Zeitgeist
Geplanter Anschlag auf Konzerte von Taylor Swift: Was jetzt zählt
- Text: Miriam Suter
- Bild: Dukas
Aufgrund von geplanten Anschlägen wurden die Konzerte von Taylor Swift in Wien abgesagt. Autorin Miriam Suter weiss, wie sich die Angst vor Terror anfühlt. Für sie ist klar: Was wir jetzt brauchen, ist die Kraft der Community.
Als ich Anfang Juni im Zürcher Letzigrund vor der Bühne des grössten Pop-Phänomens unserer Generation stand, wusste ich wieder, warum ich so gerne ein Swiftie bin: Die berührende Energie, die ein ganzes Stadion voll mit mehrheitlich weiblichem Publikum freisetzen kann, ist wahnsinnig ermächtigend. Selten habe ich mich an einem Konzert so sicher, so aufgehoben gefühlt wie bei Taylor Swift.
Dass das normalerweise für mich nicht so ist, hat auch damit zu tun, dass ich an jenem Abend im November 2015, als die Terroranschläge verübt wurden, im Pariser Konzertlokal Bataclan gewesen wäre. Nur durch Zufall befand ich mich genau zu dieser Zeit in einer ganz anderen Ecke der Stadt.
Mein Zuhause lag aber nur wenige Querstrassen vom Bataclan entfernt, der Heimweg führte mich spätnachts mitten durch das Epizentrum der Angst. Die kreisenden Hubschrauber über den Dächern und die Panzer in den Strassen werde ich nie vergessen.
Umso wichtiger ist für mich seither das Gefühl einer für mich sicheren Community an Konzerten. Ich vergewissere mich zudem immer darüber, wo der Notausgang ist, und wie ich die Location am schnellsten verlassen könnte.
Angriffe auf die Freiheit
Dass die drei Wiener Konzerte von Swift nun aus Sicherheitsgründen abgesagt wurden, ist für mich deshalb eigentlich ein gutes Zeichen: Die Behörden nehmen die Bedrohung ernst und reagieren entsprechend angemessen.
Das ist auch dringend nötig, häufen sich in letzter Zeit schliesslich ähnliche Vorfälle: Im vergangenen Juni verhaftete die Zürcher Polizei zwei Jugendliche, die offenbar mit einem Lastwagen in die feiernde Menschenmenge der Pride rasen wollten.
Im englischen Southport griff vor knapp einer Woche ein bewaffneter 17-Jähriger einen Taylor-Swift-Workshop für Kinder in einem Gemeindezentrum an. Drei Mädchen im Alter von sechs bis neun Jahren kamen dabei ums Leben. Über das Motiv des Täters ist noch wenig bekannt.
Es ist eine Zeit, die mir Angst macht. Denn hinter diesen geplanten und durchgeführten Anschlägen steckt eine Energie, die man bereits seit einigen Jahren beobachten kann: gezielte Angriffe auf eine Freiheit, die sich vor allem Frauen, Mädchen und queere Menschen selbst erobert haben.
«Durch die Absage der Konzerte wurde wohl einer der grössten Femizide Europas verhindert»
Bei den bisher Verhafteten, die die Anschläge in Wien geplant hatten, fand die Polizei neben Waffen auch Material, das für den Bau von Bomben benötigt wird. Der Verdacht liegt also nahe, dass die Attacke so umfassend angelegt gewesen wäre, dass Menschen ausserhalb des Ernst-Happel-Stadions zu Schaden gekommen wären.
Auch das ist ein grosser Teil der Swiftie-Community: Wer keine Tickets mehr ergattern konnte, feiert halt von aussen mit. Und somit geriet auch dieser sichere Hafen auf den Radar der Terroristen. Man könnte auch sagen: Durch die Absage der Konzerte wurde wohl einer der grössten Femizide Europas verhindert.
Backlash gegen Emanzipation
Die WHO ordnet Gewalt gegen Frauen und Mädchen mittlerweile offiziell als globales Gesundheitsproblem ein und seit Jahren bestätigen diverse Studien immer wieder, dass die fortschreitende weibliche Emanzipation zu einem konservativen Backlash und somit zu mehr Gewalt von Männern gegen Frauen führt.
Das beschreibt zum Beispiel die deutsche Autorin Susanne Kaiser in ihrem Buch «Backlash: Die neue Gewalt gegen Frauen». Dort untersucht Kaiser unter anderem, weshalb Anschläge von Männern auf Frauen in den letzten Jahren zugenommen haben.
Sie spricht zum Beispiel von einer «soldatischen Männlichkeit», also einem extrem maskulinistischen Männerbild, das in Form von Amokläufen gegen Frauen ausgelebt wird. Das gilt auch für extremistische Organisationen wie den Islamischen Staat, zu dem sich der mutmassliche Täter in Wien bekennt.
Es scheint fast so, als fühle sich die konservative Männlichkeit von der modernen Frau bedroht – und will sie so klein, so still wie möglich haben. Am liebsten tot?
Bedingungsloser Zusammenhalt
Als ich letztes Jahr endlich das erste Mal vor der Bühne im Pariser Bataclan stand, musste ich weinen – vor Rührung. Ich tanzte inmitten einer feiernden Masse, in der ich mich sicher fühlte, konnte meine Angst endlich dort loslassen, wo sie entstanden ist und neue Kraft aus diesem Akt ziehen.
Auf Social Media sehe ich heute, wie alleinerziehende Mütter weinen, weil sie sich das Konzertticket für sich und ihre Tochter ein Jahr lang vom Mund abgespart haben. Für ein kleines bisschen sparkle in einer Zeit, in der unser Smartphone gefühlt im Stundentakt von herzzerreissenden News geflutet wird.
Aber ich sehe auch, wie Swift-Fans in den Strassen Wiens die Setlist ihres Idols einfach selbst singen und zusammen tanzen. Zugegeben: Es mag angesichts der noch immer geltenden Terrorwarnung leichtsinnig sein, sich in grossen Gruppen zu treffen. Offenbar sorgt aber die Polizei für Sicherheit, laut Kommentaren von Swifties vor Ort sind die Strassen abgesperrt.
Es signalisiert aber auch: Wir sind da füreinander, wir tragen uns einmal mehr durch eine schwere Zeit. Es ist genau das, was mein Herz im Letzigrund-Stadion mit Liebe geflutet hat: der bedingungslose Zusammenhalt von Frauen untereinander.
Und es ist genau diese Kraft, die man uns wegnehmen will. Wir sollen Angst haben. Keine Konzerte mehr besuchen und unser Leben einschränken. Es ist wichtig, dass wir als Community dieser Angst Platz geben. Darüber sprechen und uns gegenseitig stützen, so gut wir können. Umso wichtiger ist aber, zu feiern, was man uns nicht nehmen kann.