Australien, China, Malaysia – Annabelle-Praktikantin Ines Häfliger kennt Fernweh nur allzu gut. Diesen Sommer allerdings reist sie ins Tessin statt nach Thailand und das, obwohl ein Flugticket nur wenige Klicks entfernt wäre.
132 Stunden. So viel Zeit verbrachte ich in den vergangenen fünf Jahren an Bord eines Flugzeugs. Als 18-Jährige reiste ich nach Australien, im selben Jahr flog ich für einen Kurztrip nach Wien. Weitere Flugreisen folgten: Lissabon, Schanghai, Malaysia, Südkorea. Unvergesslich sind alle Reisen. Doch auch die Erde wird sich an mein Fernweh erinnern. Gemäss WWF ist der Flugverkehr für 18 Prozent des menschengemachten Klimawandels in der Schweiz verantwortlich.
Den Ausgleich dazu suchen wir uns anderswo. Ein Bekannter von mir hat sich ein Elektroauto gekauft. Gleichzeitig jettet er für zweitägige Geschäftsmeetings nach New York und verbringt die Winterferien auf einer thailändischen Insel. Mein Verhalten ist genauso ambivalent: «Dafür esse ich kein Fleisch», sage ich mir jeweils, wenn mich am Flughafen Gewissensbisse plagen. Nüchtern betrachtet ist das Augenwischerei. Als Vegetarierin spare ich pro Jahr rund 1.2 Tonnen CO2 ein; meine Flugreisen vergrössern meinen jährlichen CO2- Fussabdruck aber um etwa 5 Tonnen. Zum Vergleich: Bis 2050 will der Bundesrat den Pro-Kopf- Ausstoss auf unter 1.5 Tonnen CO2 senken. Bevor ich all meine Flüge zusammengezählt und deren Emissionen berechnet hatte, wusste ich nur, dass Fliegen schlecht ist. Wie schlecht, davon hatte ich keine Ahnung.
Da viele Menschen – wie ich – die Auswirkung des eigenen Verhaltens auf das Klima nicht kennen (wollen), stufen wir unsere Handlungen intuitiv in «gut» oder «schlecht» ein und wägen sie gegeneinander ab, kritisieren schwedische Forscher in ihrer Publikation «Why People Harm the Environment Although They Try to Treat It Well». Sätze wie «Ich fliege zwar, dafür fahre ich mit dem Velo zur Arbeit» oder «Ich esse zwar dreimal täglich Fleisch, dafür lasse ich meine Wäsche an der Leine trocknen» sind Beispiele dafür. Doch ist es nicht der Durchschnitt, der ausschlaggebend ist, sondern die Summe unserer CO2-Emissionen.
Rational zu denken ist unbequem und führt bei mir zu einer inneren Zerrissenheit. Denn heute gilt trotz allem noch: Je weiter man fliegt, desto cooler. Nur Spiessbürger und Landeier fahren mit dem Zug an die Ostsee oder bleiben zuhause. Wer in sein will, verbringt die Ferien in Marokko oder Mexiko. So ist denn auch meine Reiselust noch immer gross. Auch weil ein Flugticket nur wenige Klicks entfernt ist und ich weder an einen Partner noch Job gebunden bin. Auf den eigenen Vorteil zu verzichten ist uneigennützig, liegt also nicht in der Natur der Menschen. Gleichzeitig weiss ich aber: Ich habe eine Verantwortung gegenüber der Erde. Behalten wir unser egoistisches Handeln bei, zerstören wir unsere Lebensgrundlage – und vernichten uns selbst. Daran hat die Evolution wohl kaum gedacht.
Die Erderwärmung lässt sich nicht aufhalten, nur weil wir Bio-Bananen kaufen, uns öfter aufs Velo schwingen oder auf den Plastiksack verzichten, gleichzeitig aber nicht bereit sind, bei den grössten Klimakillern Abstriche zu machen. Solang Fliegen keine bessere CO2-Bilanz hat, darf Weltenbummeln nicht mehr cool sein. Wenn wir unsere Flugreisen nicht freiwillig einschränken, sind höhere Ticketpreise ein Mittel, um dem Fliegen das Alltägliche zu nehmen: Ein Flugticket nach London muss mehr kosten als ein Paar Sneakers.