claudia SennFotos: Albrecht Fuchs
Wie gross ist der kleine Unterschied beim Essen? Ein Gespräch über den Gendergap an Herd und Tisch.
Wie gross ist der kleine Unterschied beim Essen? Literaturkritiker Denis Scheck und Ärztin Eva Gritzmann haben kulinarische Geschlechterforschung betrieben. Ein Gespräch über den Gendergap an Herd und Tisch.
annabelle: Denis Scheck, bitte nennen Sie uns Ihr Lieblingsgericht.
Denis Scheck: Steinbutt mit Kartoffelgratin. Mmmh.
Und Sie, Eva Gritzmann?
Eva Gritzmann: Ich mag Gänseleber. Kutteln auf römische Art, rohes Fleisch in Form von Tatar oder Carpaccio.
Das erstaunt jetzt aber sehr. Als Mann müsste doch Denis Scheck der Fleischliebhaber sein!
Gritzmann: Laut Statistik essen Männer tatsächlich doppelt so viel Fleisch wie Frauen. Doch Denis Scheck und ich sind eben nicht repräsentativ.
Scheck: Wir praktizieren eine Art Travestiekochen.
Gibt es einen biologischen Grund für den höheren Fleischkonsum der Männer?
Gritzmann: Nein, kaum eine unserer Essensvorlieben ist von der Natur vorgegeben. Wir sind von einer Vielzahl sozialer und kultureller Normen geprägt. In der Businesswelt etwa ist Fleischessen auch eine Statusfrage. Ich weiss nicht, ob das gut kommt, wenn der Chef und der Vizechef einen Rindsschmorbraten bestellen, und der aufstrebende Assistent nimmt bloss den Salatteller. Der gilt doch als Weichei.
Scheck: Als ich ein Kind war, gings bei uns zu wie im Löwenkäfig: Die Grösse des Fleischstücks auf deinem Teller hat dir gezeigt, wo du in der Hackordnung stehst. Zuerst kam der Ernährer,
dann die Kinder, wegen des Wachstums. Die eindeutigen Verlierer in diesem System waren die Frauen. Diese «Mad Men»-Wirklichkeit ist aber zum Glück vorbei.
Gritzmann: Unter Intellektuellen ist es mittlerweile angesagt, Vegetarier zu sein. Frauen sind es übrigens doppelt so oft wie Männer. Man gilt damit als moralisch erhaben – zumindest bei uns. In Südeuropa werden Sie so aber nach wie vor keine Karriere machen.
Warum machen sich Männer weniger Sorgen um ihre Figur?
Gritzmann: Weil sie ihren Körper anders wahrnehmen. Es gibt hochinteressante Untersuchungen zur Selbst- und zur Fremdwahrnehmung bei Männern und Frauen. Eine um zehn Prozent übergewichtige Frau empfindet sich unter Umständen schon als grotesk fett. Ein Mann mit zehn Prozent zu viel auf den Rippen hingegen wird sagen: Übergewicht? Ich?
Scheck: Wenn Sie die wahren Asketen sehen wollen, dann sollten Sie allerdings in die Topetagen der Banken und internationalen Konzerne gehen.
Der Kampf mit den Kalorien ist also kein Frauenphänomen?
Scheck: Nein. Und auch nicht der unbarmherzige Blick auf den aus der Form geratenen Körper der Konkurrenten. Männer konnten diesbezüglich schon im alten Rom sehr fies sein. Crassus und Pompeius etwa wurden von ihren jeweiligen Widersachern Cäsar und Cicero als Fettsäcke gemobbt. Jemand, der so aussieht, kann doch unmöglich das römische Imperium leiten, hiess es.
Paul Bocuse hat sich einmal zur Bemerkung hinreissen lassen, Frauen gehörten ins Schlafzimmer und nicht in die Küche. Ist die gehobene Gastronomie frauenfeindlich?
Scheck: Dreissig Jahre lang hat Bocuse versucht, diesen Spruch wieder loszuwerden – vergeblich. Er war eben nicht nur so dahingesagt, da blitzte schon seine echte Meinung auf. Diese Chauvi-Strukturen gehen erst jetzt langsam in die Knie.
Noch immer gibt es kaum weibliche Sterneköche. So klar verlaufen die Geschlechterfronten sonst nur im Vatikan. Warum?
Gritzmann: Weil eine Karriere in der Gastronomie mit Familie unvereinbar ist. Finden Sie mal eine Kinderbetreuung, die Sie morgens zwischen 5 und 10 Uhr freistellt, damit Sie Ihre Einkäufe machen können, und dann wieder abends zwischen 17 und 23 Uhr. Das ist noch schwieriger zu organisieren, als wenn Sie einen Vorstandsjob bei Nestlé haben.
Scheck: Trotzdem wird es bald viel mehr Sterneköchinnen geben, die im Moment noch in der Ausbildung stecken. Da ist eine regelrechte Revolution im Gang.
Sie haben für Ihr Buch zahlreiche Köche und Köchinnen interviewt. Was ziehen Sie für einen Schluss aus den Gesprächen: Kochen Frauen anders als Männer?
Gritzmann: Frauen kochen etwas subtiler. Sie würzen anders. Sie kochen auch bodenständiger, denn in zwei Dritteln der Fälle sind zuhause immer noch sie für die Alltagsküche zuständig. Männer tischen gern exotische Sachen auf, die mit viel Spektakel zubereitet sind.
Scheck: Es gibt auch typisch weibliche und typisch männliche Zubereitungsarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Gedämpftes von einer Köchin stammt, ist wesentlich höher als bei Grilliertem. Marinieren und Braten sind männlich, Dünsten und Poschieren dagegen Frauensache. Das weiblichste Essen ist nach wie vor die Suppe, weil hier die Energie am besten genutzt wird. Grillieren war im Mittelalter ein absolutes Adelsprivileg. Das Fett tropft ja runter, es geht verloren. Wenn Sie dasselbe Stück Fleisch in einen Suppentopf werfen, kriegen Sie damit viel mehr Mäuler satt.
Männer fahren beim Kochen auf technische Gimmicks ab. Stimmts, Denis Scheck?
Scheck: Auf jeden Fall. Ich denke immer, dass ich die notorische Ungeschicklichkeit meiner zehn Patschefinger durch das magische, zwanzigfach gehärtete, handgeschmiedete japanische 500-Euro-Küchenmesser kompensieren kann. Ich werde zum Horowitz am Herd, wenn mir nur die richtigen Gerätschaften zur Verfügung stehen! Man kann darüber lachen, aber letzten Endes ist man dann doch das kleine Kind, das das Spielzeug haben will.
Wie abenteuerlustig sind Sie in kulinarischer Hinsicht auf Reisen?
Gritzmann: Nicht sehr, wenn ich da an meine Thailand-Ferien denke. Ich hatte mich so darauf gefreut, die thailändische Küche kennen zu lernen. Und dann sah ich auf dem Markt diese Körbe voller Maden, Grillen, Käfer, roher Fische, die seit zwölf Stunden in der Sonne vor sich hin gammelten.
Ach. Und wir dachten immer, Essen sei das Schönste am Reisen.
Scheck: Schon, aber das ist ein schmaler Grat. Eigentlich kann es uns nicht exotisch genug sein – vorausgesetzt, das Essen wird unter den nahezu sterilen Bedingungen einer immer mehr an einen OP erinnernden mitteleuropäischen Küche zubereitet.
Was ist das Ekligste, was Sie bisher gegessen haben?
Gritzmann: In Spanien hatte ich mal eine Art Schimmelkäse in einem Marmeladenglas. Erst nachdem ich den letzten Bissen geschluckt hatte, erzählte man mir, dass der Käse durch Maden zersetzt wird. Die Maden sah man da auch noch rumkriechen.
Scheck: Igitt! Ich könnte jetzt die lebenden Glasaale nennen, die mir in Spanien als Tapas serviert wurden. Aber eigentlich kommt meine zentrale Ekelerfahrung aus der Kindheit: Ich muss mir nur eine Kasserolle mit einer gekochten roten Fleischwurst darin vorstellen, eigentlich reicht schon dieser ölige Film auf dem Wasser – da pralle ich regelrecht zurück. Ich weiss nicht, vielleicht liegts an der Penisform der Wurst?
25 Prozent der Bevölkerung sind sogenannte Superschmecker, sie haben mehr Geschmacksrezeptoren auf der Zunge als der Durchschnitt. Frauen sind häufiger darunter als Männer. Bedeutet das eine erhöhte Fähigkeit zum Genuss?
Scheck: So einfach ist es leider nicht. Wie in anderen Lebensbereichen bringt auch hier eine gesteigerte Empfindsamkeit nicht unbedingt grösseres Vergnügen mit sich, sondern unter Umständen mehr Verdruss. Superschmecker empfinden normales Essen gern mal als grauenhaft scharf, überwürzt oder versalzen.
Männer essen laut Statistik schärfer als Frauen. Spüren sie die Schärfe weniger?
Gritzmann: Vielleicht. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine Art Pissing Contest. In deutschen Grossstädten ist ja gerade ein Wettbewerb um die schärfste Currywurst der Welt entbrannt, mit der Folge, dass einige dieser Brathöllen ihre Extremwürste nur noch an Kunden ab 18 verkaufen. Essen als Mutprobe sozusagen. Frauen ist so was viel zu blöd.
Der Geruchsforscher Hanns Hatt attestiert Frauen zu gewissen Zeiten des Monatszyklus eine erhöhte Geruchssensibilität. Kennen auch Männer solche Zyklen?
Scheck: Ja, wir riechen und schmecken morgens nach dem Aufstehen am besten – was dafür spricht, opulent zu frühstücken. Beide Geschlechter werden übrigens als Genies geboren und sterben als Kretins. Als Baby haben Mann und Frau durchschnittlich 10 000 Geschmackspapillen. Im Greisenalter besitzen wir gerade noch 2000. Der Rest ist nach und nach abgestorben.
Welche Erkenntnisse haben Sie während der Recherchen sonst noch gewonnen?
Gritzmann: Wir essen jetzt beide weniger Fleisch. Wer einmal in einer Tierfabrik war oder gesehen hat, wie ein Akkordarbeiter im Schlachthof 700 Rinder pro Tag killt, der kann nicht weitermachen wie bisher. Wir müssen mit diesem Quälfleisch aufhören!
Scheck: Und wir haben erfahren, dass die gesamte Weltproduktion an Erdbeeren nicht ausreicht, um auch nur fünf Prozent des amerikanischen Erdbeerjoghurts zu aromatisieren. Viele Lebensmittel stecken so voller künstlicher Aromastoffe, dass wir verlernt haben, wie sie eigentlich schmecken. Diese Verdummung hat eventuell Folgen fürs Gehirn, denn der Geschmackssinn ist mit anderen Sinnen gekoppelt.
Bitte erläutern Sie uns zum Abschluss noch Ihre Theorie der Teller-Erektion.
Gritzmann: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann kocht, steigt mit jedem Millimeter, den das Gericht auf dem Teller in die Vertikale strebt. Die absolute Frauengrenze liegt derzeit bei neun Zentimetern über normalnull des Tellerniveaus.
Scheck: Gestern im Restaurant, da schickte uns der Koch als kleinen Gruss aus der Küche ein wunderbares Rührei mit Kaviarhaube, serviert in der Eierschale. Dieses Ei hatte in der Mitte eine ganz typische Schnittlauch-Erektion. Eine Köchin käme nicht auf die Idee, da diesen langen Schnittlauch reinzustecken. Niemals!
Die Gesprächspartner
Denis Scheck (46) ist einer der bekanntesten Literaturkritiker Deutschlands und bekennender Gourmet. Er arbeitet als Radioredaktor beim Deutschlandfunk sowie als Moderator der ARD-Sendung «Druckfrisch». Scheck lebt in Köln. Eva Gritzmann (45) lebt und arbeitet als Ärztin in Stuttgart. Sie ist mit Denis Scheck seit der Zeit im Gymnasium befreundet, wo die beiden mit einer Spass-Guerilla-Aktion namens «Essen für den Frieden» gegen die ihrer Meinung nach kreuzbrave und humorfreie Friedensbewegung demonstrierten (es wurden Croissants und Champagner gereicht).
Die beiden haben soeben ihr Buch «Sie & Er. Der kleine Unterschied beim Essen und Trinken» herausgebracht (Berlin-Verlag, 192 S., ca. 30 Fr.).