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Ferien am Mittelmeer: 7 Dinge, die wir überdenken sollten

Zeitgeist

Ferien am Mittelmeer: 7 Dinge, die wir überdenken sollten

Das Mittelmeer leidet. Nicht nur unter der Klimakrise, sondern auch unter dem Tourismus. Unter uns. Was wir wissen sollten – und was wir tun können.

Das Mittelmeer ist pure Sinnlichkeit und reine Lebensfreude. Ein Sehnsuchtsort. Doch hinter der idyllischen Kulisse türmen sich die Probleme. Falsches Management der Natur-Ressource Strand – aus Unwissenheit oder Profitgier – und die Folgen des Klimawandels gefährden die Zukunft der Mittelmeerküste: ökologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.

Die Herausforderungen sind enorm und stellen Länder wie Spanien, Griechenland, die Türkei oder Italien vor massive Probleme. Sie erwirtschaften einen wichtigen Teil ihres Bruttoinlandsprodukts mit dem Massentourismus. Doch dieses Wirtschaftsmodell, in dessen Zentrum der Strand steht, ist nicht zukunftstauglich.

Der Mittelmeerraum ist in einer neuen Realität angekommen. Höchste Zeit, dass auch wir Tourist:innen uns unserer Verantwortung bewusst werden. Und uns fragen: Lieben wir das Mittelmeer womöglich zu Tode? Denn das Ökosystem ist enormen Stressfaktoren ausgesetzt – diese sieben Sehnsüchte sollten wir überdenken.

1. Das Spazieren am Strand

Sandstrände sind eines der meistbesuchten Ökosysteme der Welt – und eines der empfindlichsten. Sie sind bewegliche Barrieren zwischen Wasser und Erde und den klimatischen Bedingungen extrem ausgesetzt. Strände oszillieren, verändern ihre Form und sind der perfekte Küstenschutz. Sie puffern die Wirkung von Unwettern und festigen den Küstensaum. Doch sie schrumpfen weltweit.

Am Mittelmeer sind sie besonders bedroht. Das liegt am herrschenden Wassermangel (es regnet zu wenig und der Wasserverbrauch ist enorm), zudem zieht auch Infrastruktur im Wasser (wie beispielsweise Hafenanlagen oder Anlegestege) Sand ab. Das heisst, die Ablagerungen am Küstenstreifen verlaufen anders, als von der Natur vorgesehen.

Und: Der steigende Meeresspiegel überspült die Strände. Langfristig ist der Anstieg des Meeresspiegels enorm: Pro Grad Erwärmung sind es 2.5 Meter. Derzeit steigt der Meeresspiegel jährlich dreieinhalb Millimeter. Das ist nicht mehr zu stoppen, selbst wenn wir sofort aufhören würden, CO2 in die Luft zu pumpen. Schon heute werden vielerorts naturnahe Schutzmassnahmen umgesetzt. Auf Sardinien haben sogar Gemeinden Bauprojekte gestoppt, weil sie zu nah an der Küste waren.

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2. Der Blick aufs Meer

Wir lieben die Farbe Blau. Sie beruhigt uns. Deswegen stehen vielerorts die Hotels so nah wie möglich am Wasser. Ökologisch gesehen ist das ein Desaster, denn dicht bebaute Küsten können sich nicht mehr selbst regulieren. Sie sind tote Ökosysteme und zur Erosion verdammt. Am Mittelmeer wird auch deshalb so nah am Strand gebaut, weil es dort im Gegensatz zum Atlantik möglich ist. Es ist eine so genannte mikrotidale Zone: kleine Wellen, kaum Gezeiten.

Drei Beispiele: Kretas Küste ist heute um zwanzig Prozent dichter bebaut als vor dreissig Jahren – siebzig Prozent der gesamten Küste sind schon erodiert. Italien hat in den vergangenen fünfzig Jahren vierzig Millionen Quadratmeter Strand verloren, weil er bebaut oder vom Meer überschwemmt wurde. Und in Spanien hat sich die bebaute Fläche am Meer in den letzten dreissig Jahren verdoppelt. Insgesamt ist heute ein Drittel der Sandstrände teils oder ganz unter Zement begraben.

Will man die Strände retten, muss man die Dünen erhalten. Eine drastische Lösung heisst: Gebäude abreissen und nach hinten versetzen. An der Costa del Sol in Andalusien ist das bereits geplant: Denn sind die Strände erst einmal weg, kommen auch keine Tourist:innen mehr.

Wo das nicht geht, weil ganze Städte direkt am Meer liegen, müssen herkömmliche Methoden angewandt werden: Sand vom Meeresgrund baggern und auf den Strand kippen. In Barcelona zum Beispiel bringen grosse Schiffe seit dreissig Jahren alljährlich rund hunderttausend Kubikmeter Sand an. Ihren Strand lässt sich die Metropolregion jährlich zirka eine Million Euro kosten. Ohne den Eingriff wäre der Strand von Barcelona schon längst verschwunden – und Badende müssten ihr Handtuch auf blankem Stein ausbreiten.

3. Der Fisch auf dem Teller

Das Mittelmeer gehört zu den meist überfischten Meeren weltweit. Beliebte Speisefische wie Dorade oder Seebarsch, Steinbutt, Seezunge, Sardelle oder Sardine sind vom Aussterben bedroht. Auch Crevetten, Tintenfische und Kraken werden in zu grossen Mengen entnommen. Dazu kommt, dass rund zwanzig Prozent aller mediterranen Arten Endemismen sind, das heisst, sie kommen nur dort vor. Sind die Lebensbedingungen so ungünstig, dass sie sich nicht mehr vermehren beziehungsweise überleben können, verschwinden sie vom Erdball.

Dazu kommt der Umweltstress: Kürzlich haben Forscher:innen einen zu erwartenden Temperaturanstieg der Wasseroberfläche des Mittelmeers von zwei Grad pro Jahrhundert errechnet. Wegen der höheren Lufttemperaturen verdunstet das Wasser zudem schneller, was einen höheren Salzgehalt mit sich bringt. Die Meeresbewohner müssen sich also an salzigeres, wärmeres Wasser anpassen.

Eine Lösung für diesen Missstand ist die Einführung von Meeresreservaten, wo Berufsfischer:innen Vorschriften zur Arterhaltung einhalten müssen und mit Fangquoten und Schonzeiten arbeiten. Die Bestände erholen sich dort tatsächlich. Der Effekt: Legal gefangener Fisch ist am Mittelmeer teuer. Ist er das nicht, kommt er aus illegaler, nicht gemeldeter oder nicht regulierter Fischerei. Oder er kommt aus asiatischen oder afrikanischen Gewässern mit laxeren Umweltauflagen.

Die Europäische Kommission arbeitet unter dem Schlagwort Blue Growth (Blaues Wachstum) auf nachhaltiges Wirtschaften mit dem Meer hin und investiert viel Geld in den Kampf gegen illegalen Fischfang und in die Erforschung und Erhebung der Fischbestände in europäischen Gewässern.

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4. Die Farbe Türkis

Dieses bezaubernde Türkis in allen Tönen verdankt das Mittelmeer unter anderem einer unscheinbaren Unterwasserpflanze: Posidonia oceanica, auch Neptungras genannt. Sie gedeiht nur im Mittelmeer und schafft dort Bedingungen für die charakteristische Färbung des Wassers. Neptungras betreibt Photosynthese, braucht Sonnenlicht, gedeiht nur auf sandigem Grund und in sauberem Wasser.

In ihrem Dickicht passiert im ewigen Spiel der Wellen und unter Sonneneinstrahlung eine Menge. Drei Beispiele: Meeresbewohner jeglicher Art nutzen die dichten Wiesen, um dort zu grasen, Eier abzulegen oder geschützt gross zu werden. Die Pflanze absorbiert viel Kohlendioxid, mehr als die meisten Wälder, und bindet es am Meeresgrund. Und: Die Wiesen wirken wie Wellenbrecher. Sie bremsen die Brandung, diese kommt sanfter an Land und trägt weniger Material ab. Wo es wächst, ist das Meer also artenreich, sauber und von weichen, hellen Sandstränden gesäumt.

Doch Neptungraswiesen schrumpfen und verschwinden stellenweise ganz. Wissenschaftler:innen haben nun herausgefunden, wie man das sehr langsam wachsende Gras im Labor züchten und vor der Küste wieder anpflanzen kann. Das hat allerdings nur Erfolg, wenn die Umweltbedingungen gut sind.

Vielerorts sind Neptungraswiesen mittlerweile geschützt, zum Beispiel rund um die Balearen. Hafenarbeiten und Ähnliches in ihrer Nähe brauchen eine Umweltverträglichkeitsstudie. Beim Schwimmen sollte man Abstand halten, um das Leben zwischen den langen Blättern nicht zu stören. Mit einem Boot ist darauf zu achten, dass man über den Seegraswiesen nicht ankern sollte. Der Schaden ist enorm, denn das Gras regeneriert sich nur sehr langsam.

5. Das Dösen in der Sonne

Am Mittelmeer verläuft die globale Erhitzung um zwanzig Prozent schneller als im weltweiten Durchschnitt, wie das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage errechnet hat. Schon jetzt ist es dort um mehr als zwei Grad heisser als in vorindustriellen Zeiten. Im Sommer 2021, dem europaweit heissesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen, kletterten die Temperaturen währen der Hitzewelle in Spanien auf bis zu 47.4 Grad (Córdoba, Andalusien) und in Italien auf bis zu 48.8 Grad (Sizilien).

Hitze und weit verbreitete Trockenheit führen zudem zu Waldbränden, die immer verheerendere Folgen haben. Mehr als achtzig Prozent der jährlich auf dem europäischen Kontinent verbrannten Gesamtfläche entfallen auf Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland und die Türkei, wie der WWF 2019 bekannt gab. Allein im Juli und August 2021 brannten im Mittelmeerraum mehr als 800 000 Hektar Wald und Buschland ab.

Dabei machen diese neuen Superfeuer, die bis zu zwanzig Meter hohe Flammen entwickeln, auch vor Gebäuden und Infrastruktur wie Strassen nicht mehr halt. Immer öfter müssen Menschen evakuiert werden – auch in Ferienanlagen oder Hotels. Das alles wird mittelfristig dazu führen, dass immer mehr Tourist:innen den heissen Mittelmeer-Sommer meiden und ihre Strandferien für Frühling oder Herbst buchen.

Grundsätzlich gilt: So wenig wie möglich selbst dazu beitragen, dass der CO2 -Gehalt in der Erdatmosphäre weiter ansteigt – muss es der Flieger sein oder komme ich auch mit dem Zug ans Meer? Wie oft im Jahr muss ich verreisen? Reisen sind fast immer klimaschädlich, und je weiter weg, desto schädlicher.

6. Der abendliche Drink

An Sommerabenden spielt sich das Leben auf der Strasse ab. An der Küste tummeln sich nicht nur Tourist:innen, sondern auch sehr viele Einheimische. Tourismus und Gastronomie bieten Arbeitsplätze, und deshalb ziehen viele Einheimische ganz oder für mehrere Monate im Jahr in Küstenorte. Im Durchschnitt leben vierzig Prozent aller Mittelmeer-Bewohner:innen an der Küste. Der Effekt: Das Hinterland verwaist.

Landflucht ist ein enormes Problem: Brachliegende Felder verwildern und werden oft Opfer von Waldbränden. Lebensmittel und Holz werden importiert, weil sich niemand mehr um die eigenen natürlichen Ressourcen kümmert. Im Landesinneren wird grundlegende Infrastruktur wie Strassen, Schienen und Internetverbindungen nicht mehr gewartet, Geschäfte, Ärzt:innenzentren oder Schulen machen zu, weil sie von zu wenigen Menschen genutzt werden. Das macht eine Rückkehr oder Neuansiedelung fast unmöglich.

Das ist auch insofern ein Problem, als dass viele Küstenorte wegen des steigenden Meeresspiegels, der zunehmend heftigen Unwetter im Winterhalbjahr und der Erosion der Küste als nicht mehr sicher gelten. Steht ein Gebäude zu nah am Meer, weigern sich manche Versicherungen, einen Schutz anzubieten. Bilder von bis zu zehn Meter hohen Wellen, die Wohnblocks überspülen und ganze Strände verschlucken, gehören am Mittelmeer mittlerweile zu den typischen Nachrichten im Herbst und Winter. Dann bleiben auf Inseln wie Kreta, Sardinien oder Mallorca auch mal die Supermarktregale leer, weil die Frachtschiffe wegen des Seegangs keine Waren bringen können.

Wegen der unsicheren Klimalage an der Küste suchen sich viele Anwohner:innen von Ferienorten eine Zweitwohnung im Landesinneren oder richten sich das Haus der Eltern oder Grosseltern im Dorf her. Sie haben erkannt: Immer mehr Strände verschwinden und die Temperaturen steigen. Das stellt das Modell Strandferien infrage: Werden wir in dreissig Jahren im Sommer noch an die Adria fahren?

7. Die Yacht im Hafen

Eine Stunde mit dem Jetski durchs Wasser düsen oder einen Tagesausflug mit einer Motorjacht buchen– grossartig. Worauf wir dabei aber oft nicht achten: Alle motorisierten Gefährte sind laut, und zwar nicht nur über, sondern auch unter Wasser. Daran sind nicht nur die Tourist:innen schuld – Fähren, Kreuzfahrtschiffe, Frachtverkehr und viele andere Lärmquellen beeinträchtigen die Gesundheit von Unterwassertieren beträchtlich. Dazu kommt der Lärm von Häfen, Offshore-Windanlagen, Förderplattformen für Erdöl und -gas oder Baustellen.

Sie alle geben Schallwellen in unterschiedlichen Frequenzen ab, die sich im Wasser viel schneller und weiter verbreiten als in der Luft. Es entsteht eine diffuse Mischung aus Dauerlärm. Ist es im Meer zu laut, können sich beispielsweise Wale und Delfine nicht mehr verständigen. Sie verlieren die Orientierung. Manche verlieren den Anschluss an ihre Herde, Muttertiere verlieren ihre Jungtiere, andere finden keine Geschlechtspartner oder suchen zu lang nach ihren Futtergründen. Auch Fische, Schalentiere und Plankton leiden unter akustischen Wellen von Schiffsmotoren, Ölplattformen oder Sonargeräten des Militärs.

Wissenschafter:innen haben für das Mittelmeer jetzt erstmals Empfehlungen zur Schadensbegrenzung veröffentlicht. Damit wollen sie Regierungen und Energiekonzerne sensibilisieren. Tatsächlich zeichnet sich zumindest im westlichen Mittelmeer ein Wandel ab. Vor den Küsten Spaniens und Frankreichs dürfen Schallkanonen nicht mehr gezündet und fossile Rohstoffe nicht mehr gefördert werden. Vor der spanischen Küste wurde zudem jüngst eine enorm grosse, marine Ruhezone deklariert, denn das Meer zwischen den Balearen und dem Festland ist eine wichtige Durchzugsroute für Wale.

Fazit

Nicht mehr ans Mittelmeer zu reisen, das ist natürlich nicht die Lösung. Länder wie Spanien, Italien, Griechenland oder die Türkei sind auf die Einnahmen durch den Tourismus angewiesen. Es geht darum, klimabewusstere Entscheidungen zu treffen. Und wir sollten uns darüber klar werden, dass das, was wir am Mittelmeer so lieben, bedroht ist. Auch von uns.

Deshalb einfach kurz innehalten, wenn wir den Impuls verspüren, in den Ferien alles zu vergessen: Vielleicht mediterranes Gemüse vom Grill statt die Dorade wählen? Oder einen Bootsausflug auf einem Segelboot anstatt die Tour mit dem Jetski buchen? Das Hotel im Hinterland ist übrigens oft billiger als am Meer: Und sattsehen am immensen Blau kann man sich ja tagsüber beim Baden. Wir können alle unseren Beitrag leisten, auch wenn er klein und unbedeutend wirkt.

Eine ausführlichere Version des Textes findet ihr in der aktuellen annabelle-Ausgabe (Nr. 10/22).

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Katarina Lang Loveridge

Danke für den super Beitrag, gut geschrieben zu diesem enorm brisanten Thema – im adäquaten Tonfall, ohne moralisch zu klingen … dies sind so wichtige Inputs fürs ökologische Verständnis von uns allen, für die wir so schnell wie möglich umfassend sensibilisiert werden müssen. Besser gestern als heute!