Wir wollen mehr Lohn bekommen, weniger Steuern zahlen und sparen für ein Eigenheim: Geld dominiert unser Leben. Und gerade weil das so ist, müssen wir anders über Geld reden, sagt Katharina Serafimova vom Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich. Nämlich so, dass alle einbezogen werden – vor allem mehr Frauen.
Geld ist überall – selbst dann, wenn wir es nicht im Portemonnaie haben. Es steckt unser eigenes Leben ab und jenes der ganzen Gesellschaft. Täglich geben wir es aus, monatlich nehmen wir es ein. Wir erben möglicherweise, zahlen Steuern. Hunderte Popsongs drehen sich darum. Eine kurze Suche bei Orell Füssli findet mehr als 6000 Bücher, die das Wort im Titel führen.
Doch je grösser diese Geldbeträge werden, desto weiter bewegen sie sich von der Gesellschaft weg und fliessen in das komplexe Gebilde des Finanzmarkts. International verflochten. Hochsensibel auf Neuigkeiten aus Politik und Wirtschaft. Und dominiert von eigenen Gesetzmässigkeiten, von einer eigenen Sprache. Nettokreditaufnahme, Marktzinsmethode – und schon verstehen die meisten nichts mehr.
Dass sich viele Menschen vom Finanz- und Geldsystem abgeschreckt fühlen, beobachtet Katharina Serafimova. Sie sagt deshalb: «Wir müssen beginnen, anders über Geld zu sprechen.» Die studierte ETH-Umweltwissenschafterin ist spezialisiert auf Nachhaltigkeit und Geld. Sie arbeitete bei Banken, heute ist sie als Sozialunternehmerin tätig und Lehrbeauftragte am Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich. Sie sitzt im wissenschaftlichen Beirat der Vollgeld-Initiative (siehe Box unten).
annabelle: Warum müssen wir anders über Geld reden?
Katharina Serafimova: Wir haben uns daran gewöhnt, dass Diskussionen über Geld und Finanzmärkte nur in gewissen Kreisen und mit einer bestimmten Sprache geführt werden. Damit schliessen wir viele Menschen aus.
Wo haben Sie diese Erfahrung gemacht?
An vielen Orten, aber auch an einer Tagung am Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon zum Thema Vollgeld. Ich war die einzige Frau unter zehn Referenten. Es waren Professoren für internationales Bankwesen, Wirtschaftstheorie, Volkswirtschaft, ebenso Chefökonomen und der Chefkommentator der «New York Times». Als ich an der Reihe war, merkte ich: Ich kann jetzt auch noch mit Zahlen und Modellen argumentieren. Oder ich drücke es einfacher aus. Später erhielt ich viele Zuschriften aus dem Publikum, die mir dafür dankten. Es waren vor allem Frauen.
Sie sitzen in Geld-Debatten oft als einzige Frau auf dem Podium.
Ja. Auch im allgemeinen Geld-Diskurs hört man bisher wenige Stimmen von Frauen. Darum habe ich jene, die mir auf meinen Vortrag hin geschrieben haben, eingeladen, um darüber zu sprechen, welche Art der Sprache es für sie braucht.
Und wie soll diese Sprache sein?
Es braucht eine Sprache, die für jeden verständlich ist und die sich nicht hinter komplizierten Modellen versteckt. Und es braucht eine gegenseitige Bereitschaft, sich zuzuhören.
Viele Menschen schämen sich für ihr Unwissen – Männer wie Frauen. Man denkt, man sollte über ein so grosses Thema eigentlich besser Bescheid wissen. Also sagt man lieber nichts.
Das habe ich auch beobachtet. Und viele denken auch: Ich habe nichts Derartiges studiert. Wenn ich also nicht in einer Rolle bin, die meine Meinung legitimiert, was ist meine Meinung dann wert?
Was ist sie wert?
Viel, finde ich. Ich denke nicht, dass wir das Geldwesen einigen «Experten» überlassen sollten. Geld prägt unseren Umgang mit Menschen und der ganzen Welt so stark, dass wir alle unsere Gedanken darüber äussern sollen. Ausserdem ist es auch weniger kompliziert, als viele befürchten.
Aber komplex.
Ich bin überzeugt, um sich eine Meinung darüber zu bilden, muss man nicht hundert Bücher gelesen haben. Aber es braucht Eigenverantwortung und eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Um eben diese leiseren Stimmen zum Geldwesen einzufangen, habe ich mich mit dem Dokumentarfilmer Oliver Sachs aufgemacht, um sechs Frauen zum Thema Geld zu zuhören.
Unser ganzes Leben ist vom Geld bestimmt. Müssen wir uns wirklich noch mehr Gedanken darüber machen?
Unser Umgang mit Geld spiegelt immer auch die Beziehungen, die wir zu Menschen haben. Wem leihe ich Geld, wem nicht. Wer erhält Boni, wer nicht. Wem vererbe ich mein Geld, wem nicht. Unser Leben ist schlicht vom Geld durchdrungen. Erst, wenn wir uns darüber klar werden, können wir uns davon lösen.
Wir sollen mehr über Geld reden?
Unbedingt. Wie das Geldwesen funktioniert und welche Auswirkungen dies auf unser Leben hat, wird bisher weder in der Schule noch in den Lehrbüchern an der Universität ausreichend behandelt. Es ist erfreulich, dass wir seit einigen Monaten durch die Vollgeld-Initiative viel mehr darüber sprechen. In der Gesellschaft und nicht nur in engen Kreisen von Akademikern.
Katharina Serafimova ist studierte ETH-Umweltwissenschafterin und spezialisiert auf Nachhaltigkeit und Geld
Das ist die Vollgeld-Initiative
Erst tauschten die Menschen Waren, dann kam das Geld. Es entstanden Münzen, später Noten, die von dazu berechtigten Institutionen produziert werden mussten. In der Schweiz existieren heute zwei Geldhersteller: einerseits die Nationalbank, die Noten druckt und Münzen produziert. Diese gibt sie an Banken aus, die damit ihre Bankomaten füllen. Das macht jedoch nur 10 Prozent des sich im Umlauf befindenden Geldes aus. Andererseits schöpfen Credit Suisse, Kantonalbank, Raiffeisen & Co. die anderen 90 Prozent, das sogenannte elektronische Geld. Sie tun dies, indem sie Kredite vergeben. Will ich ein Haus kaufen und die Bank gibt mir 300 000 Franken, dann schreibt sie diese auf mein Konto. Vorher hat dieses Geld nicht existiert. Die Bank kreiert also Geld – und verdient damit Geld. Mit dem Zins, den wir als Preis für das Geld zurückzahlen.
Die Vollgeld-Initiative verlangt nun, dass die Nationalbank zum einzigen Geldschöpfer ernannt wird. Alle Sichtguthaben sollen – nach einer Übergangszeit – mit Geld der Nationalbank hinterlegt sein.
Pro
Die Initianten sehen in der Initiative die Sicherung unseres Finanzsystems. Sie argumentieren damit, dass Banken heute – wenn sie in Schieflage geraten – unsere Guthaben auf den Konten nicht mehr auszahlen könnten. Weil das Sichtguthaben nicht real existiert. Für die Initianten steht fest, dass das heutige Geldsystem keine Zukunft hat. Dem stimmen im Übrigen auch zahlreiche ökonomische Experten aus Universitäten und Hochschulen zu.
Kontra
Die Gegner der Initiative finden, dass das heutige Geldsystem gut funktioniere, dass es keinen Anlass zur Änderung gebe. Eine Umstellung auf Vollgeld würde gemäss den Gegnern, zu denen auch die Nationalbank gehört, grosse Unsicherheit und Risiken mit sich bringen, weil bisher weltweit keine Erfahrungen und Vergleichswerte bestünden. Zudem könne auch Vollgeld nicht verhindern, dass Kreditzyklen und Vermögensblasen bei Immobilien oder bei Finanzanlagen entstehen.
Was ist die Verbindung zwischen Geld und Weiblichkeit?
Podiumsdisskussion, Freitag, 1. Juni, 18 Uhr. Universität Zürich Zentrum / KO2-F-153
Mit: Ina Praetorius (Theologin und Sozialethikerin), Katrin Muff (Business School Lausanne), Marianthe Stavridou (CCRS Universität Zürich, Wirtschaftsethikerin); Moderation: Katharina Serafimova
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Die Nachhaltigkeitsspezialistin ist bei Panels und Tagungen oft die einzige Frau unter den Referenten