Gendergap am Herd: Wer ist hier die Kaltmamsell?
- Text: Christian Seiler; Fotos: Lukas Lienhard; Styling: Ayako Sugaya
Gendergap in der Küche: Der Mann brät das Fleisch, die Frau macht den Salat an. Ein Naturgesetz ist das nicht – die Gründe dafür sind viel banaler.
Arbeiten wir die übelsten Klischees gleich zu Beginn ab, dann haben wir sie hinter uns. Der Mann, der Jäger. Die Frau, die Hüterin des Feuers. Die Gründe dafür, dass aus der Küche immer der Ruf «Schatz, machst du das Fleisch …?» erschallt, sollen also tief in atavistischen Verhaltensmustern begründet sein: ich Jane, du Tarzan. Oder so ähnlich.
Längst widerlegt. Mussten die Frauen, wie wir sie aus Gary Larsons Steinzeitcartoons kennen, noch fürchten, dass ihre Männer ungeniessbare Mammuts nachhause schleifen, haben es viele Frauen heute mit gastrosexuellen Männern zu tun: Männern, die sich die Küchenschürze umbinden, breitbeinig in die Küche stolzieren und sich dort anschicken, ein mehrgängiges Menü zuzubereiten.
Es ist unbestritten, dass Männer heute viel mehr kochen als noch in der letzten Generation. Die schreckensweit aufgerissenen Augen unserer Väter und Grossväter, denen zugemutet wurde, sich selbst ein Rührei zuzubereiten, sind Geschichte. Anders als unsere Väter wissen viele von uns nicht nur, dass es dafür Butter in der Pfanne braucht, sondern auch, wo der Piment d’Espelette steht, mit dem man – zusätzlich zum in grossen Flocken über die Eierspeise gestreuten Maldon-Salz – der Sache ein bisschen Pfiff verleiht. Wenn die Väter mit dem handgeschriebenen Einkaufszettel ihrer Frau Lebensmittel einkaufen gingen und deren Bestellungen – 1 kg Annabelle, 250 ml Rahm – entziffern mussten wie Altägyptologen den Stein von Rosette (aha, Annabelle sind also Kartoffeln, aber welchen Rahm will sie schon wieder, verdammt?), so schlendern die maskulinen Foodies von heute mit Kennerblick durch die High-Profile-Delikatessenabteilung und können nicht widerstehen, wenn gerade die neue Trüffellieferung aus Alba angekommen ist. Sie bringen dann statt des Fischs alles für ein Fondue mit nachhause, über das man den besagten Trüffel – «soo teuer war er gar nicht, Schatz» – reiben kann.
Warum aber ruft der Mann, der gerade ein Entrecôte auf komplizierte, von freimaurerischem Geheimwissen gespeiste Weise zubereitet hat, so verzweifelt nach seiner Frau, wenn es darum geht, für den Salat eine brauchbare Sauce zu mischen? Oder gar eine Mayonnaise zu schlagen, die man als feinen Grundton im Rindstatar braucht, das natürlich nicht durch den Fleischwolf gedreht, sondern mit dem extrascharfen Messer in winzige Stücke geschnitten wurde?
Verfügt der Mann über einen Sensor, der ihn bei der Berührung besagten Entrecôtes wissen lässt, wie es um dessen Garungsgrad bestellt ist? Oder besteht die männliche Domäne bloss darin, aus der Gebrauchsanleitung die Information zu destillieren, wo im Backofen man das Fleischthermometer einsteckt und in der Folge dem Ofen die Aufgabe überlässt, das gute Stück Fleisch bis zu einer Kerntemperatur von 56 Grad zu erwärmen?
Und ist es umgekehrt eine weibliche Eigenschaft, Öl, Essig, Senf, Salz und Kräuter zu einer Vinaigrette verbinden zu können oder aus Eiern und Öl mit dem routinierten Schlag des Schneebesens aus dem Handgelenk eine Mayonnaise zu bereiten? Ganz zu schweigen von den Fertigkeiten des Backens: Warum sind es immer die Frauen, die den anbetungswürdigen Apfelkuchen richtig hinkriegen?
Männer und Frauen in der Küche
Der Katalog an Fragen, die das Männliche und das Weibliche in der Küche betreffen, ist lang und alles andere als wissenschaftlich aufgearbeitet. Gesichert ist bloss, dass Männer heute so viel Zeit für den Haushalt aufwenden wie noch nie, wenn auch noch immer deutlich weniger als ihre Frauen. Das deutsche Statistikportal Statista erhob in der Studie «Wie lange Männer und Frauen im Haushalt arbeiten», dass deutsche Frauen mindestens doppelt so lang mit Kochen, Waschen und Putzen beschäftigt sind wie ihre Männer. In der Schweiz wird der Fall in etwa ähnlich liegen. In Skandinavien jedoch schuften Frauen «nur» eine Viertelstunde pro Tag länger im Haushalt. Und in den patriarchalisch geprägten Gesellschaften Asiens arbeiten Männer nicht einmal eine halbe Stunde pro Tag im Haushalt, während es ihre Frauen – etwa in Indien – bis zu fünf Stunden tun.
Ein zweiter gesicherter Fakt ist, dass heute weniger gekocht wird als früher. Im Rahmen des alltäglichen Koordinatensystems aus Erwerbsarbeit, Hausarbeit, ehrgeiziger Kindererziehung und einer mindestens so ehrgeizigen Freizeitbewältigung ist für aufwendiges Kochen kaum Zeit. Die Essenszubereitung wird grösstenteils outgesourct: an die Hersteller von Fertig- oder Halbfertignahrung, deren Produkte im Supermarkt aus dem Kühlregal gepflückt und zuhause aufgewärmt werden. Oder an mobile Anbieter, die mehr oder weniger gesunde Snacks vom Kebab bis zum Vegi-Imbiss anbieten. Wenn man unter Kochen also die Zubereitung einer Mahlzeit aus eigens dafür angeschafften Produkten wie Gemüse, Teigwaren, Fleisch oder Fisch versteht, wird für die meisten Mahlzeiten während der Woche gar nicht mehr gekocht.
Paradoxerweise ist aber das Wissen über Lebensmittel auf einem beeindruckend hohen Stand. Ernährung – speziell gute, gesunde und genussvolle Ernährung – ist, wie der Kulturwissenschafter Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg analysiert, «ein entscheidendes, neues Statussymbol». Man besucht hochdekorierte, idealerweise noch nicht übermässig gehypte Restaurants und zelebriert aufwendige Wochenendeinladungen, bei denen die eigenen Foodskills ihre Nagelprobe zu bestehen haben. Nicht zu vergessen das angemessene Equipment, die Öfen, die scharfen Messer, die Batterien von Gewürzen, die sachgemäss gelagerten Fleisch- und Fischstücke, die auf Schleichwegen besorgten, raren Luxuszutaten.
Niemals würde sich der Mann am Herd damit zufriedengeben, eine Kleinigkeit, die nicht weiter zu reden gäbe, zu servieren. Es muss etwas Spektakuläres sein, ein grosses Stück Fleisch, ein Braten, ein Fisch unter der Salzkruste, ein Frikassee aus Meeresfrüchten oder Schnecken – etwas, was die eigene Kompetenz repräsentiert und als wichtigste Beilage den künftigen Gesprächsstoff mit auftischt.
Um noch einmal auf die Entrecôtes zurückzukommen: Zuerst etwas Öl ins vier bis fünf Zentimeter dick geschnittene Fleisch massieren, dann in der Stahlpfanne bei grosser Hitze eine anständige Maillard-Reaktion in Gang setzen, wie der Experte das scharfe Anbraten nennt, Vorgang auf der anderen Seite wiederholen, anschliessend reichlich Butter und Kräuter (Knoblauch, Rosmarin, Thymian) in die Pfanne geben und das Fleischstück mit der schmelzenden Butter hysterisch übergiessen. Dann Fleisch und die braun gewordene Butter auf einen Teller geben und bei neunzig Grad für zwanzig Minuten in den Ofen stellen. Anschliessend die mit dem Fleischsaft vermischte Butter zurück in die Pfanne geben, erhitzen und das Fleisch noch einmal darin wenden. Auf vorgewärmten Tellern servieren.
Foodzeitschriften für sie und ihn
Tipps für das spektakuläre Zubereiten von Fleisch gibt es übrigens in einer eigens für Männer konzipierten Kochzeitschrift namens «Beef». Das Blatt informiert ausserdem über die richtigen Kupferpfannen, die schärfsten Messer, die besten Würste, die leistungsstärksten Grills, die teuersten Weine, die stärksten Schnäpse – und immer wieder, ganz nebenbei, darüber, wie man «eine Frau ins Bett kocht», das gehört offenbar irgendwie zusammen. Der Subtext dieser fachlich erstklassig gemachten Zeitschrift: Männer, die kochen, sind Angeber. Echten Kerlen würde das Kochen sonst nämlich keinen Spass machen.
Ein Blick in konventionelle, an Frauen adressierte Foodzeitschriften zeigt, dass deren Macher von einem eher unglamourösen Frauenbild ausgehen: Statt Repräsentationsküche stehen die Faktoren «leicht, schnell und günstig» im Vordergrund, die sicherlich ihre Berechtigung haben, aber verglichen mit der muskelbepackten Hochglanzküche bieder und langweilig wirken. Vielleicht besteht der Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Küche also darin, dass Männer lauter und Frauen leiser kochen.
Eine Köchin wie Tanja Grandits, die in Basel ein Spitzenrestaurant führt, gilt zu Recht als Ausnahme von der Regel. Grandits, ausgezeichnet mit zwei Michelin-Sternen und hochdekoriert als Köchin des Jahres, behauptet sich eigensinnig in einer Männerwelt. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie einen unverkennbaren, eigenen Stil in die Spitzengastronomie eingeführt hat, den man getrost als weiblich bezeichnen kann. Ihre farblich aufeinander abgestimmten Kompositionen sind leicht und sensitiv, die bestimmenden Geschmacksträger altmodischerer Spitzenrestaurants – schwere, dunkle Saucen, fette, mollige Produkte – sucht man vergebens. Kein Zufall, dass sich ausserordentlich viele Frauen bei Grandits zum Lunch treffen – sie möchten leicht und bekömmlich essen, mit eleganter, sensibler Kreativität.
Warum müssen also immer die Frauen die Salatsauce mischen? Weil das eindeutig mehr Fingerspitzengefühl benötigt, als ein Steak zu braten – bei einem verschwindend kleinen Zugewinn an Prestige. Nur ein bisschen zu viel Essig in die Vinaigrette gemischt, und der schöne Salat ist ein saures, nicht mehr zu reparierendes Schlachtfeld. Und jeder, der schon einmal daran gescheitert ist, Eidotter mit Öl, Salz, Pfeffer, Zitronensaft und Senf zu einer crèmigen Mayonnaise zu verbinden, hat eine Ahnung von den magischen Fallgruben, in die man in der Küche manchmal gerät.
Beide Geschlechter können sich damit trösten, dass es ohne einander nicht ginge. Bleibt als kleines, aber relevantes Rätsel, wie es Mann und Frau einmal schaffen könnten, in derselben Küche an der gleichen Mahlzeit zu arbeiten.
Gemeinsam.
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