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Frauenrechtlerin Marthe Gosteli kämpft noch immer

Frauenrechtlerin Marthe Gosteli kämpft noch immer

  • Interview: Miriam Suter; Bilder: Gosteli-Stiftung, Worblaufen

Die 98-jährige Marthe Gosteli hat beinah 100 Jahre Frauenbewegung in der Schweiz miterlebt. Wir haben die Frauenrechtlerin zum Interview getroffen. 

Es ist ein grosser Moment mit einer kleinen Frau: Marthe Gosteli empfängt mich an einem strahlenden Morgen im Dezember in ihrem Archiv in Worblaufen bei Bern, sie reicht mir knapp bis zur Schulter. Marthe Gosteli wurde 1917 auf dem Bauernhof ihrer Eltern geboren, wo sich heute das von ihr gegründete Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung befindet, mit Nachlässen vieler Schweizer Frauenverbände und wichtiger Frauen der Zeitgeschichte. In der Schweiz ist das Archiv eine einmalige Institution – sozusagen das historische Gedächtnis der Schweizer Frauenbewegung. 

Die 98-Jährige war unter anderem Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Frauenverbände für die politischen Rechte der Frau. Diese Gemeinschaft trug 1971 erheblich dazu bei, dass der Bundesrat das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene annahm. 

Für mich ist Marthe Gosteli eine Frau, zu der ich aufschaue. Immerhin ist es unter anderem ihr Verdienst, dass ich heute abstimmen kann. Nervosität schwingt mit. Marthe Gosteli lächelt freundlich, gibt mir die Hand, und sofort habe ich das Gefühl, auf eine Verbündete zu treffen. 

annabelle.ch: Marthe Gosteli, Sie waren 23 Jahre alt, als Sie anfingen, sich für die Frauenbewegung zu engagieren. Was gab Ihnen den Anstoss dazu? 
MARTHE GOSTELI: Ich habe mir damals gedacht: Wenn ich nichts mache, dann passiert nichts. Das sorgte aber natürlich für Gegenwind. Eine Frau hatte für die Familie da zu sein, sie hatte sich nicht zu engagieren. Und unsere junge Frauenbewegung hat dieses gewohnte Bild bekämpft. Dadurch, dass ich selber bei mehreren Organisationen dabei war – das Frauenstimmrecht war ja nur ein kleines Stück vom ganzen Kuchen – habe ich viele inspirierende Frauen kennengelernt. Das hat mich motiviert. Eine Frau, mit der ich eng zusammengearbeitet habe, ist Beatrix Mesmer. Sie hat kluge Bücher über die Frauenbewegung in der Schweiz geschrieben. Ohne Frauen wie sie hätte ich meine Arbeit nicht so ausführen können, wie ich es getan habe. (Anm. d. Red.: Marthe Gosteli und Beatrix Mesmer wurde 2011 der Menschenrechtspreis der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte verliehen. So wurden sie für ihren Einsatz für die Frauenrechte gewürdigt.)

Wie steht es Ihrer Meinung nach heute um die Frauenbewegung in der Schweiz?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich entsetzt darüber bin, wie wenig die Frauen über ihre eigene Geschichte wissen. Vor allem, wenn ich daran denke, dass wir in der Schweiz ja eine sehr starke und historisch bedeutende Frauenbewegung hatten. Für mich war das die grösste unblutige Freiheitsbewegung des 20. Jahrhunderts. Und sie wird auch heute noch im Unterricht in den Schulen kaum behandelt – eine Katastrophe. Darum engagiere ich mich auch immer noch, damit die Geschichte der Frauen aufgearbeitet wird. Primär muss man ja zuallererst seine Geschichte kennen, bevor man selber etwas ausrichten kann. Ohne Kenntnis der Geschichte gibt es keine Zukunft!

Wo muss noch mehr passieren?
Definitiv in der Bildung und der Aufklärung. Eine sehr wichtige Erkenntnis ist auch, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht. Das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen: Wenn man erfolgreich sein will, braucht man einen starken Partner, mit dem man eine gesunde Zusammenarbeit aufbauen kann. Viele begreifen das aber nicht. Man kann nicht alles haben, Frauen nicht und Männer nicht. Sie wollen heiraten, Kinder bekommen, Karriere machen, alles gleichzeitig. Und das geht nicht ganz allein. Wir sind eben doch noch am Anfang und befinden uns in einer Entwicklung. Und wichtig ist, dass wir zusammen herausfinden, wie wir gemeinsam arbeiten und leben können. 

Hat Ihre Mutter Ihnen zuhause bereits ein selbstbestimmtes Frauenbild vorgelebt?
Meine Mutter hat von meiner Grossmutter sehr viel über Emanzipation gelernt. Wobei, früher sprach man ja nicht von Emanzipation. Aber meine Mutter hat von ihr sicher eine Menge über das Frauenbild mitbekommen, und das hat sich dann natürlich auf mich übertragen. Meine Mutter wurde schon als junge Frau Mitglied vom Stimmrechtsverein Bern. Bern hatte sowieso schon immer eine starke Frauenbewegung, und meine Mutter war ein grosser Teil davon.

Als junge Frau habe ich manchmal das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Was gibt Ihnen die Kraft, sich mit knapp 100 Jahren noch immer bei Frauenthemen zu engagieren?
Das verstehe ich. Mir ging es damals ähnlich, sie ist ja auch eine Riesensache, diese Frauenbewegung. Aber je mehr ich kämpfen musste, desto mehr habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, dass ich mich dafür einsetze. Ich habe im Zuge meiner Arbeit so viele kluge Frauen kennengelernt – und übrigens auch sehr viele aufgeklärte Männer, Gott sei Dank, denn das hat mir die Kraft gegeben weiterzumachen mit meiner Arbeit. Ich habe ausserdem das grosse Glück, dass ich im Kopf noch sehr gut «zwäg» bin. Ich frage mich aber heute schon manchmal, ob ich mich nochmals so stark engagieren würde, wenn ich heute jung wäre.

Anfang Dezember 2015 entschied der Bundesrat, dass börsenkotierte Unternehmen in der Geschäftsleitung mindestens 20 Prozent Frauen einstellen sollen. Welche Gedanken zum Thema Frauenquote haben Sie?
Von der Frauenquote halte ich gar nichts. Was heisst das schon? Frauen einzustellen, nur weil sie Frauen sind, macht doch keinen Sinn. Qualifikation ist wichtig! Natürlich haben wir da noch einen langen Weg vor uns, da sind nicht alle Voraussetzungen gleich. Darum ist es wichtig, dass schon die Buben und Mädchen gleichgestellt aufwachsen, mit den gleichen Rechten. Und das ist noch nicht so.

 

Filmpremiere «Suffragette»

Auch Grossbritannien hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Frauenbewegung: die Suffragetten. Der Film «Suffragette» der Regisseurin Sarah Gavron arbeitet diese Geschichte auf. 1912 schliesst sich Maud Watts (Carey Mulligan, hier im Interview zum Film) den feministischen Aktivistinnen an und wird dafür als Mutter und Ehefrau von der Gesellschaft geächtet. Der Film ist ein inspirierendes Drama über Mut, Würde und Kompromisslosigkeit. Hochkarätig besetzt mit Carey Mulligan, Helena Bonham Carter und Meryl Streep.

 

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1.

In der US-amerikanischen Botschaft in Bern. Nach dem Krieg leitete sie von 1949 bis 1953 und erneut von 1955 bis 1962 die Filmabteilung des Informationsdienstes.

2.

Mit Eltern und Schwester an der Expo

3.

Marthe Gosteli wurde 1989 mit dem Trudy-Schlatter-Preis, 1992 mit der Burgermedaille der Burgergemeinde Bern, 1995 mit einem Ehrendoktorat der Universität Bern und 2008 mit der silbernen Verdienstmedaille der Ökonomischen und Gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Bern ausgezeichnet.

4.

Die Gosteli-Stiftung betreut das Archivmaterial der meisten Frauenverbände sowie die Nachlässe wichtiger Frauen der Zeitgeschichte. 

5.

71 Jahre Altersunterschied, das gleiche Anliegen: Marthe Gosteli und annabelle Online-Redaktorin Miriam Suter