Leben
Frauenfussball-WM: Helene Aecherli über sexistische Sportberichterstattung
- Text: Helene Aecherli
- Text: Helene Aecherli
Sexistische Sportberichterstattung ist so gesellschaftsfähig, dass sie manchmal sogar Frauen kaum mehr auffällt. Gut, gibt es Männer, die sich dagegen zur Wehr setzen.
Der Kolumnist Bänz Friedli löste am Montagabend einen wahren Facebook-Sturm aus. Es hagelte von Kommentaren, innerhalb weniger Stunden klickten über 14’000 User auf den Like-Button, der Artikel wurde über 1’800-mal geteilt. Und noch immer gehen die Wogen hoch, es wird geliket und kommentiert. Was ist geschehen?
Hope Solo zog sich 2011 für das US Magazin ESPN Body Issue aus (Foto: «Blick am Abend» vom 6. Juli / Facebook Bänz Friedli)
Bänz Friedli hat in einem so leidenschaftlichen wie pointierten offenen Brief an den «Blick am Abend» dessen Berichterstattung über den Final der Frauenfussball-WM kritisiert. Er sei fassungslos, schrieb er. Da hätten die amerikanischen Fussballerinnen Sportgeschichte geschrieben. Sie seien zum dritten Mal Weltmeisterinnen geworden, und der grossartige Final – bei den Männern habe es seit 1982 kein auch nur annähernd so berauschendes Endspiel gegeben – böte Anlass zu vielen tollen Geschichten. «Und was fällt euch zu diesem Sportereignis ein? Die uralte Story, natürlich wieder mit Bild, dass Torhüterin Hope Solo mal nackt posiert habe … (Das haben David Beckham und Cristiano Ronaldo im übrigen auch, so fucking what?!). Habt ihr von Manuel Neuer am Tag nach dem WM-Final ein Nacktbild veröffentlicht? Von Bastian Schweinsteiger?» Es sei bestürzend, betonte Friedli, dass die mehrheitlich junge Leserschaft mit der immer selben «alten sexistischen Keule» versorgt wird. Zudem, fügte er hinzu, würde dieser Sport, also der Frauenfussball, mit einer solch schäbigen, dummen und frauenverachtenden Berichterstattung ins letzte Jahrhundert zurückgeworfen.
Päng. Das sass! Ich brachte mich sofort in Stellung, klickte auf den Like-Button, teilte den Brief und platzierte den Kommentar, dass ich es für das allgemeine mediale Interesse und den Status der Frauenfussball-WM zudem als symptomatisch empfunden hätte (es hat kaum ein Medium gross darüber berichtet), dass TV-Kommentator Sascha Ruefer den Halbfinal der WM falsch in seine Agenda eingetragen und das Sportereignis verschlafen hatte (die WM spielte in Kanada, also wurden die Spiele zeitverschoben ausgetragen). Für dieses Missgeschick erntete er zwar nationales Gelächter, man klopfte ihm mahnend auf die Schultern, er zeigte sich zerknirscht und es gab eine Online-Umfrage zum Thema «Haben Sie auch schon mal verschlafen?», wobei 55,8% der Teilnehmer die Antwortoption «Ja! Zum Glück hat es keiner gemerkt» angeklickt hatten. Klar, jeder kann sich mal im Datum irren und verschlafen, das finde ich auch. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass Ruefer den Halbfinal einer Männerfussball-WM richtig in seiner Agenda vermerkt hätte.
Aber – der Exkurs zu Ruefer soll nur eine Klammerbemerkung sein, eine Fussnote. Denn etwas anderes ist ungleich gravierender: Ich hatte ihn nämlich auch gelesen, den Text über das wilde Leben der Hope Solo, die Torhüterin der Amerikanerinnen; ich habe es auch gesehen, das Bild der nackten Athletin, das den Blick gefangen hielt und ihn ablenkte vom Foto der jubelnden Mannschaft. Hope blickte mich herausfordernd an, ihren linken Arm schützend über die Brüste gelegt, daneben, auf der rechten Seite, jubelte mir die Headline zu: «Skandalnudel krönt ihre Karriere.» Ich starrte einige Sekunden auf die fetten Buchstaben zurück, runzelte die Stirn: «Skandalnudel? Aber – hat die nicht eben die WM gewonnen?» Ich war ein wenig verwirrt. Denn die Sieger einer Fussball-WM, so hatte ich es bis anhin beobachtet, werden zumindest bei der medialen Verkündung ihres Triumphs in ihren Trikots abgelichtet, im Minimum in ihren Hosen – nur schon der Sponsorenlogos wegen. Aber – ich wunderte mich nicht, regte mich nicht auf. Ich zuckte innerlich bloss mit den Schultern, blätterte weiter und legte die Zeitung weg. Kurz: Ich hatte das, was Bänz Friedli dazu brachte, in die Tasten zu greifen, schlichtweg übersehen. Und dies, obwohl ich mich praktisch rund um die Uhr mit Genderfragen beschäftige und mich nicht davor scheue, frauenfeindliche oder sexistische Äusserungen anzuprangern.
Warum, fragte ich mich bange, habe ich nicht auf dieses Bild reagiert? Warum habe nicht ich diesen Brief geschrieben? Warum habe ich im Tram nicht einmal eine empörte Grimasse gemacht? Nun, ich könnte natürlich dahingehend argumentieren, dass ich mich nur sehr marginal für Frauenfussball interessiere und die entblösste Hope Solo deshalb keinen Eindruck auf mich machte. Doch das würde zu kurz greifen. Denn mein mangelndes Interesse für den Sport per se ist hier nicht der Punkt.
Die Antwort ist so simpel wie verstörend: Ich habe von diesem Medium auf meinen Knien im Tram keine andere Berichterstattung über Sportlerinnen erwartet (wie ich auch von Onlineportalen keine andere Berichterstattung erwarte), also, nehme ich sie als gegeben hin, und zwar so, dass es mir schon gar nicht mehr auffällt, wenn «alte sexistische Keulen» geschwungen werden. Vielleicht spielt aber zusätzlich zu dieser Lethargie auch Resignation mit und eine Art indignierte Langeweile – Langeweile darüber, dass heute, im Jahr 2015, Mainstreammedien noch immer auf der ausgezogenen Frau beharren, mit dem Argument der Klickraten und Männerbelustigung. Und schliesslich auch Langweile darüber, dass es den Machern selbst dabei nicht längst langweilig geworden ist.
Vielleicht aber habe ich mich auch bereits an ebendiesen Sexismus gewöhnt, der sich nicht nur dann zeigt, wenn es um Bälle geht, sondern omnipräsent ist: an die alltägliche, fast schon reflexartige Geringschätzung von Frauen, die in der Regel kaum herausgefordert wird – auch nicht von den Frauen selbst. So dürfen etwa die Herren der SVP an ihrer Delegiertenversammlung fast unwidersprochen davon fantasieren, Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit einer Pseudo-Anthrax-Attacke zu erschrecken. Kaum jemand opponiert, wenn Podien mehrheitlich mit männlichen Teilnehmern bestückt sind oder findet es merkwürdig, dass in der Deutschschweizer Presse, in Radio und Fernsehen 83 Prozent der befragten Experten Männer sind. Und dass die Zahl weiblicher Verwaltungsräte und CEOs hartnäckig auf tiefem Niveau verharrt, wird meist nur noch müde abgenickt.
Ich weiss, ich habe obige Zeilen schon x-mal geschrieben, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich dabei in einem muffigen Raum im Kreis drehe. Doch Stimmen wie Bänz Friedli bringen frischen Wind in die Chose. Nicht nur, weil er mit seinem offenen Brief zur Causa Hope Solo auf einen Miss-Stand hingewiesen und mich mit meiner eigenen Lethargie konfrontiert hat, sondern, weil er es als Mann getan hat. Das zeigt mir, dass auch Männern die gängige Ballerei der Boygroups langsam zu dumm wird. Dass es auch Männer als ihre Verantwortung sehen, Sexismus anzuprangern. Dass Männer realisieren, dass es auch an ihnen liegt einzugreifen und ihre Stimme zu erheben, wenn sie etwas verändern wollen. Vielleicht war dieser offene Brief erst der Anfang. Sehr gut möglich sogar. Denn potenzielle Empfänger gibt es viele.