Frauenzeitschriften rund um den Globus: «Die Welt der Damen» in Stockholm
- Text: Helene AecherliFotos: Ruggero Maramotti
So machens die Schwedinnen - Auftakt unserer Serie über Frauenzeitschriften in aller Welt: Zu Besuch bei «Damernas Värld» in Stockholm.
Hej Kolleginnen! In unserer neuen Serie besuchen wir die Redaktionen von Frauenzeitschriften rund um den Globus. Zum Auftakt: Die «Welt der Damen» in Stockholm, wo man gerade die Frau von morgen erfindet.
Es gab drei Dinge, die ich als kleines Mädchen während der Sommerferien in Göteborg am liebsten tat: Barfuss, den Duft von Seetang in der Nase, über sonnenwarme Klippen klettern. Im Öltankwagen meines Grossvaters mitfahren. Und mit meiner Mutter an den Kiosk gehen. Ich war stets betört von der Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften, die sich vor mir ausbreiteten, fand es aufregend, die verschiedenen Titel zu studieren, um mich dann trotzdem immer wieder auf die neusten Pferdemagazine zu konzentrieren. Meine Mutter griff derweil genüsslich nach dem royalen Klatschmagazin «Svensk Damtiding» und holte mit einem «Ska vi ta den här också?» (Sollen wir die auch noch nehmen?) die Zeitschrift «Damernas Värld» vom Gestell. Natürlich hatte ein Magazin, das sich Monat für Monat neu mit der Welt der Damen befasst, damals gegen die Welt der Pferde keine Chance, aber ich mochte seine fröhliche Ausstrahlung, den freundinnenhaft- selbstironischen Ton seiner Texte und die Bilder von Sommernachtsessen auf felsigen Schäreninseln. Und immer wenn ich wieder nach Göteborg zurückkehrte, entdeckte ich eine «Damernas Värld» in irgendeinem Zeitungshaufen, mal in der Küche, mal auf der Toilette, weil meine Mutter sie partout nicht wegwerfen mochte. Noch heute kommen mir Hefte in die Finger, die längst verjährt sind, ihren Glanz aber noch nicht verloren haben, Zeuginnen auch meiner vergangenen Zeiten.
Als ich nach Stockholm fuhr, um die Redaktion von «Damernas Värld» zu besuchen, fühlte ich mich denn auch so erwartungsvoll wie aufgeregt: Wie würde sich die Redaktion präsentieren, deren Heft mich seit Jahrzehnten begleitet? Wer sind die Köpfe hinter dem Blatt, diesem Fächer aus Gesellschafts- und vor allem Modereportagen, aufgrund derer es als wichtigstes Modemagazin des Landes gilt? Was treibt sie an?
«Wir müssen uns die Lust der Leserin bewahren»
Die Redaktion befindet sich in den Räumlichkeiten des Bonnier-Verlags am Sveavägen, einer der Paradestrassen Stockholms. Das Haus ist umgeben von Kleiderläden, einer U-Bahn-Station, Getränkeshops und dem Restaurant Jensens’ Bofhus; ein Gitterlift aus der Jahrhundertwende führt die Stockwerke hinauf, im Treppenaufgang hängt ein Plakat mit einem Zitat von Amelia Adamo, der erfolgreichsten Zeitschriftenmacherin des Landes. «Jedes Mal, wenn unsere Leserinnen die neue Zeitung in die Hand nehmen, müssen ihre Erwartungen erfüllt werden, sonst machen sie Schluss mit uns», so die Quintessenz. «Wir müssen ihnen immer wieder von neuem und mit Leidenschaft unsere Notwendigkeit beweisen, um uns ihre Lust zu bewahren. Das ist wie in einer Liebesbeziehung.»
Leidenschaft in diesem Sinne ist wohl aber eher eine stille Sache. Denn in der Welt der Damen ist es überraschend ruhig. Man hört kein Telefon, keine Stimmen, keinen brummenden Drucker, keine Schritte auf dem Parkett, nichts. Das ist, was als Erstes auffällt, ich gehe unwillkürlich auf Zehenspitzen. Es ist Montagmorgen kurz vor zehn Uhr, hinter Glasscheiben sitzt das fünfköpfige Modeteam kerzengerade vor seinen Bildschirmen, im Grossraumbüro nebenan starren die Redaktorinnen, die Art Director, ihre beiden Grafikerinnen und die Redaktionsassistentin in ihre Macs, mittendrin die Chefredaktorin Martina Bonnier (45). Sie feilt an einem Text, heute ist Abgabetermin für die ersten Seiten des neuen Blattes, deshalb wohl die konzentrierte Stille. Immerhin: Es riecht nach Kaffee, so wie es in den meisten schwedischen Büros nach Kaffee riecht, nach einem Hauch von Parfum und frischen Blumen. Und die Begrüssung ist so herzlich, dass ich mir vorkomme wie eine verlorene Tochter, die aufs Mutterschiff zurückgekehrt ist – und ich frage mich, ob ich zu Gästen in unserer Redaktion ebenso freundlich bin, wenn ich gerade dabei bin, einen Text abzugeben. Wohl kaum.
Der Montagmorgen, an dem ich in der Redaktion andocke, ist ein historischer Tag. Es ist der Montag nach dem Wochenende, an dem zum dreissigsten Mal in der Geschichte des Blatts der Modepreis Damernas Värld Guldknappen, der Goldene Knopf, verliehen wurde. Der Preis ist ein Ritterschlag, wer ihn erhält – dieses Jahr war es unter anderem das Modelabel Dagmar – gehört zur Crème de la crème der schwedischen Jungdesigner. Diesmal hat die Verleihung auch gleich das Blatt mitvergoldet: Über tausend Fachleute, Designer, Blogger und VIPs waren an der Gala dabei, 800 Leserinnen feierten am speziell für sie durchgeführten Abend, 220 Abonnementes konnten neu dazugewonnen werden, die Website verzeichnete 40 000 Besucher. Ein Rekord.
Kurz vor der Redaktionssitzung um 10 Uhr lässt Martina Bonnier ihre Crew zu einem Debriefing auf dem Konferenzsofa neben der Küche zusammenkommen, sie schwankt zwischen Dankbarkeit und Euphorie. Robert Norberg (46), Modechef und einziger Mann im Team, in rosa Socken und schwarzen Gladiatorensandalen, lächelt erschöpft, Onlineredaktorin Emma Sundh (28), die hellblonden Haare zu einem Julia-Timoschenko-Zopf gedreht, glüht vor Stolz, denn irgendwie gehört der Goldene Knopf zumindest in diesem Moment auch ihr: Ursprünglich hatte sie sich zur politischen Reporterin ausbilden lassen, seit einem Jahr ist sie für die Website von «Damernas Värld» zuständig. Als sie anfing, hatte die Site knapp 5000 Besucher pro Woche, heute sind es durchschnittlich 30 000. Ihr Erfolgsrezept: totale Konzentration auf Modethemen, täglich neue Beiträge nach einem fixen Schema, montags «Ihr Stil», freitags die besten Schnäppchen. Dazu Facebook-Einträge und Posts in ihrem eigenen Modeblog, die von Userinnen eifrig kommentiert werden.
Ohne netzwerkerische Akribie, erklärt sie mir später, geht gar nichts mehr. Schweden hat sich zu einem der Internet-affinsten Länder der Welt entwickelt. Inzwischen führt jede vierte Frau ihren eigenen Mode- oder Lifestyleblog, Starbloggerinnen wie Elin Kling haben über 150 000 Leser und lancieren ihre eigenen Zeitschriften. Angesichts dessen, so Emma Sundh, muss «Damernas Värld» auch online Topleistungen erbringen. «Und ich will», betont sie, «dass meine Seiten die besten sind.»
Sie haben alle hart für diesen Job gekämpft
Flaggschiff auf dem schwedischen Zeitschriftenmarkt ist jedoch nach wie vor die Printversion: Jährlich produziert die Redaktion 14 Ausgaben (im Frühling und Herbst gibt es je eine zusätzlich), hinzu kommen mit «Damernas Värld Mode» drei Spezialnummern, die ausschliesslich Textiles zelebrieren. «Alla Kvinnors Flittiga Händer» (Aller Frauen fleissige Hände) lautete 1940 der Titel der ersten Ausgabe, später hiess das Magazin «Damernas Värld Flittiga Händer», irgendwann fiel das Attribut weg. Trotzdem scheint der Geist der fleissigen Hände die Redaktion noch immer zu durchdringen: Im Verhältnis zum Arbeitspensum ist sie mit 17 Leuten knapp dotiert, Kaffee- und Mittagspausen werden kurz gehalten. Zudem sind zwei oder sogar drei Aufgabenbereiche oft von einer einzigen Person besetzt. So ist die Art Director auch Fotochefin, die Bildredaktorin deckt zusätzlich noch die Gourmet- und Einrichtungsseiten ab, Redaktorin Therese Hallberg (31) betreut gleichzeitig Haut und Haar sowie die gesamten Gesundheitsbeiträge. Auch sie legt die Latte für ihre Arbeit hoch: «Die Leserinnen sollen aus jeder Zeile herausspüren, dass hier kein PR-Mensch, sondern eine Journalistin am Werk war», sagt sie. «Und wenn ein Produkt bei unseren Tests schlecht abschneidet, sag ich das auch.» Von der ständig stärker werdenden Einflussnahme durch Inserenten will sie nichts wissen. «Inserate», sagt sie, «sind nicht meine Aufgabe. Ich bin für die Leserinnen da.»
Das Gros der Kommunikation zwischen Redaktion und Aussenwelt verläuft via E-Mail, längst wird nur noch in Notfällen telefoniert, die iPhones sind auf stumm geschaltet, selbst ausgedruckt wird nur noch das Nötigste, was den Trend zur Papierlosigkeit in Schweden (selbst papierene Busbillette sind rar geworden) widerspiegelt. Vielleicht ist die Onlineisierung mit ein Grund für die Stille auf der Redaktion, die sich über meinen ersten Eindruck hinaus bestätigt und nicht nur durch den Abgabestress bedingt zu sein scheint. Vielleicht ist sie aber auch Ausdruck für den leidenschaftlichen Ehrgeiz der jungen Redaktion, dessen Altersdurchschnitt bei 30 Jahren liegt. Denn die Stellen bei «Damernas Värld» sind begehrt; wer es hierher geschafft hat, gehört zu den Besten der Branche. «Wir haben alle hart für diesen Job gekämpft. Deshalb arbeiten wir nun auch sehr fokussiert», sagt Therese Hallberg.
Später erfahre ich, dass in der Welt der Damen sehr wohl geschwatzt und gelacht wird. Vor allem an Freitagnachmittagen, wenn Martina Bonnier das Wochenende mit Kuchen und einem Glas Rosé einläutet – und man sich danach scherzhaft auf einen Abstecher ins Café Riche verabredet, die Bar, in der sich die meisten geschiedenen Männer treffen und die für die Single-Frauen Stockholms ein beliebter Treffpunkt ist.
Ihre Mitarbeiterinnen sollen sich bei ihrer Arbeit wohlfühlen und auch Spass haben, sagt Martina Bonnier. Sie weiss, dass die Stimmung in einer Redaktion grösstenteils Chefsache ist. Jahrelang hat sie erlebt, wie verheerend sich eine schlecht gelaunte, intrigante Chefredaktion auf das ganze Team auswirken kann. «Und das wiederum», betont sie, «strahlt auf das Blatt ab.»
Ich treffe Martina Bonnier erst in der Mitte der Woche. Wir setzen uns an den Küchentisch der Redaktion, denn sie will sicht- und hörbar sein für alle, ins Büro ziehe sie sich nur für schwierige Gespräche zurück. Eben hat sie mit «Obsession, en Modefamiljs Bekännelser», Bekenntnisse einer Modefamilie, ihr zweites Buch herausgegeben, eine Mischung aus Fiktion und Stilguide, ist an Vernissagen, gibt Interviews. Sie ist eine kleine, zierliche Frau mit langen, rotbraunen Haaren, stets perfekt angezogen, die Highheels zur Kleidung assortiert. In ihrem Schrank in ihrer Wohnung im Luxusviertel Östermalm, wo sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern lebt, sollen nur Designerstücke hängen, ihr Hochzeitskleid hat sie sich vom Couturier Pär Engsheden schneidern lassen, demselben Designer, der Jahre später auch Kronprinzessin Victoria zur Braut machen sollte. Ihre offen zur Schau getragene Leidenschaft fürs edle Textil hat Bonnier zur nationalen Stil-Ikone und Reizfigur zugleich werden lassen. Sie ist Spross der Verlegerfamilie Bonnier und wurde nach zehnjähriger Laufbahn als Modechefin bei «Damernas Värld» im vergangenen Februar zur neuen Chefredaktorin ernannt. Da konnten es manche kaum erwarten, sie stolpern zu sehen. Sie habe sich wegen ihres Namens immer wieder beweisen müssen, sagt sie. Aber sie versuche, sich nicht dadurch beirren zu lassen. Ihre Aufgabe sei es, das Magazin ins 21. Jahrhundert zu führen. «Und das heisst, die Besten zu sein in Mode, gesellschaftlichen Trends und Frauenfragen.»
Mode ist in Schweden nicht einfach nur Kleidung, sonder Teil der Kultur
Beflügelt durch die steigende Zahl skandinavischer Designer, die mit ihrer Jeansmode und einem eigenständigen, raffiniert-funktionalen Kleidungsstil auch international gefeiert werden, ist in Schweden in den vergangenen zwölf Jahren ein neues Modebewusstsein herangewachsen. Dass das mit 9.4 Millionen Einwohnern eher kleine Land eine derartige Fülle eigener Marken hervorbringt, liegt unter anderem daran, dass Design, wie etwa Glas- und Möbeldesign, hier schon immer einen hohen Stellenwert hatte und stark gefördert wird. Zudem trägt der schwedische Konzern H&M massgeblich zum Erfolg der nationalen Modebranche bei, indem er Newcomern hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten beschert. «Mode ist für uns nicht mehr einfach nur Kleidung, sondern Teil unserer Kultur», sagt Martina Bonnier. «Sie ist genauso bedeutend wie Kunst und Literatur.»
Um die gesellschaftlichen Themen entsprechend abzudecken, hat sie mit Rebecka Edgren (39) eine der führenden feministischen Journalistinnen des Landes als Redaktionschefin an Bord geholt. Die Diskrepanz zwischen den beiden Frauen könnte kaum grösser sein. Hier die oft fast ätherisch wirkende Stil-Ikone, die sich ausschliesslich in der Modewelt bewegt, da «die dreifache Mutter», wie Rebecka Edgren selber sagt, «die in einem Vorstadthaus aus den Siebzigerjahren lebt und die Kinderbetreuung mit ihrem Partner teilt», und die sich zweimal pro Woche um halb vier in die U-Bahn, den Bus und ins Auto stürzt, um die jüngste Tochter von der Krippe abzuholen. Die mit ihrer Energie die treibende Kraft der Welt der Damen geworden ist. Die bloggt und twittert, um politisch auf dem Laufenden zu sein und um Themen aufzuspüren, die sie in die Redaktion einspeisen kann. Als sie zu «Damernas Värld» wechselte, hatten ihre Kollegen die Nase gerümpft. Sie aber ist überzeugt davon, gerade über dieses Blatt ein breites Publikum für ihre Anliegen zu finden. So hat sie eben die neuste Studie zur Gleichstellung in Schweden publiziert, die unter anderem zeigt, dass die Zahl der Väter, die sich für die Kinderbetreuung engagieren, rückläufig ist. Sie arbeitet an einem Beitrag über ein Phänomen, das sie Balancing nennt: Frauen in beruflichen Toppositionen, die sich privat mit Vorliebe in mädchenhafte Rüschen kleiden und Muffinrezepte austauschen, um zu beweisen, dass ihre Weiblichkeit durch ihre hohe Position nicht gefährdet ist. Sie hat einen Artikel über den Mutterkult in Schweden in der Pipeline, der kinderlose Frauen fast zu sozialen Randfiguren werden lässt. Und einen über die wachsende Anzahl junger Frauen, die sich auf das Hausmütterchendasein besinnen, mit ihren Kindern zuhause bleiben, aus ökologischem Mehl Brot backen und eigenes Gemüse anpflanzen. Generation Tant heisst diese «antikapitalistische Bewegung». Sie zielt darauf ab, so Rebecka Edgren, nicht dieselben vermeintlichen Fehler zu machen wie die Generationen von Frauen vor ihr: vor lauter Gleichberechtigungs- und Karrierestreben das Leben zu vergessen.
Ihr Hochgeschwindigkeitstempo und Ihre Initiative haben der Redaktion Flügel verliehen: So ignorierte Rebecka Edgren typisch weibliche Ermahnungen zur Bescheidenheit und meldete «Damernas Värld» und «Damernas Värld Mode» kurzerhand für den Schwedischen Zeitschriftenpreis an. Ihr Mut wurde belohnt: «Damernas Värld» gewann die Auszeichnung «Zeitschrift des Jahres», «Damernas Värld Mode» den «Oneshot des Jahres». In der Redaktion der Welt der Damen dürften nun knallende Korken die Stille durchbrechen.
Dame von Welt
«Damernas Värld», gegründet 1940, erscheint 14-mal jährlich und erreicht mit einer Auflage von 87 300 Exemplaren (das Schwesterblatt «Damernas Värld Mode» erzielt eine Auflage von 60 000) 261 000 Leserinnen zwischen 15 und 80 Jahren, das Durchschnittsalter liegt bei 45. Der schwedische Zeitschriftenmarkt fokussiert mit einer beachtlichen Anzahl Titeln auf das weibliche Zielpublikum. So steht «Damernas Värld» in Konkurrenz mit der schwedischen «Elle» und der Zeitschrift «Femina», aber auch mit Titeln wie dem «M Magasin» (ein Blatt für 50-Plusser) und dem Frauenmagazin «Amelia». Seit August 1982 vergibt «Damernas Värld» jährlich den Modepreis Guldknappen, die renommierteste Auszeichnung in der schwedischen Modebranche. Preisträger sind Labels wie Filippa K und Odd-Molly, dieses Jahr holten sich die Schwestern Kristina Tjäder, Karin Söderlind und Sofia Wallenstam mit dem Label Dagmar die Trophäe.
1.
An einer Paradestrasse der schwedischen Hauptstadt Stockholm befindet sich das Verlagshaus Bonnier.
2.
3.
Die Chefredaktorin und schwedische Stil-Ikone Martina Bonnier
4.
Art Director Beatrice Hellman
5.
Im 3. Stock residiert «Die Welt der Damen»