Ex-Poker-Profi und Jus-Student ohne Ambitionen mit 23, weltbekannter Künstler mit 25: Das Kunsthaus Aarau widmet sich der erstaunlichen ersten Karriere von Dieter «Yello» Meier.
Mit einem Vielleicht lassen sich keine Geschäfte machen. Jedenfalls nicht mit Dieter Meier. Als der Zürcher Bankierssohn im Frühjahr 1971 seinen kleinen Stand an der 8th Avenue in New York aufbaute, um Passanten die Worte Yes oder No abzukaufen, wollte er klare Entscheidungen. Ja oder nein. Wer sich auf den Deal einliess, bekam einen Dollar und ein Zertifikat: «Dieter Meier verspricht, Ihr Wort nicht zu missbrauchen.» Die Leute blieben stehen und lachten ungläubig.
Wer war dieser seltsame Typ mit dem Schnauz? Ein Künstler? Ein Irrer? Polizisten verständigten ihre Kollegen von der psychologischen Abteilung. Eine Stunde später war der Spuk wobei. Dieter Meier hatte 400 Dollar ausgegeben. Wie sehr sich diese Investition für den jungen Dandy lohnen sollte, erfuhr er zwei Tage später in der «New York Times». Die renommierte Kunstkritikerin Grace Glueck hatte seinem Ja-Nein-Shop eine ganze Seite gewidmet. Mit einem Schlag war der Schweizer mit dem Allerweltsnamen auf dem Radar des internationalen Kunstbetriebs präsent.
Ein Julitag im Jahr 2013. Dieter Meier ist auf dem Sprung. In ein paar Stunden geht sein Flug, der Koffer ist erst halb gepackt. Trotzdem nimmt er sich die Zeit zu erklären, was ihn antreibt: «In allem, was ich tue, strebe ich nach dem anarchistischen Prinzip, zu werden wie ein Kind.» Was das heisst? Die Dinge um ihrer selbst willen tun, ohne Not, völlig zweckfrei. Dem Zufall vertrauen. Ob als Autor, Popstar, Experimentalfilmer oder Konzeptkünstler: Seit mehr als vier Jahrzehnten arbeitet er daran, der eigenwilligen Schönheit des Sinnlosen eine Schneise durch unsere Welt der Zielvereinbarungen und Verwertungsinteressen zu schlagen.
14 Millionen verkauften CDs
Die Spuren, die Meier dabei hinterliess, sind längst Legende – allen voran die Marke Yello, unter der er in den Achtzigern zusammen mit Boris Blank vom Küchentisch aus die Ära der elektronischen Tanzmusik einläutete. Mit 14 Millionen verkauften CDs gehört das Projekt bis heute zu den erfolgreichsten Schweizer Pop-Exporten. Die Videoclips von Yello setzten mit ihrem Do-it-yourself-Appeal Standards in der Frühzeit des Musikfernsehens. Viele befinden sich heute in der Sammlung des MoMa New York. Zu sehen sind diese Klassiker nun auch in der grossen Retrospektive, die das Aargauer Kunsthaus dem künstlerischen Werk des 68-Jährigen widmet.
Sie erzählt die kurzweilige Geschichte einer vermeintlich absichtslosen Karriere, die im November 1969 mit einem Fanal der Nutzlosigkeit auf dem Zürcher Heimplatz begann: Dieter Meier, gerade mal 23, Ex-Poker-Profi und Jus-Student ohne Ambitionen, sass dort auf einer Holzkiste und sortierte Schrauben in Plastiksäckchen: 81 000 Stück in Tausenderportionen. Stunde um Stunde, von morgens bis abends, fünf Tage lang. Auf viele Passanten wirkte das wie ein absurder Scherz – für ihn war es eine Befreiung.
Mit dem Reichtum seiner Familie im Hintergrund wusste er, dass er zeit seines Lebens nicht würde arbeiten müssen. Was tut man, wenn man alles tun könnte, aber nichts muss? Meier ging das Dilemma grundsätzlich an. «Ich wollte etwas tun, was absolut leer und sinnlos war und das nur deshalb existierte, weil ich es wollte», sagt Meier. Das Schraubenzählen als Nine-to-five-Job war kein schlechter Anfang. Die NZZ berichtete im Feuilleton – und ohne es zu wollen, war er plötzlich ein «bekannter Künstler» (NZZ).
Erste Museumsschau in Luzern
Er streunte durch die Strassen und verklebte im Minutentakt Marken mit Datum und Uhrzeit. Per Zeitungsinserat lud er die Leute dazu ein, ihm während einer Stunde beim Ablaufen einer festgelegten Strecke am Bellevue zuzusehen. Und als er schliesslich zu seiner ersten Museumsschau nach Luzern eingeladen wurde, waren auch seine Eltern beruhigt: «Sie verstanden zwar nicht, was ich da machte. Aber wenn ihre Freunde sie fragten, ob der Dieter eigentlich schon in der Irrenanstalt sei, konnten sie antworten: Nein, der stellt gerade im Museum aus.»
Auch in seinen Fotoserien inszenierte Meier die Suche nach der eigenen Identität als munteres Verwirrspiel. Für eine Gruppe von Selbstporträts posierte er in 48 verschiedenen Männerrollen und schneiderte sich dazu ebenso viele fiktive Lebensläufe. Eine andere Serie zeigt eine Reihe ungelenker «Lost Sculptures» aus Gemüse, Lehm, Holz und Plastik, so wacklig, dass sie kurz nach dem Shooting wieder in sich zusammenfielen. Nichts hält ewig, alles ist flüchtig. Auch Dieter Meier, der junge Künstlerstar, der es 1972 bis an die Documenta schaffte, verflüchtigte sich irgendwann aus der Kunstwelt. 1976, nach seiner viel beachteten Soloschau im Kunsthaus Zürich, die ein sicheres Ticket für eine nachhaltige Karriere im Kunstbetrieb hätte sein können, lernte er Boris Blank kennen, und die beiden zogen fröhlich davon – zum nächsten Erfolg.
«Die Dinge sind meistens auf mich zugekommen, ich habe sie nie angestrebt oder darum gekämpft», sagt er. Was zähle, sei die Bereitschaft, im richtigen Moment Ja zu sagen. «Am Ende war ich dann selbst oft überrascht, was ich alles gemacht habe.» Die Ironie der Geschichte: Was auch immer er anpackte – er verwandelte es in Gold. Erst zählte er Schrauben, schon winkte die Einladung an die Documenta. Dann dilettierte er als Sänger – und wurde Popstar. Aus der Farm, die er 1997 in Argentinien kaufte, sind inzwischen drei geworden. Sein Zürcher Restaurant Bärengasse brummt, seine Beteiligungen an Schweizer Industrie- und Transportunternehmen stehen solide da. Scheitern, hat er oft betont, bedeute für ihn keine Niederlage. Der Punkt ist: Es will ihm einfach nicht gelingen.
— Aargauer Kunsthaus, Dieter Meier in Conversation, 7. 9. bis 17. 11.