Die Journalistin Simone Meier schreibt in ihrem zweiten Roman «Fleisch» über die Liebe, das Älterwerden und übers Essen.
Die Watson-Journalistin Simone Meier beschreibt in ihrem zweiten Roman die Geschichte von Anna und Max. Beide stehen mit Mitte vierzig kurz vor einer Midlife Crisis, kennen sich schon seit der Schulzeit und wurden später ein Paar. Die Beziehung hielt wenige Jahre, heute ist Anna geplagt von den Erscheinungen des Älterwerdens, Max kommt mit seiner Rolle als Mann nicht mehr zurecht und fängt an, sich selber zu verletzen. Während Anna sich in die jüngere Lilly verliebt und gleichzeitig mit einem Filmstar eine Affäre beginnt, verliebt sich Max in Lillys Mitbewohnerin, die allerdings nur gegen Geld mit ihm schläft. Schliesslich kreuzen sich die Wege von Anna und Max wieder – und dieses Mal gibts Psychoterror statt eines Happy Ends.
Simone Meier beschreibt in «Fleisch» die oberflächliche Seite unserer Gesellschaft, die Liebe und das Zwischenmenschliche mit scharfer Beobachtungsgabe und in gewohnt frischem Meier-Stil. Die Figuren in Meiers Roman kämpfen nicht nur mit dem Älterwerden des eigenen Fleischs und der Lust auf fremdes, sondern machen Essen zum Ersatz für die Liebe. Wir haben mit der 46-Jährigen über ihren Roman gesprochen – und darüber, was Essen eigentlich mit Sex zu tun hat.
annabelle.ch: Ihr Roman heisst «Fleisch». Was ist Ihr liebstes Fleischgericht?
Simone Meier: Tatar! Egal ob aus Fleisch, Fisch oder Schalentieren. Ich liebe es! Wenn ich ein paar Wochen keins gegessen habe und dann Tatar auf einer Menükarte sehe, krieg ich grässlichen Heisshunger darauf. Wie so ein Vampir, der Blut riecht. Fleisch und ich, wir verstehen uns! Ich kann auch ziemlich gut Fleisch zubereiten. Alles, was sich braten, weich klopfen, marinieren lässt.
Essen spielt eine grosse Rolle in der Geschichte: Wenn die Romanfiguren keinen Sex haben, dann essen sie. Essen als Ersatz für Sex?
Klar. Beides sind ja sehr physisch erfahrbare, sinnliche Tätigkeiten. Zudem heisst es ja schon lange, dass Essen der Sex des Alters sei. Gemeinsam ein gutes Mahl zu geniessen, könnte als Ersatzerfahrung für Sex einigermassen funktionieren.
Gleich zu Beginn des Romans geht Ihre Protagonistin Anna zum Schönheitschirurgen, ist also unzufrieden mit ihrem eigenen Fleisch.
Heute gilt das Credo, zu sich und seinem Äusseren zu stehen und sich zu akzeptieren, wie man ist. Das nennt sich dann Body Positivity. Das ist toll gedacht, aber ich frage mich, wer das wirklich so für sich anwenden kann. Und wenn man sich ganz unten fühlt, legt man sich unters Skalpell. Das Perfide ist: Man erträgt sich nicht mehr, geht zum Schönheitschirurgen, freut sich über die geglückte Verbesserung – und entdeckt schon die nächste Baustelle. Jedenfalls beobachte ich das bei vielen Frauen. Im Buch habe ich meine Anna deshalb mitten in die Midlife Crisis hineingestellt, zum Chirurgen geschickt und ihr gesagt: Jetzt schau mal, wie du da wieder rauskommst!
Im Gegensatz zu Anna verletzt sich ihr Ex-Freund Max. Woher kommt dieses Selbstzerstörerische?
Max steht für mich stellvertretend für viele Männer, die Probleme haben mit dem Frauenbild von heute und sich selber nicht mehr richtig spüren. Je schlechter es Max geht, umso traditioneller werden seine Männerbilder: Er liest Romane des norwegischen Autors Karl Ove Knausgård und träumt von James Bond.
Beobachten Sie das auch bei Männern in Ihrem Umfeld?
Im Gegenteil: Ich habe extrem tolle Männer in meinem Leben, die alles richtig machen, weil die Frage nach der Geschlechtergleichheit für sie schlicht nicht mehr existiert. Aber ich weiss, dass die Welt ausserhalb meiner Filterblase anders aussieht. Und ich verstehe ein Stück weit auch, wenn sich Männer aus der Generation von Max nicht mehr wohlfühlen.
Warum?
Viele haben sich als Kind vielleicht am Vater orientiert, der aus einer Zeit stammte, in der die Frauen noch nicht abstimmen durften. Und jetzt kommen die Frauen von heute mit ihrem Selbstverständnis und ihren Forderungen. Das heisst, Männer wie Max müssen alles, was sie als Komfortzone für sich beanspruchen, hinterfragen. Das ist schmerzhaft und macht unsicher.
Im Buch verliebt sich Anna in eine jüngere Frau. Woher kam die Inspiration für diese Geschichte?
Unter anderem vom Film «Carol» mit Cate Blanchett und Rooney Mara. Darin verliebt sich eine ältere Frau in eine jüngere. Die Geschichte spielt in den Fünfzigerjahren, und so was warf damals die eigene Existenz und die gesellschaftliche Ordnung komplett über den Haufen. Dass sich ältere Männer in jüngere Frauen verlieben, kennen wir. Auch dass sich Frauen über vierzig in jüngere Männer verlieben, ist heutzutage mehr oder weniger normal. Aber eben fast nie in eine jüngere Frau. Das wollte ich in meinem Roman einfach mal als eine von vielen Möglichkeiten ausprobieren. Ohne gröberes Melodram.