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Fran Lebowitz im Interview: «Die Leute sind so empfindlich»
- Text: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Dukas
Sie ist Autorin, vor allem aber Kommentatorin: Fran Lebowitz seziert das Leben so pointiert und nonchalant, als wäre es ein Theaterstück. Ein Anruf nach New York für eine erquickende Dosis Fransplaining.
Wer Fran Lebowitz interviewt, erhält sehr detaillierte Angaben darüber, auf welche Art und Weise man sie zur verabredeten Zeit erreichen kann. Lebowitz, bekannt dafür, absolut nichts Digitales zu besitzen – also weder Smartphone noch Laptop für Zoom-Calls –, hat zwei Festnetztelefone und einen analogen Anrufbeantworter.
Auf dem muss man anfangen, eine Nachricht zu hinterlassen, damit sie weiss, wer anruft – erst dann geht die 73-Jährige ran. Es gibt nur zwei Tabuthemen, wie das Management im Vorhinein durchgegeben hat – das Rauchen und die Frage nach einem nächsten Buch.
Wie soll man Lebowitz beschreiben? Sie ist eine Ur-New-Yorkerin, eine Chronistin der USA, eine scharfe Beobachterin der Gesellschaft und des Zeitgeistes, eine Kultfigur, ein gern gesehener Talkgast in TV-Sendungen. Und eine Starautorin, obwohl sie seit ungefähr dreissig Jahren über eine Schreibblockade klagt und nichts mehr zu Papier bringt – ja, Papier, wenn sie schreibt, dann nämlich nur von Hand.
Ihr Lektor hat einmal gesagt, dass sein Job der einfachste der Welt sei, weil er nie etwas lesen müsse. Trotzdem hat Lebowitz sich mit ihren Büchern «Metropolitan Life» (1978) und «Social Studies» (1981) einen Namen geschaffen, die beide eigentlich eher Essaysammlungen sind, in denen sie die Welt in typisch trockenem Ton seziert.
Ihr Freund, der mehrfache Oscar-Preisträger Martin Scorsese, hat bereits zwei Dokumentationen über sie gedreht, «Public Speaking» und «Pretend It’s a City», die sicherlich dazu beigetragen haben, Lebowitz’ Ikonenstatus weiter zu zementieren.
Die offen lesbische Grösse der amerikanischen Popkultur, die von sich behauptet, nie länger als sechs Tage in einer Beziehung sein zu können, ist eigentlich vor allem dafür bekannt, zu allem und allen eine Meinung zu haben.
Warum die interessiert? Nun – was interessiert das Fran Lebowitz? Vielleicht ja, weil es in Zeiten der politischen Korrektheit so erfrischend ist, humorvollen, klugen Frauen mit Haltung zuzuhören. Die liegen zwar auch mal daneben, nehmen sich aber immerhin selbst nicht so wichtig.
annabelle: Fran Lebowitz, geht es Ihnen gut? Unlängst hat ja ein Erdbeben New York erschüttert.
Fran Lebowitz: Ja, mir geht es gut. So ist das hier und ich sage Ihnen, die ganzen Bauarbeiten in dieser Stadt sind bedeutend schlimmer.
Ich habe schon lange keine Festnetznummer mehr angerufen.
Ja, ja, beschweren Sie sich nur, das kenne ich bereits.
Meine Theorie ist ja, dass Sie sich nur leisten können, nicht am digitalen Leben teilzunehmen, weil Sie berühmt sind.
Nun ja, und weil ich alt bin. Wenn ich jung wäre, hätte ich auch all diese technischen Dinge, aber dann wüsste ich auch, wie man das Zeug bedient. Alle denken immer, dass das so ein tiefgreifendes Statement von mir ist, aber dem ist gar nicht so. Es ist einfach so passiert. Meine Freundin hatte schon recht früh einen Computer, bevor es das Internet überhaupt gab, man nannte das damals «word processor» und ich habe mir das Teil angesehen und festgestellt, dass es im Grunde einfach eine elektrische Schreibmaschine ist. Und sowas brauchte ich nicht, weil ich eh nicht tippen kann. Ich schreibe mit der Hand und ausserdem sehr langsam. Ich könnte mit meinem eigenen Blut schreiben und die Wunden würden dabei schon wieder zuwachsen, weil ich so langsam bin. Ich hege schon mein Leben lang eine Antipathie gegenüber Maschinen. Wenn eine Maschine kaputt geht, haue ich drauf und flehe sie an, nicht mehr kaputt zu sein. Aber ich bin nicht gegen das Internet. Es interessiert mich halt einfach nicht.
Wissen Sie, was ChatGPT ist?
So eine Maschine voll von Künstlicher Intelligenz?
Ich habe ChatGPT beauftragt: «Stelle eine Frage an Fran Lebowitz, die ihr noch nie gestellt wurde.» Enttäuschenderweise kam das hier dabei heraus: «Wenn Sie eine historische Figur zu einer Dinnerparty einladen könnten, wer wäre das?»
Oh ja, sehr originell. Nun, diese Maschine kann einpacken, ich wurde das schon tausendmal gefragt. Eine Bekannte hat mir kürzlich gesagt, dass ChatGPT eine Pressemitteilung geschrieben habe, die besser war als ihre eigene. Sie war am Boden zerstört, aber ich habe ihr versichert, dass sowieso niemand Pressemitteilungen liest. Ganz ehrlich, alle machen sich in die Hose wegen Künstlicher Intelligenz, obwohl das eigentliche Desaster ein Mangel an menschlicher Intelligenz ist. Das Problem hier in den USA ist, dass unser Kongress so alt ist, dass sie alles Digitale erst einmal sowieso nicht verstehen. Und ein weiteres ist, dass die Politik immer dem technischen Fortschritt hinterherhinkt, es wird viel zu spät reguliert. Aber das ist fatal. Bevor es Autos gab, gab es auch keine Tempolimits.
Sie sagten mal, dass Sie das Schreiben liebten, bis Sie es zu Ihrem Beruf machten. Warum?
Ganz einfach: Weil ich es dann tun musste. Und ich habe ein derartiges Problem mit Autoritäten, dass ich mich selbst meiner eigenen Autorität widersetze. Ich bin so faul, das glauben Sie gar nicht.
«Ich habe so ein Problem mit Autoritäten, dass ich mich sogar mir selber widersetze»
Nicht viele Menschen geben offen zu, faul zu sein.
Ja, in den USA gibt es eigentlich nichts Schlimmeres, als faul zu sein. Alle leben in der falschen Annahme, dass harte Arbeit eine Tugend sei. Aber für mich ist Arbeit eine Notwendigkeit. Meine Grosseltern waren ungarischjüdische Immigranten und sie und die Generation meiner Eltern haben extrem hart gearbeitet – das war für mich wirklich alles andere als erstrebenswert. Ich verbinde harte Arbeit definitiv nicht mit Vergnügen.
Was halten Sie vom Begriff Work-Life-Balance?
Keine Ahnung, ich bin kein Mensch mit Balance. Was mir aber interessant scheint, ist, dass man überhaupt eine Wahl zu haben scheint. Früher hat man über solche Konzepte nicht einmal nachgedacht. Jüngere Leute heute haben das Gefühl, dass ihnen mehr zusteht, und ich sage Ihnen, das liegt an deren Eltern, die ihnen den ganzen Tag erzählt haben, wie grossartig und besonders sie sind. Eltern von heute mögen ihre Kinder tatsächlich, sie fragen sie sogar, was sie essen wollen oder was sie gern unternehmen würden. Auf die Idee wären meine Eltern nie gekommen.
Ihre Mutter hat Ihnen eingebläut, dass Jungs keine lustigen Mädchen mögen. Hat sie das je zurückgenommen?
Nein, nie. Sie hat mir immer gesagt, dass ich niemals vor Jungs Witze machen soll. Es hat sich aber gezeigt, dass Jungs lustige Mädchen keinesfalls doof finden. Was sich aber auch gezeigt hat, ist, dass es mich nicht interessiert, was Jungs von mir denken. (lacht)
Als Sie ein kleines Mädchen waren, gab es viele Dinge, die Sie nicht durften. Was hätten Sie damals besonders gern getan?
In den Fünfzigern war uns Mädchen praktisch alles verboten. Vieles in der Welt ist heute schlimmer als in der Zeit meiner Kindheit, aber Mädchen zu sein, ist eine Milliarde Mal besser. Das kann man wirklich nicht vergleichen. Egal, was ich wollte, die Antwort lautete meistens: Nein. Und wenn ich fragte, warum, hiess es: Weil du ein Mädchen bist. Punkt. Einmal habe ich meinen Vater gefragt, warum er nie beim Abwasch hilft. Und er antwortete: Wenn ich den Abwasch machen wollte, hätte ich nicht zwei Töchter in die Welt gesetzt. Mein Vater war ein wunderbarer Mann, aber eben auch ein Mann, der in den Zwanzigern geboren wurde. Man kann die Menschen nicht aus ihrer Zeit nehmen. Das einzig Gute war, dass es mir nicht erlaubt war, Sport zu treiben. Wer um Himmels Willen will freiwillig Sport machen?
Es wurde erwartet, dass Sie eines Tages Ehefrau und Hausfrau werden.
Ja, das war für alle klar. Nur für mich nicht. Und meine Eltern haben mir das niemals vergeben. Sie hatten zwei Töchter und sie erwarteten Enkelkinder. Als ich gesehen habe, wie meine Mutter in den Hochzeitsvorbereitungen meiner Schwester aufging, wurde mir klar, dass sie ihr ganzes Leben auf diesen Moment hingearbeitet hatte. Meine Schwester liess sich aber schnell wieder scheiden und bekam keine Kinder. Wir haben also beide versagt. Ich war wirklich nicht die Tochter, die sie sich gewünscht hatten. Ich wäre auch mit Sicherheit die schrecklichste Hausfrau aller Zeiten geworden.
Sie sagten mal, dass Sie als Kind zu nichts eine Meinung haben durften …
… natürlich nicht! Es gab nichts auf der Welt, was weniger bedeutend war, als ein Kind zu sein. Anders als heute, wo Kinder die Welt regieren und die Eltern herumkommandieren.
Ein grosser Teil Ihres Berufes besteht heute darin, zu Dingen eine Meinung zu haben und diese kundzutun. Haben Sie womöglich Ihren Job aus der Rebellion heraus erfunden?
Nein, das ist einfach passiert. Ich hatte keine Ahnung davon, was mein Beruf sein würde, ich weiss es immer noch nicht so genau. Ich hatte nie einen Lebensplan. Die jungen Leute sind ja so viel besser organisiert, als wir es damals waren. Heute treffe ich 22-jährige Frauen, die mich nach Tipps für die Altersvorsorge fragen – Mädchen, lebt doch erst einmal!
Es gehört heute zum guten Ton, sich so zu präsentieren, als sei man super tolerant und offen. Man urteilt vermeintlich nicht mehr über die Entscheidungen oder Lebensentwürfe anderer. Sie hingegen haben Ihr Leben lang geurteilt und tun es weiterhin fröhlich. Warum kommen Sie damit durch?
Es ist schon mal hilfreich, wenn man nicht im Internet stattfindet. Aber was mich immer wundert: alle predigen «you do you» – also, dass man so toll sei, wie man eben ist – alles soll toleriert werden, aber gleichzeitig sagen sie Dinge wie: «Dein Haarschnitt ist scheisse, geh sterben!» Obwohl angeblich nichts mehr bewertet werden soll, wird alles bewertet. Ja, überbewertet! Wir leben in einer Kultur der Adoleszenz. Dieses Verhalten endete früher irgendwann, aber heute stecken wir permanent in der Highschool fest. Selbst Sechzigjährige benehmen sich so. Aber man ist ja selbst schuld, wenn man alles teilt. Es gibt keine Privatsphäre mehr und ich frage mich, warum man das will. Warum zum Teufel kann man denn wollen, dass alle alles über einen wissen?
Man darf heute eigentlich auch nur noch über eine Gruppe von Menschen urteilen, der man selbst angehört. Sie dürften also eine Meinung zu Jüdinnen haben, aber beispielsweise nichts über alleinerziehende Mütter sagen.
Ja, das ist bedenklich. Weil es auf der Annahme beruht, dass man als Mensch nicht vielschichtig ist. Deine Herkunft, deine Religion, deine Körperform – das ist doch nicht alles, was du bist. Dieses Verhalten macht die Menschen kleiner statt grösser. Es macht die Welt klein. Mich nervt es, dass Menschen immer nur von sich selbst ausgehen. Nicht jede Person auf diesem Planeten ist verdammt noch mal eine etwas andere Version von einem selbst.
«Vielleicht bin ich ja gecancelt worden und weis s es einfach nicht. Ist das nicht schön?»
Warum sind Sie eigentlich noch nicht gecancelt worden?
Nun, vielleicht bin ich ja gecancelt worden und weiss es einfach nicht. Ist das nicht schön?
Die Freiheit der Ignoranz?
Wie oft ich schon gehört habe, «Oh, Achtung, Fran! Das könnte ein Nachspiel haben!» Und ich sage: Ja natürlich, das Nachspiel hat bereits begonnen, indem du mich davor warnst. Es wird alles in einen Topf geworfen: von Vergewaltigung, also einer kriminellen Tat, bis hin zu einem blöd dahingesagten Spruch – alles dasselbe! Die Leute sind so empfindlich, es ist das Gegenteil von Freiheit. Wir kreiden allen alles an. Ausser bei amerikanischen Politikern; da machen wir offensichtlich eine Ausnahme. Da ist es total okay, wenn sie lügen und menschenverachtend daherreden. Die meisten Leute schämen sich, wenn sie beim Lügen ertappt werden, nicht aber die republikanischen Politiker, die erfinden munter ihre eigenen Fakten, und das ist brandgefährlich. Die Politik in den USA derzeit ist die schlimmste meines gesamten Lebens. Und es ist ja nicht so, als ob die Zeit davor ein Spaziergang gewesen wäre!
Sie betonen immer gern, dass es Sie nicht interessiert, was andere von Ihnen denken. In welchen Situationen sind Sie verletzlich?
Es interessiert mich schon, was andere von mir denken, natürlich tut es das – das ist doch menschlich. Ich nehme es nur nicht persönlich, wenn Leute nicht dieselbe Meinung teilen wie ich. Ich verstehe nicht, warum das andere so aufregen kann. Das ist doch nichts Persönliches. Ich weiss im Übrigen auch gar nicht, warum es eine Rolle spielen sollte, was ich denke. Ich habe doch gar keine Macht, ich bin ja nicht im Supreme Court. Auch wenn das gut für dieses Land wäre.
Darf ich Sie um Ihre Meinung zu einigen Menschen und Dingen bitten?
Natürlich.
Der Film «Barbie».
Habe ich nicht gesehen.
Prinz Harry.
Meine Güte, wann wird er endlich aufhören, sich zu beschweren? Das ist höchstanstrengend. Oje, oje, dein Bruder hat dich gehauen, als du ein Kind warst? Schreib doch ein ganzes Buch darüber!
«Ich verstehe nicht, wie man sich als normaler Mensch mit Supermodels vergleichen kann»
Ozempic.
Ich würde das niemals nehmen, weil ich keine Diabetespatientin bin. Die halben USA leiden an Diabetes, weil wir nur Mist in uns hineinstopfen. Wenn ich mir überlege, ein Medikament zu nehmen, das einfach so den menschlichen Impuls des Hungers unterdrückt, wie stark muss das Zeug sein? Ich verstehe sowieso nicht, wie man sich als normaler Mensch mit Supermodels oder Filmstars vergleichen kann.
Sind die Leute heute eitler?
Ich bin auch eitel, aber ich würde nie auf die Idee kommen, so aussehen zu müssen wie ein professionelles Model. Es liegt aber vielleicht auch daran, dass die Leute sich heute selbst mehr sehen. Sie fotografieren sich ständig oder werden fotografiert und sind mit ihrem eigenen Gesicht auf Social Media konfrontiert. Es ist für mich total okay, dass ich nicht aussehe wie Iman! (lacht) Das meinte ich damit, als ich sagte, dass niemand mehr erwachsen wird: Sich ernsthaft mit seinen Idolen vergleichen – sowas machen Teenager!
Wann waren Sie das letzte Mal an einer Modenschau?
Das ist ewig her. Ich verfolge die Mode nicht mehr, aber ich liebe Kleidung über alles. Im Gegensatz zu all den Menschen, die das von sich behaupten, aber in Wahrheit keine Ahnung von Schneiderkunst haben. Früher waren die Fashion Weeks kleiner, man hat die Entwürfe wirklich gesehen, die Leute haben geklatscht, weil sie sich auskannten, sie waren nicht da, um fotografiert zu werden. Bei den Fashion Weeks heute geht es nicht mehr um die Kleidung.
Würden Sie sagen, dass Sie für sich eine Uniform gefunden haben?
Das höre ich immer wieder, es ist aber keine Uniform. Das sind einfach meine Klamotten. Nun ja, es ist vielleicht eine Idee, die ich für mich gefunden habe, und es stimmt, dass ich seit den Siebzigern meine Levi’s 501 trage – aber hören Sie mal, meine Jacketts sind doch nicht die gleichen wie vor fünfzig Jahren! Ich lasse mir alles massschneidern, meine Blazer, meine Hemden. Auch weil ich faul bin und es hasse, einkaufen zu gehen.
Sind Ihre Cowboystiefel massgefertigt?
Ja, von einem komplett verrückten Typen aus Texas. Ich habe aber nur ein Paar und habe mir geschworen, dass sie mein Leben lang halten sollen. Ich pflege sie und lasse sie jede Woche putzen. Bei dem, was das kostet, sollten sie mich eigentlich bis zum Ende tragen.
Ist Mode Kunst?
Bei Mode ist es manchmal nicht ganz einfach, aber generell kann ich sagen: Kunst darf nicht nützlich sein. Etwas Nützliches kann zwar künstlerisch sein, aber Kunst ist es nicht. Also Essen zum Beispiel ist doch keine Kunst, es tut mir leid, aber Bäcker sind keine Künstler – sie sind Bäcker.
In meiner Vorstellung hat niemand spannendere Dinnerpartys erlebt als Sie. Was sind Ihre Tipps für einen gelungenen Abend?
Auf jeden Fall die Leute rauchen lassen. Wenn ich eingeladen werde, frage ich als Erstes, ob man rauchen darf. Wenn nicht, müssen es schon sehr, sehr gute Freunde sein, dass ich trotzdem zusage. Ich bin ein grossartiger Gast, wirklich! Aber eine furchtbare Gastgeberin, ich lade eigentlich nie Leute ein. Ich kann auch nicht kochen.
Warum wollten Sie schon als Teenager weg aus New Jersey?
Nun, ich konnte New York riechen und in meiner Umgebung war einfach kein Erwachsener, mit dessen Leben ich mich identifizieren konnte. Nichts hat mein Leben so sehr verändert wie der Umzug nach New York. Ich wusste, dass ich nicht dableiben konnte, wo ich herkam, und habe seit ich 13 war darauf hingearbeitet, die Kleinstadt zu verlassen. Es ist aber wirklich nicht so schwer, wie alle tun, den Ort zu wechseln, wenn man unzufrieden ist. Man fragt mich immer, wie ich denn nach New York gekommen sei, als wäre das so eine komplizierte Sache. Mit dem Bus, ich bin mit dem Bus gekommen.
Wie haben Sie die Stadt damals erlebt?
New York bedeutete Freiheit. Manhattan war damals voller wütender Homosexueller. Das ist toll für eine Stadt – eine positive Wut ist motivierend und erzeugt Umbruch. Wissen Sie, es war damals unmöglich, als homosexueller Mensch in einer Kleinstadt zu leben. Man konnte nur dort leben, wenn man so tat, als sei man hetero. Es gibt ja heute in den USA noch Leute, die das tun, wobei ich das in der heutigen Zeit echt nicht verstehen kann.
Wie kamen Sie zu einem Job bei Andy Warhols Magazin «Interview»?
Es war total einfach, dort einen Job zu bekommen, weil niemand schreiben wollte. Alle wollten Musik machen oder Filme drehen. Es gab fast keine Konkurrenz. Als ich also sagte: «Hi, ich bin Fran, ich bin 21 und ich schreibe», war ich damit eigentlich schon engagiert.
Wie war Ihre Beziehung zu Warhol?
Schlecht. Er mochte mich nicht und ich mochte ihn nicht. Die Kids, die Teil der Factory waren, waren da, weil sie in der Nähe von Andy sein wollten. Das aber interessierte mich nicht – ich wollte einfach nur bei einem Magazin arbeiten. Ich glaube, das hat ihn gewurmt, er war sehr eitel und unsicher und ich habe ihn kritisch beäugt. Ausserdem ist mir aufgefallen, wie hoch die Sterberate von Mitgliedern der Factory war. Alle hatten massive Drogenprobleme. Alle ausser Andy, der nahm nämlich keine Drogen, aber er gab sie munter den anderen. Er liebte das Drama, es amüsierte ihn. Andy hatte immer seine Entourage dabei, er ging nie irgendwo hin ohne mindestens zehn Leute als Begleitung. Und ich war zum Glück nie eine davon.
Sie schreiben heute nicht mehr besonders viel, Ihr letztes Buch war ein Kinderbuch und ist 1994 erschienen. Aber lesen tun Sie weiterhin leidenschaftlich, Sie besitzen über 12 000 Bücher …
Ja, ich würde sagen, ich bin professionelle Leserin. Wissen Sie, eine der grössten Veränderungen in meinem Leben war der Moment, in dem ich Lesen gelernt habe. Ich war fünf Jahre alt und erinnere mich genau an das Gefühl in meinem Körper. Es war ein elektrisierendes Kribbeln im Bauch, exakt dasselbe Kribbeln, das ich gespürt hatte, als mein Vater zum ersten Mal meinen Fahrradsattel losgelassen hat und ich ganz alleine gefahren bin. Warum? Weil beides Momente der absoluten Freiheit waren.
Am 31. Oktober ist Fran Lebowitz für einen Abend im Zürcher Volkshaus zu Gast. Tickets gibt es hier.
Ich bin, vorsichtig ausgedrückt, enttäuscht über dieses Interview. Ich habe mich gefreut, Fran Lebowitz im Gespräch zu lesen! Von der Autorin noch als «scharfe Beobachterin der Gesellschaft und des Zeitgeistes» eingeführt, muss sich Frau Lebowitz weitgehend banalen Fragen stellen. Viele beziehen sich offenbar auf frühere Äusserungen von Frau Lebowitz, die sie anständig wiederholt. Dabei wirft sie durchaus Punkte auf, bei denen die Fragestellerin nachhaken könnte. Leider nein. Wohl aus Mangel an Vorstellungskraft, was man Frau Lebowitz fragen könnte, wird ChatGPT bemüht – das Resultat verblüfft nicht, die Frage wird dennoch gestellt, eine Antwort darauf gibt es nicht. –Das es anders geht, lässt sich einige Seiten weiter nachlesen, das Gespräch mit Barbara Bleisch: spannend, lehrreich, von journalistischer Qualität.
Eine verpasste Chance, dieser «humorvollen, klugen Frau mit Haltung» ebensolche Fragen zu stellen. Einen Cent für die Gedanken von Frau Lebowitz in dem Moment, als sie nach diesem Gespräch ihr Festnetztelefon aufgelegt hat.