Leben
Generation Muppie: Grünes Gewissen und Lust nach Luxus
- Text: Alexandra Kurse; Illustration: Silke Werzinger
Nur mal kurz die Welt retten und trotzdem dem Luxus frönen – Autorin Alexandra Kruse über ihr Leben als Muppie.
Wenn man angefragt wird, über ein gesellschaftliches Phänomen zu schreiben, weil man angeblich doch Teil dieses Phänomens ist, dann ist zunächst Misstrauen angebracht. Weil: So was kann ja jeder behaupten. Das Phänomen, um das es geht, heisst Muppie. Klingt ein bisschen wie, genau, wie Yuppie, der Young Urban Professional der Achtziger. Und tatsächlich bezeichnet Muppie den ganzheitlich etwas bewussteren Nachfolger des Yuppies im neuen Millennium (daher das «M»). Geprägt wurde dieser x-te Begriff in einer überreichen Ahnenreihe von Generationenetiketten von der Autorin Michelle Miller. Und er ist auf gutem Weg, das Modewort des Jahres in Blogs und Magazinen zu werden, die sich mit der Frage auseinandersetzen, was mit unserer Gesellschaft derzeit so los ist. Miller ist Amerikanerin und wahrscheinlich deswegen so gut mit Begriffen, die ja alle irgendwie einen soziologischen Hintergrund haben und einzig dazu dienen, eine gewisse Ordnung in Dinge zu bringen. Und Schubladen zu finden, die sich dann für die Pyramiden und Matrizen der Marktforscher nutzen lassen.
Wer oder was aber ist der Muppie, und vor allem: Bin ich einer (oder besser: eine – was ist eigentlich mit den weiblichen Versionen solcherlei Begriffe)? Per Definition ist er gut ausgebildet (stimmt), sozial bis hin zum Weltverbesserer (stimmt), offen und mitteilungsfreudig (#really!?! #yntht), zwischen 22 und 35 Jahre alt (okay, etwas drüber). Mit dem yuppieesken Streben nach dem nächsten Ferrari hat Muppie-Sein natürlich nichts mehr zu tun, weil man – nicht zuletzt dank der Weltwirtschaftskrise, Staatsbankrotten und wachsendem Bewusstsein – erkannt hat, dass klassische Werte wie Erfolg, Macht, viel Geld und Status nichts bringen. Zumal in einer Welt, die im Plastikabfalll zu ersticken droht. Muppies: die Bewusstseins-Hipster. Sie wollen sich nicht von Grosskonzernen ihr Leben diktieren lassen, sind Onlinedating-Profis, investieren lieber in Erlebnisse wie Weltreisen als in Besitztümer, konsumieren mit grünem Gewissen und «lokal-globalem» Fokus und lassen die Welt dann digital davon wissen.
Aha! Und was hat das mit mir zu tun? Mehr als mir lieb ist. Wer will schon etwas sein, das – mit den Worten meiner Freundin Sacha – «klingt, als hätte ein Yuppie was mit einem Muppet gehabt»? Aber Herzkumpel David findet meinen Thermalwasserspray im Kühlschrank totalen «Muppie-Mist». Also, irgendwas muss dran sein.
Mein erster Job bei «Elle Girl» fiel 2005 der ersten grossen Medienkrise zum Opfer, übrigens wegen der «starken Internet-Affinität der sehr jungen Zielgruppe». Wir machten in der Mittagspause Kopfstand (Yoga!), während drei Herren in grauen Anzügen unsere Computer abstellten. Ich kaufte mir von der Abfindung eine Prada-Tasche und zog nach Berlin. Seitdem arbeite ich mehr oder weniger freiberuflich. Nicht weil es nicht anders geht, sondern weil ich gern selber entscheide, was ich mit meiner Zeit anfange und für welche Projekte ich wie viel Energie einsetze.
Heute leben wir – Herzkumpel David, den ich übrigens rein zufällig über Facebook kennen gelernt habe, unser Sohn Kosmo und ich – in einer hübschen Mietwohnung in dem Zürcher Stadtteil mit den meisten Ausländern und dem hellsten Rotlicht, weit entfernt von Bausparverträgen, Eigentum und Golden Retriever, dem klassischem Ideal. Und sind dafür freischaffend. Was dazu führt, dass man mich oft mit beiden Füssen im Sandkasten und den Fingern am iPhone findet – klassische Muppie-Mum. Nach Kosmos Geburt schauten wir uns an, wie es sich in anderen Teilen der Welt lebt, und besuchten Familien in Indonesien. Herzkumpel David absolvierte auf Bali ein Teachertraining und unterrichtet jetzt alle, die möchten, in Yoga und Musik zugunsten der Jugendlichkeit. Ich habe die Freiheit, für Lunch-Dates mit meiner Lieblingsastrologin nach London zu fliegen, und abends im Bett überlegen wir uns dann, wie wir unser Umfeld schöner gestalten können. Dann planen wir öffentliche Kinderfeste oder Detox-Programme. Herzkumpel, dessen radikales Wahrheitsstreben noch ein bisschen weiter geht als meines, ist randvoll mit guten Ideen. Wir streiten mit Vorliebe über das richtige Abfalltrennungsverfahren. Grünen Strom haben wir schon lange.
Unseren Sohn Kosmo ziehen wir gemeinsam auf. Und ja, wir kommen ohne Krippe zurecht, und geimpft ist er auch nicht. Bevor Sie mir jetzt Eier von glücklichen Hühnern an den Kopf schmeissen und einen Vortrag über kollektive Immunität halten: Wir machen uns jeden Morgen Smoothies, in die wir jede Menge Superfood rühren – verschiedene Saaten, Wurzeln und Früchte, die bestenfalls biologisch angebaut und nicht über 42 Grad Celsius erhitzt wurden und somit noch alle Lebenskräfte, Enzyme und die energetischen Effekte all ihrer pflanzlichen Komponenten und überproportional viele Nährstoffe und heilende Eigenschaften besitzen. Weil wir daran glauben, dass gutes Essen gute Laune macht. Unser Gemüse kaufen wir auf dem Wochenmarkt. Ich tausche zweimal wöchentlich mit grosser Passion und Liebe Bargeld gegen Frischware.
Herzkumpel, der für die Zubereitung der Speisen zuständig ist, flippt regelmässig aus, weil ich Sachen kaufe, nur weil sie schön aussehen. Sauerampfer zum Beispiel. Oder Wermut. Beides verschrumpelt in den meisten Fällen unschön im Kühlschrank. Weil Kinder gar keinen Sauerampfer essen und Wermut nur zur Ginherstellung taugt. Den Rest kaufen wir im Reformhaus, Fleisch nur in Ausnahmefällen und dann vom Biohof. Milchprodukte sind nach einer streng veganen Phase, die – da muss man Beyoncé recht geben – gut gegen Babyspeck und nett zu den Tieren ist, gerade wieder erlaubt. Trotzdem gebe ich mittlerweile mehr Geld für kalt gepresste Säfte als für Starbucks aus. Eigentlich findet alles im Umkreis von ein paar Metern statt: Der Kreis 4 ist unser urbaner Spielplatz, an dem wir sehr viel Freude haben – bis wir wieder losmüssen: auf andere Spielplätze, gern rund um die Welt. Und mit einem gegoogelten Ticket, ganz ohne Rücksicht auf den ökologischen Fussabdruck.
An einem offiziellen Bürotag gehe ich zwischendurch im Pyjama einen Fairtrade-Kaffee trinken (ja, das Koffein – aber glauben Sie mir, ich arbeite daran) und treffe auf mindestens fünf «junge Kreative», die ihr Leben ähnlich gestalten: Fotografen, die sich Bücher und Ausstellungen über Crowdfunding finanzieren lassen, Musikproduzenten, die auch am Dienstag noch im Takt mit dem Kopf wackeln, Grafikdesigner, die gerade das komplette Redesign einer internationalen Airline planen – aus dem Café heraus und mit guter Laune. Der angesichts dessen gern zitierte Vorwurf, «freizeitorientiert» zu sein, lässt sich einfach entkräften – der Erfolg gibt uns Brot, und es heisst ja nicht umsonst «selbst» und «ständig».
Und ehrlich gesagt, meine Vorliebe für Luxusgegenstände ist nicht kleiner geworden – nur das Segment hat sich etwas verlagert. Meine Taschen kaufe ich jetzt aus zweiter Hand, und die restlichen tausend Franken gebe ich für einen Tischwasserfilter aus, der Trinkwasser aus dem Hahnen säubert und reenergetisiert. Dafür lasse ich mich dann auf meinem Instagram-Account loben. Social Media ist vermutlich der modernste Aspekt des Muppietums, der grösste anzunehmende gemeinsame Nenner aller Muppies ist online. Datensicher oder nicht habe ich im letzten Jahr 4769 Bilder per Whatsapp verschickt. Und 25 378 Nachrichten. Wann? Eigentlich immer. Natürlich ist uns die Tatsache total bewusst, dass der Erde für unsere Handys wertvolles Kupfer entrissen wurde. Und dass wir sie unter Umständen mehr berühren als uns gegenseitig. Deshalb haben seit neustem die iPhones auch Schlafzimmerverbot. Natürlich auch wegen der Strahlung. Dagegen habe ich allerdings schon zirka dreissig Kilo Rosenquarz aufgestellt. Wahrscheinlich sind wir New-Age-Muppies (erwähnte ich bereits, dass ich an Einhörner glaube?).
Ob das alles nicht eine einzige Heuchelei ist? Und total widersprüchlich? Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch nur ein Weg, mit der Welt zurechtzukommen, wie sie gerade ist. Und sie mit vielen kleinen Schlucken Green Smoothie, Seifenblasen und ein paar Kristallen ein bisschen besser, ein bisschen schöner zu machen. #becauseimhappy.