Zwei Frauen, zwei Meinungen: Musikerin Franziska Schläpfer und Wirtschaftsprofessorin Monika Bütler debattieren über das bedingungslose Grundeinkommen – und seine Auswirkungen auf die Frauen.
Am 5. Juni stimmt die Schweiz über die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Wäre damit die Welt besser? Oder die Auswirkungen verheerend? Wir lassen zwei Frauen zu Wort kommen: Wirtschaftsprofessorin Monika Bütler, die vor den möglichen Auswirkungen warnt. Und Musikerin und Mutter Franziska Schläpfer alias Big Zis als Verfechterin des bedingungslosen Grundeinkommens.
annabelle: Monika Bütler und Franziska Schläpfer, ist ein Grundeinkommen finanzierbar?
Monika Bütler: Die Frage lässt sich nicht beantworten ohne eine konkrete Ausgestaltung. Ist das Grundeinkommen relativ gering und bleiben die Arbeitsanreize intakt – wie beispielsweise im finnischen Pilotprojekt –, so ist es ohne viel Mehraufwand finanzierbar. In der Ausgestaltung, die den Initianten vorschwebt (und die auch der Botschaft des Bundesrates im Abstimmungsbüchlein zugrunde liegt), wären die finanziellen Kosten sehr hoch, selbst wenn niemand sein Verhalten änderte. Letzteres ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Denn in der Version der Initianten ist vorgesehen, dass alle, die bisher weniger als 2500 Franken verdienten, neu einfach das Grundeinkommen von 2500 Franken erhalten. Es spielt also gar keine Rolle, wie viel man noch verdient (falls unter 2500) – mehr als das Grundeinkommen gibt es nicht. Bsp. A verdient heute 1800 Franken. B verdient 0 Franken. Beide erhalten neu das Grundeinkommen von 2500 Franken. Das heisst A erhält keinen Rappen mehr als B, obwohl sie arbeitet, das bedeutet also eine hundertprozentige Steuer auf das Arbeitseinkommen
Franziska Schläpfer: Erst mal möchte ich sagen: Viele Aussagen zum Grundeinkommen und seinen Auswirkungen lassen sich nicht überprüfen. Wenn jemand von Evidenz spricht im Zusammenhang damit, wie die Welt mit oder ohne Grundeinkommen aussehen wird, dann ist das meiner Meinung nach eine Anmassung. Viel wichtiger scheint mir dazu die grundlegende Frage: Wollen wir ein Grundeinkommen oder nicht? Wenn wir ein Grundeinkommen wollen, dann wird es finanzierbar sein. Ich verstehe, dass Menschen die Frage nach der Finanzierung stellen. Aber sie lässt sich nicht in drei Sätzen erklären. Man kann das ohne Problem nachlesen z.B. auf grundeinkommen.ch. Es gibt viele gescheite Menschen, welche ein Grundeinkommen für finanzierbar halten. Und es gibt auch viele gescheite Menschen, welche ein Grundeinkommen für nicht finanzierbar halten. Für mich geht es beim Grundeinkommen um eine Umverteilung des Geldes, nicht aus Gleichheitsgründen, sondern weil Armut verhindert werden soll.
Wenn jeder ein bedingungsloses Grundeinkommen hat, würde dann noch jemand arbeiten?
M.B. Auch hier hängt die Antwort von der Ausgestaltung ab. Im finnischen Modell – nur zirka 750 Euro pro Monat und keine hundertprozentige Besteuerung des Zuverdiensts – ja. Beim schweizerischen Modell würden wohl viele Teilzeitangestellte und Geringverdienerinnen nicht mehr weiterarbeiten. Und wer viel verdient und an sich gern arbeitet, wird sich ebenfalls fragen, ob es sich noch lohnt, 120 Prozent zu arbeiten, wenn davon zwei Drittel wieder an den Staat gehen. Ein hohes Grundeinkommen kippt auch die Balance zwischen Zahlern und Empfängern. Alle wollen Arme unterstützen, aber ob wir dies auch machen wollen für jemanden, der seinen Lebensunterhalt selber verdienen könnte?
F.S. Ich bin überzeugt davon, dass mit einem Grundeinkommen die meisten Menschen weiterarbeiten würden, auch langfristig. Auch hier stellt sich für mich eine grundlegende Frage, welche mich je nach Antwort dem Pro- oder dem Contra-Lager zuteilt: Ist der Mensch im Wesentlichen faul, egoistisch und rein ökonomisch handelnd? Oder ist der Mensch prinzipiell ein tätiges, soziales und kreatives Wesen? Ich schliesse mich der zweiten Haltung an, obwohl sich die Charaktermerkmale, welche den Menschen in der ersten Frage skizzieren, bestimmt in jedem von uns finden lassen, partiell. Aber sie sind nicht grundlegend. Vielleicht würden sogar mehr Menschen arbeiten, wenn sie einen Ausweg aus der Armutsfalle hätten. Mit einem Grundeinkommen würde Freiraum geschaffen, Druck weggenommen. Ich war nie eine bessere Schülerin als unter Umständen, unter denen es meine mündige Wahl war, zur Schule zu gehen. Ich wünsche mir selbstbestimmte, eigenverantwortliche Menschen.
Ist das Grundeinkommen förderlich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft?
M.B. Nein, aus verschiedenen Gründen. Im jetzt diskutierten Modell fährt eine Familie besser, wenn sich die Partner spezialisieren. Eine(r) arbeitet, eine(r) schaut zu den Kindern. Teilzeit wird unattraktiv für beide. Das Grundeinkommen wird uns oft als Lösung des Problems der unbezahlten Betreuungsarbeit verkauft. Auch das stimmt nicht. Es geht dabei ja nicht primär um die Entschädigung der Betreuungsarbeit, sondern vor allem darum, wer sie macht. Mit einem Grundeinkommen können wir uns weiter vor dieser Frage drücken – unter dem Vorwand, die Arbeit werde ja entschädigt, was natürlich so überhaupt nicht stimmt. Denn das Grundeinkommen erhält man bedingungslos. Wer die Betreuungsarbeit leistet, bleibt ein Machtspiel. Am Schluss werden sich wohl, faute de mieux, meist Frauen in die Betreuungsarbeit schicken, obwohl auch sie mit dem BGE «Grösseres» vorhatten. Wer soll denn die vielen pflegebedürftigen Senioren der Zukunft betreuen? Die jungen gesunden und kreativen Männer, die so vehement hinter der Idee des BGE stehen, werden es bestimmt nicht sein.
F.S. Ich teile die Befürchtungen einiger Gegner und Gegnerinnen nicht, dass ein Grundeinkommen die Geschlechterrollen zementieren würde. Als Künstlerin und Mutter interessiert mich das Grundeinkommen in erster Linie, weil damit eine Diskussion über die Definition des Begriffs der Arbeit angestossen wird. Ich musste als Künstlerin und gerade auch als Mutter feststellen, dass die meiste Zeit, in der ich am Arbeiten bin, nicht als Arbeit angesehen wird, weil sie nicht bezahlt ist. Den Künstlern und den Vätern geht das natürlich genauso. Eben allen, die unentgeltlich arbeiten. Die sogenannte Care-Arbeit, in der jemand unbezahlt oder schlecht bezahlt elementare menschliche Bedürfnisse eines anderen befriedigt, erfährt geringe Wertschätzung. Gerade weil sie überwiegend von Frauen geleistet wird, weil sie privat ist und natürlich weil sie nicht bezahlt ist. Die Schlange beisst sich in den Schwanz. Wie kommen wir da raus? Es braucht einen Paradigmenwechsel, einen Wandel grundlegender Rahmenbedingungen. Auch hier, erst wenn Druck wegfällt, wenn ein bisschen mehr Freiraum geschaffen wird, erst dann können festgefahrene Strukturen aufweichen und sich verändern. Das Grundeinkommen allein kann diese Probleme nicht lösen, aber es wäre eine nötige Hilfe.
Wie wird sich das Grundeinkommen auf die Immigration aus?
M.B. Dass das Grundeinkommen wie ein Magnet auf potenzielle Einwanderer wirkt, haben die Initianten sogar selber gemerkt. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Ein grosszügiges Grundeinkommen gekoppelt mit hohen Steuern – die es braucht, um das Grundeinkommen zu finanzieren – würde gerade die innovativsten Einwanderer eher abschrecken, wie die Forschung eindeutig zeigt. Erfindern ist nicht so sehr das aktuelle Einkommen wichtig, sondern sie bevorzugen Länder, in denen sie die Früchte ihrer Arbeit – sollten sie tatsächlich erfolgreich sein – auch behalten können.
F.S. Natürlich wünsche ich mir, dass das Grundeinkommen weltweit eingeführt wird. Ganz einfach, weil es nicht gerecht ist, diese Idee nur nationalstaatlich einzuführen. Bedingungslos für alle ist es nur, wenn niemand ausgegrenzt wird und alle, egal wo sie sind, auch gleiche Rechte haben. Aber die Frage zielt natürlich auf die Befürchtung, dass noch viel mehr Nichtschweizer Einlass verlangen. Die Angst vor der Immigration scheint so gross, dass diese Frage, nebst jener der Finanzierung, wahrscheinlich entscheidend sein wird für den Ausgang der ersten Abstimmung zur Einführung des Grundeinkommen. Solange Menschen vor Krieg und Not flüchten, wird keine Mauer und kein Risiko hoch genug sein, um sie davon abzuhalten, auch zu uns nach Europa zu kommen. Die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben in einem fremden Land wie der Schweiz haben Geflüchtete, ob wir ein Grundeinkommen haben oder nicht. Ich bin der Meinung, die eigene Heimat zu verlassen ist ein grosser Schritt. Wer diesen Schritt wagt, hat viel Kraft und Willen. Wenn wir also den Menschen, die bei uns leben wollen, ob sie nun geflüchtet sind oder aus freien Stücken zu uns kommen, Perspektiven bieten und sie wertschätzen lernen, können wir alle voneinander profitieren. Keine einfache Aufgabe. Das Grundeinkommen für alle Menschen, welche ihren Lebensmittelpunkt irgendwo in der Schweiz haben, wäre ein guter Anfang.