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Frauen in Afghanistan: Wie weiter?

Frauen in Afghanistan: Wie weiter?

Die Taliban haben die Macht in Afghanistan übernommen. Was bedeutet das für die Afghaninnen? Und war ihre Situation früher besser?

«Der Krieg in Afghanistan ist vorbei!» Mit diesen Worten besetzten die Taliban Mitte August den Präsidentenpalast in Kabul. «Wir versichern allen, dass wir für die Sicherheit der Bürger sorgen werden», sagte Mohammed Naeem, Sprecher des Politbüros der Taliban. Die Extremisten wollten die Menschen auf diese Weise beruhigen: Alles würde besser werden, das sollte die Botschaft sein. Ein anderer Talib liess sich im Fernsehen von der Moderatorin Beheshta Arghand interviewen – zwanzig Jahre zuvor wäre das noch undenkbar gewesen. Manche feierten das deshalb als historisches Ereignis und glaubten schon, die Taliban wären milder geworden, vielleicht sogar toleranter, fortschrittlicher.

Als in den Tagen nach der Machtübernahme der Taliban in mehreren Städten Frauen demonstrierten und verlangten, dass sie weiterhin Zugang zu Bildung erhalten und in ihren Berufen weiterarbeiten dürfen, dass sie sich nicht in ihre Häuser einsperren lassen, sondern Teil der Gesellschaft seien und dies auch bleiben wollen, liessen die Extremisten die Proteste zu. Sie forderten sogar Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen ausdrücklich auf, zur Arbeit zu gehen.

Aber von vornherein war klar, dass alles nur Show und Lüge war. Besser sollten die Dinge nur im Sinne der Taliban werden. Keineswegs hatten sie sich von ihrer Vorstellung einer Gesellschaft gelöst, in der die Scharia gilt, das Rechtssystem nach der strikten Auslegung des Korans, Wort für Wort. Für all jene, die für westliche Streitkräfte und Organisationen gearbeitet hatten, für die, die sich für Demokratie, Menschen- und Freiheitsrecht und Gleichberechtigung für Frauen eingesetzt hätten, würde nichts besser werden, im Gegenteil. Die Aktivistin Mahbooba Seraj, Gründerin des Afghan Women’s Network, erklärte: «Was heute in Afghanistan passiert, wirft dieses Land um zweihundert Jahre zurück.»

Die neuen Herrscher zeigen ihr Gesicht

Zwei Wochen nach der Machtübernahme, Anfang September, war Schluss mit den Demonstrationen. Frauen, die sich jetzt noch auf die Strasse wagten, um gegen die Taliban zu protestieren, wurden mit Knüppeln, Peitschen und Tränengas vertrieben. Mehrere Frauen berichten, sie seien auf Polizeiwachen mitgenommen und gefoltert worden. Kaum sank das öffentliche Interesse an Afghanistan, zeigten die neuen Herrscher unverhohlen ihr wahres Gesicht. Die Taliban-Regierung teilte mit, diese Demonstrationen seien «fürs Erste unter allen Umständen untersagt», und zwar «weil sie die öffentliche Ordnung stören und Belästigungen herausfordern».

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««Was heute in Afghanistan passiert, wirft dieses Land um zweihundert Jahre zurück»»

Mahbooba Seraj, Aghan Women's Network

Fernsehmoderatorin Arghand erhielt nach ihrem Interview mit dem Talib massive Drohungen. Sie floh ins Ausland. Die Taliban würden Frauen nicht als Menschen betrachten, sagte sie. Auch andere Journalistinnen wurden von den neuen Machthabern aufgefordert, nachhause zu gehen. In anderen Berufen wurde Frauen der Zugang zu ihrem Arbeitsplatz verwehrt. Oft wurde ihnen gesagt, wenn sie wollten, dürften sie ein männliches Familienmitglied schicken, das ihre Arbeit übernehmen könne. Auf Social Media verbreiten Studentinnen seit Wochen, sie dürften nicht mehr an die Universitäten. Mancherorts haben die Taliban bereits Schulverbote für Mädchen über zwölf Jahre erlassen und setzen diese Verbote auch durch. An einigen Orten dürfen Mädchen weiterhin Schulen besuchen – offensichtlich ein Versuch der Taliban, der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass man sich geändert und nichts gegen Bildung für Mädchen habe.

Rückfall in die Neunzigerjahre

Tatsächlich ist dies ein Rückfall in die Taliban-Zeiten ab Mitte der Neunzigerjahre. Damals, fünf Jahre nachdem die sowjetische Armee sich nacheinem Jahrzehnt der Besatzung und des zermürbenden Krieges aus Afghanistan zurückgezogen hatte, herrschte Chaos und Gewalt. Die Mudschaheddin – in pakistanischen Koranschulen ab Ende der Siebzigerjahre ausgebildete religiöse Krieger, finanziert und bewaffnet von den USA und Saudi-Arabien, um gegen die gottlosen Kommunisten zu kämpfen – hatten sich nach der Niederlage der Russen zerstritten. Mehrere Warlords kämpften um Macht und Reichtümer. Raub, Mord, Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung.

Der Legende nach eilte im Dezember 1994 in der südafghanischen Stadt Kandahar ein aufgebrachter Nachbar zum jungen Mullah Omar, der in einer pakistanischen Madrassa ausgebildet worden war und als Mudschahed gegen die Sowjets gekämpft hatte. Der Nachbar berichtete ihm, ein Mudschaheddin-Kommandeur habe mehrere Mädchen entführt und vergewaltigt. Omar suchte gemeinsam mit seinen Anhängern den Kommandeur auf, die Männer erschossen ihn und hängten den Leichnam am Kanonenrohr eines Panzers auf. Dies ist der Gründungsmythos der Taliban: eine Gruppe harscher, aber doch rechtschaffener Männer, die endlich für Recht und Ordnung sorgen und Frauen beschützen.

Schon immer konservativ?

Einfach hatten Frauen es in Afghanistan noch nie, auch wenn in diesen Tagen im Internet wieder viele Fotos von Kabul in den Siebzigerjahren kursieren, die etwas anderes suggerieren: Frauen in kurzen Röcken und figurbetonten Kleidern, mit modernen Frisuren und schicken Handtaschen. Gewiss, es gab immer wieder Phasen des Fortschritts. Schon 1919 war in Afghanistan das Wahlrecht für Fraueneingeführt worden, ab den Fünfzigerjahren wurde die Trennung von Männern und Frauen im öffentlichen Raum aufgehoben, ab den Sechzigerjahren war es Frauen zumindest theoretisch erlaubt, politische Ämter zu bekleiden.

Städte wie Kabul oder Herat mögen rückblickend modern und fortschrittlich wirken. Sie waren Einfallstore für Touristen aus dem Westen, viele davon auf dem «Hippie Trail», jener Landroute von Europa nach Südasien. Tatsächlich war Afghanistan schon immer eine weitgehend konservative Gesellschaft. Vor allem auf dem Land herrschte auch damals ein raues Klima für Frauen. Sie mussten sich verhüllen, hatten kaum Zugang zu Bildung, es galten strenge Verhaltensregeln. Je ärmer, desto wichtiger, sich an den gesellschaftlichen Kodex zu halten – eine wohlhabende, städtische Frau konnte sich viel eher erlauben, sich nicht zu verhüllen als eine arme Dorfbewohnerin. Insbesondere in den von Paschtunen bevölkerten Gebieten, aus denen sich später die Taliban rekrutieren sollten, gilt schon seit vorislamischer Zeit das sogenannte Paschtunwali, ein Rechts- und Ehrenkodex zum Schutz der Familie und der Nation, der Gastfreundschaft und Konfliktschlichtung vorsieht, aber eben auch Rache – Vergebung und Vergeltung. Nicht wenige Männer rechtfertigten damit ihre Herrschaft und geradezu vollständige Kontrolle über Frauen.

Nur ein Mädchen

Ein berühmtes Beispiel für das Schicksal, das Mädchen schon vor Entstehung der Taliban zu ertragen hatten, ist Fausia Kufi. Die heute 46-Jährige kam 2005 in das erste demokratisch gewählte Abgeordnetenhausund wurde Vizepräsidentin des Parlaments. 2014 kandidierte sie – erfolglos – für das Präsidentenamt. Kufi war 1975 in Badakhshan zur Welt gekommen, einer schwer zugänglichen, ärmlichen Provinz im Nordosten Afghanistans. Ihr Vater, ein bekannter Politiker, hatte sieben Ehefrauen. Von ihrer Mutter wurde erwartet, dass sie Söhne zur Welt brachte. «Als ich geboren wurde, sollte ich sterben», sagt Kufi. «Ich war nur ein Mädchen.»

Man wickelte sie in ein Tuch und legte sie in die gleissende Sonne. Fast einen ganzen Tag lang lag sie da – und schrie. Die Familie erwartete, dass sie starb, doch der Säugling überlebte. Als das Kind nicht aufhörte zu schreien, besann die Mutter sich und holte es wieder herein. «Ich wurde dann doch noch zu ihrem Lieblingskind», erzählt Kufi. Sie lernte, für ihre Rechte zu kämpfen, und durfte schliesslich als erste und einzige Frau der Familie studieren und ihren Weg gehen. Ein Weg, der in der Ideologie der Taliban nicht vorgesehen ist. Mehrmals haben sie versucht, Kufi zu ermorden.

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««Als ich geboren wurde, sollte ich sterben»»

Fausia Kufi, Politikerin

Kaum waren die Taliban Mitte der Neunziger an der Macht, verboten sie Mädchen ab zehn Jahren den Zugang zu Schulen. Universitäten waren ab sofort tabu für Frauen. Sie mussten sich fortan komplett verhüllen, weder Haut noch Haare durften zu sehen sein. Die Burka wurde für sie zur Pflichtkleidung. Sie durften sich nicht mehr ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit bewegen, sollten zuhause bleiben, nicht arbeiten gehen, nicht einkaufen, am besten unsichtbar bleiben. Nur im Gesundheitswesen durften sie arbeiten – und dort ausschliesslich Frauen behandeln. Die Taliban raubten Frauen jegliche Individualität, sie entmenschlichten sie.

Einmarsch der USA

Als die USA 2001 mit ihren Partnern nach den Terroranschlägen vom 11. September in Afghanistan einmarschierten, wurden sie anfangs durchaus von der Bevölkerung bejubelt –auch von Frauen. Der damalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan erklärte: «Ohne die Wiederherstellung der Rechte von Frauen kann es keinen echten Frieden in Afghanistan geben.» Kaum waren die Taliban Ende 2001 gestürzt, verbesserte sich die Lage für Frauen kontinuierlich. Sie durften sich, zumindest von der Gesetzeslage her, wieder frei bewegen, mussten sich nicht mehr verhüllen, konnten also, wenn sie wollten, die Burka ablegen, durften Schulen und Universitäten besuchen und einen Beruf ausüben. Ein Gesetz aus dem Jahr 2009 sicherte ihnen 27 Prozent der Parlamentssitze zu. Mehr als die Hälfte aller Schüler:innen waren zeitweise Mädchen, knapp 40 Prozent der Studierenden Frauen, am Arbeitsmarkt machten sie, immerhin, 22 Prozent aus, Tendenz steigend. Von einer gleichberechtigten Gesellschaft war das zwar noch weit entfernt, aber für afghanische Verhältnisse eine gute Entwicklung, die allerdings immer wieder Rückschläge erlitt, weil ultrakonservative Kräfte sich querstellten. In ihren Köpfen galten – und gelten – Mädchen und Frauen als minderwertig, auch weil sie nach der Heirat zur Familie des Mannes ziehen, mithin später nicht für die eigenen Eltern sorgen. Nicht wenige sehen daher in Jungen eine Absicherung für das Alter, in Mädchen eine Last.

Gewaltsame Gesetze

Noch 2009 setzte der vom Westen reichlich geförderte Präsident Hamid Karzai «Leitlinien für das Verhalten von Frauen» durch, in denen es hiess: «Männer sind von fundamentaler Bedeutung, Frauen sind nachrangig.» Solang es mit den religiösen Bestimmungen übereinstimme, dürften Männer ihre Frauen schlagen, diktierte ihm der Religionsrat dort hinein. Immer wieder erkämpften Frauenrechtlerinnen und Politikerinnen ein Stück mehr Gleichberechtigung sowie Gesetze zur Verhinderung von Gewalt gegen die Frauen, aber immer wieder versuchten konservative Religiöse, diese Gesetze abzuwehren oder auszuhebeln. So stellten in den letzten Jahren mühsam durchgesetzte Gesetze rund zwei Dutzend Formen von Gewalt gegen Frauenunter Strafe, darunter Vergewaltigung und Zwangsverheiratung. Teile der konservativen afghanischen Gesellschaft sahen das aber nicht als Delikte, viele Richter urteilten gegen die Frauen – und gegen die Gesetze.

««Männer sind von fundamentaler Bedeutung, Frauen sind nachrangig»»

«Leitlinien für das Verhalten von Frauen», 2009

Mit der jetzigen Machtübernahme der Taliban hat es diese Sichtweise wieder an die Spitze des Staates geschafft. Bis vor wenigen Tagen gab es in Afghanistan mehr als zweihundert Richterinnen und rund viertausend Polizistinnen. Diese Zahlen dürften dramatisch sinken – wohl bis auf einige wenige, die die Taliban als Alibi auf ihren Dienstposten belassen, um ausländische Kritik zu besänftigen. Hört man den heutigen Taliban zu, merkt man rasch, dass die junge Generation teilweise noch radikaler ist als die alte Garde – auch gegenüber Frauen. Offenbar wollen sie sich gegenüber den Alten und noch extremistischeren Gruppierungen wie der Terrororganisation «Islamischer Staat» behaupten.

Eine neue Generation

Eine der ersten Aussagen der neuen Taliban-Regierung nach ihrem öffentlichen Auftritt war, dass Frauen künftig keinen Sport mehr treiben dürfen. Der Vizechef der «Kulturkommission» der Taliban, Ahmadullah Wasiq, erklärte, Frauen dürften beispielsweise kein Cricket mehr spielen, «weil es nicht notwendig ist, dass Frauen Cricket spielen». Als Begründung führte er an: «Im Sport gibt es Situationen, in denen die Gesichter und die Körper der Frauen nicht bedeckt sind.» Im Zeitalter der Medien würden überall Video und Fotos davon gezeigt, und sehr viele Leute würden das sehen. «Deshalb erlauben wir es nicht.»

Die Hoffnung ruht nun auf den Frauen selbst. In den vergangenen zwanzig Jahren ist in Afghanistan eine Generation von Frauen herangewachsen, die gebildet ist, selbstbewusst, die sich im Internet bewegt und die Welt kennt. Zwei Drittel aller Menschen in Afghanistan sind unter dreissig, es gibt also auch viele junge Frauen, denen die Ideologie der Taliban fremd ist.

Ihren Widerstand gilt es zu stärken, diese Frauen zu unterstützen muss unser Bestreben sein. Das gelingt nur, wenn wir den Taliban nicht die Deutungshoheit über die «afghanische Kultur» überlassen. Denn ja, die Taliban sind ein Teil davon, aber längst nicht der einzige. Wir müssen immer wieder hinschauen, über die Einschränkung der Rechte von Frauen sprechen, schreiben, dagegen protestieren, unsere Stimmen erheben. Wir müssen nachhaken, wenn die neue Regierung keine Diplomatinnen schickt. Wir müssen uns informieren, welchen Organisationen wir helfen können, finanziell durch Spenden, aber auch durch Verbreitung ihrer Botschaften auf Social Media. Und jegliche Hilfen für Afghanistan müssen geknüpft sein an Bedingungen, die die Positionen von Frauen stärken. Wir müssen immer wieder einfordern, dass Frauen vollen Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt haben dürfen. Wir dürfen die Frauen in Afghanistan nicht im Stich lassen.

Zum Autor

Der deutsche Journalist und Autor Hasnain Kazim (46) arbeitete von 2004 bis 2019 für den «Spiegel», u.a. als Auslandkorrespondent in Islamabad, Istanbul und Wien, wo er heute lebt.

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???

Da fragt man immer, wieso haben Leute keinen Wiederstand geleistet, als Taliban Machtübernahme finalisiert hat. Sind Junge Genaration (Männer) in Afganistan so radikal, das die Taliban begrüssen? Taliban ist sind eigentlich nicht zahlreicher als zivil Bevölkerung. Wie viele Männer in Afganistan unterstützen Fraun Rechte?