Das Schweizer Hilfswerk Business Professionals Network (BPN) unterstützt und fördert Unternehmerinnen und Unternehmer in Ländern wie Kirgistan oder der Mongolei. Eine Frauenquote braucht es laut Stiftungsrätin Noëlle Opprecht in den von BPN betreuten Ländern nicht – über die Hälfte der Teilnehmenden sind heute bereits Frauen.
annabelle.ch: Noëlle Opprecht, BPN unterstützt Unternehmerinnen und Unternehmer in Georgien, Kirgistan, der Mongolei, Nicaragua und Ruanda mit Coachings oder Kleinkrediten. In diesen Ländern haben Sie Ihre Teams stationiert. Was auffällt: All diese Teams sind in der Geschlechterbilanz ausgeglichen.
Noëlle Opprecht: Ja, und diese Diversität ist sehr wichtig. Denn die Hälfte unserer Unternehmerinnen sind Frauen, und das spiegelt sich auch in den Teams wider.
Die Hälfte aller Unternehmerinnen? Das ist eine sehr gute Quote, wenn man an westliche Strukturen denkt.
Ja, in der Mongolei sind sogar zwei Drittel aller Programmteilnehmenden Frauen. Wir müssen bei BPN wirklich keine Frauenförderung betreiben, sondern uns eher um die Männer kümmern. (lacht)
Wie kommt es dazu?
Ich habe das Gefühl, dass das aus der Not entsteht. Viele Frauen aus Ruanda etwa haben im Genozid ihre ganze Familie verloren. Die Männer sind umgekommen, und die Frauen, die zurückgeblieben sind, mussten sich organisieren, um die Familie durchzubringen. Also wurden sie selbst zu Unternehmerinnen. Ich habe auch Kinder und kann das Gefühl nachvollziehen, dass man für seine Kinder einfach alles macht. Ähnlich sieht es übrigens auch in der Mongolei aus, unser Programmleiter in der Mongolei sagt immer: Ohne die Frauen würde bei uns nichts gehen!
Die patriarchalen Strukturen, die in unserer Gesellschaft Frauen oft im Weg stehen, wurden in Ländern wie Ruanda durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Not ausgehebelt.
Genau. Komfortzone ist ein Wort, das man bei uns in der Businesswelt oft hört. In den Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten, gibt es so etwas wie eine Komfortzone für Frauen gar nicht. Man kann sich nicht auf den Mann oder das patriarchale System verlassen, weil das nicht funktionieren würde, also müssen sich die Frauen selbst helfen. Frauen ernähren oft die ganze Familie, das ist ein Fakt. Und da kommt das Unternehmertum ins Spiel. Die Frauen sehen sich nicht als Heldinnen; wenn man ihnen Komplimente für ihr Engagement macht, antworten sie: Was bleibt mir übrig? Ich mache ja nur meinen Job.
Wie sieht es mit den Berufsprofilen der Unternehmerinnen und Unternehmer aus. Gibt es da eine vermeintlich klassische Rollenverteilung?
Das ist von Land zu Land verschieden, weil es auch sehr stark mit der Kultur und der Tradition des jeweiligen Landes zusammenhängt. In der Mongolei ist zum Beispiel die Textilbranche sehr wichtig. Da ist der Anteil von Unternehmen im Textilbereich sowieso viel höher. In Ruanda wiederrum haben wir einen Mix, da gibt es zum Beispiel eine Unternehmerin, die hat eine Schreinerei, oder eine Unternehmerin, die eine Autowaschanlage führt.
Ihr Vater hat die Stiftung BPN vor fast 20 Jahren gegründet. Wann hat Ihr Interesse dafür begonnen?
Das hat schon als kleines Kind angefangen. Ich war häufig bei meinem Vater im Büro und habe unter seinem Tisch gespielt. Er fand nie, dass wir Kinder mitarbeiten müssen, aber sein Engagement hat mich immer sehr interessiert und fasziniert. Als ich dann in die verschiedenen Länder gereist bin und gesehen habe, wie nachhaltig die Stiftungsarbeit ist, war für mich klar, dass ich mitanpacken und mitgestalten möchte. Schliesslich hat mir dann mein Vater einen Platz im Stiftungsrat angeboten. Und da er sich aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen musste, er und meine Geschwister froh, dass ich die Familie bei BPN vertrete.
Mittlerweile unterstützen Sie Unternehmerinnen und Unternehmer in fünf Ländern. Wie wurden diese Länder ausgewählt?
Kirgistan war das Ursprungsland. Mein Vater ist in eine Unternehmerfamilie hineingeboren worden und sehr viel gereist. Kurz nachdem die Sowjetunion auseinandergebrochen war. nahm er in Kirgistan an einer Konferenz teil. Dort merkte er, dass die Leute auf ihn zukamen und ihn um Rat baten. Nach dem Ende der Planwirtschaft wussten die Leute nicht, wie es weitergehen sollte. Er wollte schon immer Menschen helfen und sah eine Chance darin, sein Wissen den Leuten weiterzugeben. Mittlerweile sind es fünf Länder und jede Zusammenarbeit ist durch einen persönlichen Bezug entstanden. Unsere Landesleiterin in Ruanda, Alice, ist beispielsweise nach einem Vortrag meines Vaters auf ihn zugegangen und hat ihm vorgeschlagen, in Ruanda BPN-Projekte zu starten.
Was sind die Anforderungen an die Leute, die Teil Ihres Programms werden möchten?
Sie müssen über eine Idee und ein Unternehmen verfügen. Damit kann aber auch eine Frau gemeint sein, die zuhause Kleider näht und dieses Know-how professionalisieren möchte. Einige Unternehmen, die zu BPN kommen, haben finanzielle Probleme oder Schulden. Dann versuchen wir in Coaching-Gesprächen, diese Unternehmen zu sanieren und fit zu machen. Es sind nicht selten auch diese Unternehmen, die aus einer Not heraus auf uns zukommen, die dann am erfolgreichsten sind.
Noëlle Opprecht ist Stiftungsrätin bei BPN
Von der Hotelbesitzerin bis hin zur Schreinerin
Das Schweizer Hilfswerk Business Professionals Network wurde vor 19 Jahren von Jürg Opprecht gegründet. Ziel der Stiftung ist es, Unternehmerinnen und Unternehmen nachhaltig zu unterstützen. Das Programm basiert auf einem Vierjahresplan, zu dem sich die Teilnehmenden verpflichten. Den Teilnehmenden werden Coachings und eine betriebswirtschaftliche Grundausbildung angeboten, bei Bedarf wird ihnen ausserdem ein Kredit gewährt, mit dem zum Beispiel in Geräte oder Infrastruktur investiert werden kann. Diesen Kredit müssen sie in einer vereinbarten Frist abzahlen. Akutell befinden sich etwa 200 Teilnehmende im Programm. Die Unternehmen könnten unterschiedlicher nicht sein. Was aber alle Länder vereint, ist die hohe Anzahl von Frauen, die sich bei BPN ausbilden lässt. Noëlle Opprecht stellt vier besonders beeindruckende Biografien in der Bildergalerie vor.
1.
«Sie hat ihre Mitarbeiterzahl von zehn auf 22 Mitarbeitende erhöht. Paradine legt viel Wert auf darauf, nur nachhaltig produziertes Holz zu beziehen. Sie ist noch mitten im BPN Programm und nimmt regelmässig Coaching in Anspruch.»
2.
«Das Schreiner-Handwerk hat sie sich selbst mit Online-Kursen beigebracht. Paradine produziert vorwiegend Möbel aus Holz; exklusive Einzelstücke wie zum Beispiel Holztüren, Buffettische oder Gartenmöbel auf Bestellung. »
3.
«Tschinara hat über die letzten fünfzehn Jahre aus ihrem Bed & Breakfast Gasthaus ein angesehenes und bekanntes Hotel aufgebaut. Sie fing 2002 klein an, als sie mit ihrer Familie in ein provisorisches Gebäude zog und ihr Haus Touristen zur Verfügung stellte. Sie stand vor grossen Schwierigkeiten, da ihr Wissen und Erfahrung in der Hotellerie fehlten. Tschinara entschied sich am BPN Programm teilzunehmen und besuchte ab 2004 die betriebswirtschaftlichen Seminare.»
4.
«Wenn ein BPN Unternehmer das 50. Lebensjahr erreicht hat, wird die Frage der Nachfolgeplanung aktuell und BPN unterstützt diesen Prozess durch Beratung & Coaching. Die Kinder von Tschinara haben die BPN Seminare ebenfalls besucht, um zu lernen, wie man ein Geschäft richtig führt. Aiganisch, die Tochter von Tschinara, arbeitet im Familienbetrieb mit.»
5.
«Tsolmon trat 2012 in das Förderprogramm von BPN ein, sie war eine der ersten Teilnehmenden in der Mongolei. Ursprünglich hatte sie vor, Kleider mit mongolischem Design zu produzieren. BPN hinterfragte ihre Geschäftsidee und schlug ihr vor, stattdessen einen Businessplan für die kleine IT Firma zu schreiben, die Tsolmon nebenbei führte.»
6.
«Tsolmon hat ihre IT-Firma seither kontinuierlich weiterentwickelt, ohne einen Kredit in Anspruch zu nehmen. BPN hat sie mit betriebswirtschaftlichen Seminaren und individuellem Coaching unterstützt. Heute entwickelt Tsolmon mit ihrem Unternehmen verschiedene Software für Buchhaltung, Kalkulationen und Lohnabrechnungen. Zudem bietet sie Schulungen für die Anwendung der Software an. Sie beschäftigt rund 50 Mitarbeitende und gehört in der Mongolei mit 3’500 staatlichen und privaten Kunden zu den führenden Firmen im Bereich der Software-Entwicklung. So besitzt sie beispielsweise 70 Prozent Marktanteil bei Buchhaltungsprogrammen für staatliche Unternehmen. Neu entwickelt Tsolmon ihre Software nach westlichem Standard. Ihr Ziel ist, in den nächsten drei bis vier Jahren ihre Produkte zu exportieren.»
7.
«Orgilmaa führt eine bekannte und renommierte Sprachschule in Ulaanbaatar. Ihre Sprachschule ist international zertifiziert und nach dem Schweizer Berg «Säntis» benannt. 2014 nahm BPN sie ins Förderprogramm auf. Davor hatte Orgilmaa wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation in der Mongolei einen deutlichen Kundenrückgang erlebt. Ihre Sprachschule war in ernste finanzielle Schwierigkeiten geraten. Bei dem Coaching mit BPN stellte sich heraus, dass Orgilmaa ihre Dienstleistungen neu definieren und Kosten senken musste. Nach dem Coaching mit BPN hat Orgilmaa rund einen Drittel ihrer Mitarbeitenden entlassen. Die Umsetzung dieser Massnahme war für sie schwierig, aber sie erkannte die Wichtigkeit dieses Schrittes und setzte ihn entsprechend um.»
8.
«Das Schlimmste für die Schule ist vorbei und trotz der Schwierigkeiten hat sich die Sprachschule gegenüber der Konkurrenz behauptet. Orgilmaa beschäftigt heute 35 Mitarbeitende.»