Leben
Geburt geplant: Kaiserschnitt und seine Gründe und Folgen
- Redaktion: Helene Aecherli; Interview: Jelena Keller; Illustration: Lisa Rock
Über ein Drittel aller Kinder in der Schweiz kommen per Kaiserschnitt zur Welt. Der Arzt Christian Kind über Gründe und Folgen.
ANNABELLE: Die Kaiserschnittrate hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt. Ist der Kaiserschnitt zum Lifestyle-Eingriff geworden?
CHRISTIAN KIND: Zum Teil ist das wohl so. Manche Frauen haben höhere Sicherheitsansprüche und wollen die Geburt planen können. Zudem sind werdende Mütter heute oft älter, was das Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft erhöht, die einen Kaiserschnitt nötig machen. Und Ärzte operieren öfter, weil sie fürchten, juristisch belangt zu werden, falls während der Geburt Probleme entstehen.
Ein Arzt verdient an einer natürlichen Geburt rund 6000, an einem Kaiserschnitt 10 000 Franken. Spielen hier auch finanzielle Interessen eine Rolle?
Das ist denkbar. Der geplante Kaiserschnitt ist bei privat versicherten Frauen auf jeden Fall doppelt so häufig. Für Frauenärzte ist eine natürliche Geburt auch aufwendiger als ein Kaiserschnitt: Sie können die Geburt nicht planen, müssen auf Abruf bereit und oft stundenlang vor Ort sein. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Kaiserschnittraten in Privatspitälern deutlich höher sind als in öffentlichen Spitälern, wo immer ein Oberarzt im Dienst ist.
Welche Situationen erfordern zwingend einen Kaiserschnitt?
Wenn Kind oder Plazenta falsch liegen, die Mutter an Infektionen leidet wie Herpes Genitalis, HIV, Hepatitis C oder an anderen schweren Erkrankungen. Oder wenn es während der Geburt zu Komplikationen kommt, sodass das Kind durch Sauerstoffmangel gefährdet wird.
Frauen streiten sich, ob die natürliche Geburt oder ein Kaiserschnitt besser ist. Was stimmt?
Für das Kind ist die natürliche Geburt grundsätzlich besser. Nach einem Kaiserschnitt leidet das Kind häufiger unter Anpassungsstörungen, weil es zu abrupt aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wurde. Es trinkt zum Beispiel unlustiger, und es entstehen öfter Atemprobleme, da die Lunge weniger gut auf das Atmen vorbereitet wurde. Während der Wehen werden Stresshormone ausgeschüttet, die für diesen Vorgang wichtig sind, zudem wird Flüssigkeit aus der Lunge gepresst, damit die Luft der ersten Atemzüge Platz hat. Weil dies fehlt, müssen Neugeborene nach einer Kaiserschnittgeburt öfter auf die Neonatologie verlegt werden.
Welche Folgen kann ein Kaiserschnitt für das Kind haben?
Bei Kaiserschnittgeborenen hat man beobachtet, dass die normale Besiedlung des Darms mit Mikroorganismen gestört ist. Bei der vaginalen Geburt werden Bakterien aus dem mütterlichen Darm vom Kind verschluckt und bilden die Basis für den Aufbau einer gesunden Darmflora. Dies ist zentral für die Entwicklung des kindlichen Immunsystems. Eine Störung dieses Vorgangs kann später Asthma, Diabetes, Zöliakie und eventuell auch Übergewicht fördern.
Welches sind mögliche Folgen für die Mutter?
Sie müssen sich erst auf die eigene Genesung konzentrieren und können das Kind oft nicht vollumfänglich pflegen. Manche bedauern das fehlende Geburtserlebnis oder werfen sich vor, versagt zu haben. Es können Infekte und Heilungsstörungen in der Operationswunde entstehen. Bei einer nächsten Schwangerschaft ist das Risiko erhöht, dass der Mutterkuchen in die Gebärmutter einwächst oder die Narbe unter den Wehen einreisst.
— www.kaiserschnitt-info.ch
— Christian Kind ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
Hebamme hilft
Das Angebot der Hebamme umfasst u. a. sieben Kontrolluntersuchungen sowie die Betreuung bei Risikoschwangerschaften. Nach der Geburt unterstützt sie Mütter bis zu zehn Tage lang zuhause. Diese Leistungen werden von der Grundversicherung ohne Belastung von Franchise und Selbstbehalt übernommen.
— www.hebamme.ch