Vor hundert Jahren wurde das Schlagzeug erfunden. Es ist ein Instrument für Männer geblieben. Warum eigentlich? Am Taktgefühl kann es nicht liegen.
Mindy Abovitz ist Schlagzeugerin, und ihr Lieblingsschlagzeugerwitz geht so: Stellt eine Frau ihr Schlagzeug auf. Kommt ein Typ auf die Bühne und gibt ihr seine Karte: Wenn du möchtest, kann ich dir Unterricht erteilen. Die Frau trommelt ein paar Takte. Hey, ruft der Mann, du kannst ja spielen! Ich weiss, sagt die Schlagzeugerin, FUCK YOU!!!!!!!
Natürlich ist der Witz nicht wirklich lustig. Vor allem, weil ihn Mindy Abovitz immer wieder selbst erlebt. Als Realsatire. Darum sagt es die New Yorkerin jedem, der es noch nicht verstanden hat: «Das Schlagzeug ist kein Instrument, das Frauen vor grössere Herausforderungen stellt als Männer.» Zwar suggeriert das Image vom schwitzenden Drummer, der mit nacktem Oberkörper auf seine Trommeln prügelt, dass das Schlagzeug Männern vorbehalten ist. Doch erstens spielen nicht alle Drummer Heavymetal und zweitens können auch Frauen laut und schnell über die Felle wirbeln. Warum begeistert das Schlagzeug trotzdem vor allem Männer? Trauen sich Frauen nicht, weil man es ihnen nicht zutraut? «Möglich», findet Abovitz. «Uns wird ja schon als Kind eingetrichtert, dass wir nicht zu laut sein dürfen. Wenn es um die Wahl eines Musikinstruments geht, kommen die wenigsten Mädchen auf die Idee, sich für das Schlagzeug zu entscheiden. Diese Option wird uns gar nicht erst angeboten.»
1967 schrieb der amerikanische Jazz-Kritiker George T. Simon: «Nur Gott kann Bäume erschaffen und nur Männer spielen guten Jazz.» Natürlich meinte er das ernst. Ganz im Sinne der Musikergewerkschaften: Sie sorgten über Jahrzehnte dafür, dass in den führenden Orchestern und Big Bands ausnahmslos Männer sassen – «der Qualität zuliebe». Dass das Quatsch ist, demonstrierten während des Zweiten Weltkriegs die sogenannten All-Girl Bands in den USA. Weil das Land alle dienstfähigen Männer eingezogen hatte, auch die Musiker, wurden die Orchestergräben mit Frauen besetzt. Historisch gesehen waren das einmalige und fast surreal anmutende Jahre, in denen Musikerinnen in Chicago oder New York nicht nur den Ton angaben, sondern auch euphorisch gefeiert wurden. Eine von ihnen war Viola Smith. Sie brachte es als «erste professionelle Schlagzeugerin Amerikas» mit ihrem bei Buddy Rich und Gene Krupa abgeguckten Mix aus Show und technischer Brillanz zu nationalem Ruhm. Viola Smith trommelte wie der Teufel und war der Star in einer der kommerziell erfolgreichsten Big Bands der damaligen Zeit, dem The Hour of Charm All-Girl Orchestra, dessen Leader Phil Spitalny behauptete, er hätte das Land sechs Monate lang nach Talenten abgesucht, 1500 Musikerinnen zur Audition eingeladen und mit den 22 besten seine Band gegründet. Trotzdem gab es nach dem Krieg für Smith und Tausende anderer Musikerinnen keine professionelle Zukunft mehr. Die Gewerkschaften erreichten, dass die heimkehrenden Männer ihre angestammten Posten zurückbekamen und die Frauen nachhause geschickt wurden.
Die Gilde der Musiker: ein Boys Club! Mindy Abovitz glaubt nicht, dass sich an diesem Stereotyp viel geändert hat. Selbst wenn sich heute niemand mehr an Frauen im Musikgeschäft stösst, auch nicht an Schlagzeugerinnen, werde sie unterschwellig immer wieder mit Vorbehalten konfrontiert. «Sei es ein chauvinistischer Spruch oder die wiederkehrende Frage, warum ich Schlagzeug spiele. Männliche Kollegen müssen sich kaum erklären. Wäre ich Flötistin, würde mich niemand nach meinen Beweggründen fragen.» Abovitz hat mit 16 zu trommeln angefangen. «Zu Beginn der Neunziger gab es die Riot Grrrls – rotzige und engagierte Bands wie Bikini Kill, L7 oder Sleater-Kinny, bei denen Frauen ganz selbstverständlich am Schlagzeug sassen. Das fand ich nicht nur wahnsinnig cool, es war auch ein feministisches Statement in einer von Jungs dominierten Szene.» Aufgewachsen ist Abovitz in einer orthodoxen jüdischen Familie mit patriarchalischen Strukturen. Die Entdeckung des Schlagzeugs war für sie ein Befreiungsschlag, «nicht nur von der Religion, auch von geschlechtsspezifischen Zwängen. Dagegen trommelte ich an».
Während sie an der New Yorker New School Medienwissenschaften studierte, ahnte Abovitz nicht, dass sie bald Verlegerin eines eigenen Magazins werden würde: Frustriert darüber, dass in den einschlägigen Musikzeitschriften mit Ausnahme der Superstars kaum Frauen porträtiert wurden, gründete sie 2009 das «Tom Tom Magazine» – die einzige Drummer-Zeitschrift der Welt, die sich an Schlagzeugerinnen richtet. Braucht es das? «Und ob! Seit der Erfindung des Schlagzeugs vor hundert Jahren werden Frauen aus der Geschichte des Instruments ausgeblendet. Ich hatte beschlossen, das zu ändern.» Alle drei Monate erscheinen eine gedruckte und eine digitale Ausgabe ihres Magazins, vertrieben in den USA, Südamerika, Australien und Europa. Blättert man sich durch die 72 schön gestalteten Seiten voller Interviews, Porträts, Albumbesprechungen, Fotos, Essays und Kolumnen, so zerstreut sich die Vorstellung der Schlagzeugerin als Specie Rara. Hunderte von ihnen fanden über die Jahre im «Tom Tom Magazine» eine Plattform. «Wir drucken keine Fachsimpelei über Technik oder Ausrüstung. Es geht uns auch nicht darum, wie berühmt oder erfolgreich jemand ist. Wir wollen einen Spot auf die vielen Frauen am Schlagzeug werfen, von denen niemand spricht und die trotzdem tolle Musik machen. Darum ist das ‹Tom Tom Magazine› mehr als eine Zeitschrift. Wir sind eine Bewegung. Unsere Botschaft lautet: Es ist egal, wer du bist, seit wann du spielst, ob professionell oder als Hobby – Hauptsache, du trommelst und wirst gehört!»
Jana Landolt war in der sechsten Klasse, als sie ihrer Mutter eröffnete, dass sie Schlagzeug spielen wolle. «Die Entscheidung fiel ganz instinktiv. Vielleicht, weil ich gerne tanze – und trommeln hat im weitesten Sinn ja auch etwas mit Bewegung und Tanz zu tun.» In der Sek war die Baslerin in einer Big Band, in den Neunzigern spielte sie in Frauenbands, «aber nicht aus einem feministischen Gebot heraus, sondern weil es sich einfach so ergab. Für mich war das Schlagzeug immer geschlechtsneutral». Entscheidend für diese Haltung sei wohl gewesen, dass ihr die Eltern nicht das Gefühl gaben, eine für ein Mädchen ungewöhnliche Wahl getroffen zu haben. «Es war einfach ganz normal, dass ich Schlagzeug spielte.»
Professionelle Ambitionen hat Jana Landolt vor Jahren aufgegeben, heute arbeitet sie als Lehrerin und ADHS-Coach und beschreibt sich als «leidenschaftliche Hobby-Schlagzeugerin». Je länger sie sich mit der Frage beschäftige, warum es noch immer so wenig Frauen gibt, die sich für «ihr» Instrument entscheiden, umso mehr komme sie zum banalen Schluss, «dass Männer nun mal anders ticken. Ist ja nicht schlimm. Oberflächlich betrachtet ist das Schlagzeug ein kühles, hartes Instrument, das man erst mühsam zusammenschrauben und aufstellen muss, bevor man darauf spielen kann. Vielleicht haben Männer einfach mehr Freude an solchen Sachen. Nur weil mir das nichts ausmacht, heisst das nicht, dass andere Frauen meine Leidenschaft teilen müssen». Wobei Landolt glaubt, dass der Mangel an weiblichen Vorbildern eine Mitschuld daran trägt, dass sich junge Frauen und Mädchen für «geschlechtstypische» Instrumente entscheiden. Gemäss einem Artikel im «Beobachter» von 2012 führte eine Umfrage an der Musikhochschule Hamburg und an der Alten Kantonsschule Aarau zum selben Ergebnis: Mädchen wählen Geige und Querflöte, Buben Schlagzeug und Trompete.
Die Komponistin und Perkussionistin Maru Rieben studierte in den Achtzigerjahren an der Jazzschule Bern Schlagzeug. Seit 25 Jahren ist sie Schlagzeuglehrerin an der Musikschule in Windisch. Es falle ihr auf, dass ihre Schülerinnen technisch oft versierter sind als ihre Schüler, aus dem einfachen Grund, weil sie fleissiger sind. «Frauen und Mädchen können schneller Noten lesen. Buben und Männer haben dagegen weniger Hemmungen, wenn es darum geht, einfach mal drauflos zu spielen. Sie sind oft nachlässiger, aber kreativer in der Herangehensweise, und es drängt sie schneller auf die Bühne. Frauen dagegen wollen eher aufgefordert werden.» Zur Zeit unterrichtet Rieben 16 Jungs und drei Mädchen. Einen Aufwärtstrend, was die Anzahl Studentinnen betrifft, könne sie nicht beobachten. Manchmal beelende sie das, aber über die Gründe kann auch sie nur spekulieren: Ja, es sei ein umständliches Instrument, mühsam zu transportieren. Ja, es gebe zu wenig berühmte weibliche Vorbilder am Schlagzeug. Und ja, Musikerinnen müssten sich in einer Männerwelt behaupten, was nicht alle wollen oder können. «Es ist doch wirklich komisch, dass bei einem Popfestival zu neunzig Prozent Männer auf der Bühne stehen, während Frauen in klassischen Orchestern die Regel und nicht die Ausnahme sind. Fällt das niemandem auf? Da müssten sich die Veranstalter doch hintersinnen und beim Booking auf eine ausgewogenere Mischung achten.» Wie die meisten Schlagzeugerinnen entdeckte Maru Rieben ihr Instrument relativ spät. Weil sie immer ein schwaches und kränkliches Kind gewesen war, faszinierte sie das Schlagzeug, obwohl sie «so gut wie nichts» darüber wusste. «Für mich strahlte das Instrument Stärke aus. Ich wollte es unbedingt lernen, so wie ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, Motorrad zu fahren.» Vor der Matura ging sie zur Berufsberatung und erkundigte sich, was sie tun müsse, um professionelle Schlagzeugerin zu werden. Zufällig kannte die Beraterin einen Lehrer – «und so fing alles an».
Vor ein paar Jahren veröffentlichte der «Rolling Stone» eine Liste der «100 Greatest Drummers of All Time». Nur fünf der aufgezählten Musiker sind Frauen – und auch diese dümpeln auf den hinteren Plätzen: Sheila E. (Prince), Cindy Blackman (Lenny Kravitz, Santana), Meg White (White Stripes), Janet Weiss (Sleater-Kinney), Moe Tucker (Velvet Underground). Für die Erstellung der Liste zeichnen 19 Redaktoren verantwortlich: 17 Männer und zwei Frauen. «Solche Aufzählungen verzerren die Realität», findet die New Yorker Schlagzeugerin und Songwriterin Kristin Mueller. «Man begnügt sich mit den bekanntesten Protagonisten und nimmt sich nicht die Mühe, etwas über die vielen Frauen in der Geschichte des Schlagzeugs in Erfahrung zu bringen, die Grossartiges leisten oder geleistet haben. Das hat viel mit Ignoranz zu tun. Warum zum Beispiel ist Viola Smith nicht auf dieser Liste?»
Kristin Mueller spielte erst Gitarre. Als sie das Schlagzeug entdeckte, war sie bereits über dreissig. «Etwas in mir wollte es unbedingt probieren – und dann war ich überrascht, wie leicht mir das Trommeln fiel. Da lag etwas in mir verborgen, von dem ich keine Ahnung hatte.» Sie spielte in verschiedenen Formationen, «das Geschlecht war Nebensache», trotzdem fand sie es komisch, dass sie in ihrem Umfeld nur gerade drei Schlagzeugerinnen kannte. «Als ich zum ersten Mal eine Ausgabe von Mindys ‹Tom Tom Magazine› in den Händen hielt, war das wie eine Offenbarung, die meiner bisherigen Auffassung widersprach, dass es kaum Schlagzeugerinnen gibt. Ich realisierte: Moment, wir sind nicht alleine! Es gibt viele von uns!» Darin sieht Kristin Mueller den vielleicht grössten Verdienst von Abovitz und ihrem Magazin: «Mindy trommelt uns Frauen zusammen. Je mehr wir werden, umso besser kann man uns hören.»
1.
Mindy Abovitz, Drummerin und Gründerin des «Tom Tom Magazine»
2.
Viola Smith, Superstar in den Kriegsjahren, als die Bühnen frei für die Frauen waren
3.
Jazzerin Cindy Blackman
4.
Maureen Tucker von The Velvet Underground
5.
Sheila E, die in den Achtzigern mit Prince zusammenarbeitete
6.
Samantha Maloney, Drummerin in Bands wie Eagles of Death Metal