Redaktorin Marie Hettich war von den vielen Unterschieden zwischen Feministinnen anfangs irritiert. Mittlerweile weiss sie es besser.
Was haben alle Feministinnen gemeinsam? Ich würde tippen: Feministinnen fordern dieselben Rechte und Chancen für Frauen wie für Männer. Sie sind gegen Lohnungleichheit, gegen den dramatischen Männerüberschuss überall da, wo es Wichtiges zu entscheiden gibt, und sie möchten, dass alle Frauen selbst über ihr Leben und ihren Körper bestimmen dürfen.
Mehr fällt mir nicht ein. Ziemlich basic, oder? Ein fast schon lachhaft kleiner gemeinsamer Nenner für so viele Menschen, die ständig in ein und dieselbe Schublade gesteckt werden. Sobald ich nämlich an Themen wie Heiraten, Schönheits-OPs, Sexarbeit, Kopftücher, gendergerechte Sprache oder die Frauenquote denke, wird es kompliziert. So kompliziert, dass es plötzlich unmöglich ist, von den Feministinnen zu sprechen.
Nicht mal wir sind uns einig?
In den letzten zwei, drei Jahren habe ich zig Mal gedacht: Verrückt, wir sind schon ein sehr, sehr bunter Haufen. Zum Beispiel, als ich 2018 an einem einjährigen Lehrgang der feministischen Fakultät teilnahm und es dort zu meiner naiven Verwunderung immer wieder deutliche Meinungsverschiedenheiten gab: Ist es eine gute Idee, wenn Frauen in der Geschäftswelt das «Here I am»-Verhalten vieler Männer übernehmen, um es nach oben zu schaffen – oder eben genau nicht? Schliessen wir Männer beim Gleichstellungsthema aus, wenn wir uns in reinen Frauenrunden treffen? Und sollten Frauen Missstände konsequent thematisieren – oder rutschen wir dann in die Opferrolle ab?
Ich muss zugeben: Am Anfang war ich kurz ernüchtert. Ich war müde – müde von all den Diskussionen in meinem Alltag, in denen ich immer wieder bei Adam und Eva anfangen und mich teils bis ins Unendliche erklären und rechtfertigen musste. Also machte ich mir die Mühe und vernetzte mich mit Gleichgesinnten – und dann sind nicht mal wir Feministinnen uns einig?
Die Joko-&-Klaas-Debatte
Auch nach dem Lehrgang erlebte ich immer öfter solche Aha-We’re-different-Momente. Kurz vor dem Frauenstreik etwa, als unter Feministinnen die Diskussion entbrannte, ob solidarische Männer zuhause bleiben oder unbedingt an den Demos teilnehmen sollten. Oder als kürzlich die von Joko und Klaas initiierte 15-Minuten-Sendung «Männerwelten» viral ging. Ich fand: das Thema sexuelle Gewalt raus aus der Feminismus-Bubble, mitten rein in den ProSieben-Mainstream, so dass sogar mein 19-jähriger Bruder davon Wind bekommt? Grossartig. Doch auf Social Media war die Stimmung unter einigen Feministinnen eher gedrückt: Wie frustrierend es sei, dass erst zwei Männer ums Eck kommen müssen, damit das Thema beachtet wird. Und wieso von den Beispielen im Video eigentlich noch irgendwer geschockt sei? Es sollten doch längst alle mitbekommen haben, was in den meisten Frauenleben so vorfällt.
All das klingt anstrengend – und es ist anstrengend. Trotzdem sind unsere Unterschiede wichtig. Denn sie halten die Debatte lebendig – die da draussen, aber auch die in unseren eigenen Köpfen. Wie oft ist es mir schon so ergangen, dass ich dachte, ich sei bei einem Thema zu einem Schluss gekommen – bis ich eine Frau treffe, die mir ihre Sicht schildert und sich mir neue Welten auftun.
Nicht jede fängt bei Tamara Funiciello Feuer
Auch in der Öffentlichkeit müssen unbedingt so viele Feministinnen wie nur möglich zu Wort kommen. Denn nicht jede Person fängt bei der Politikerin Tamara Funiciello oder der Journalistin Michèle Binswanger Feuer. Sondern denkt sich im blödesten Fall: «Das ist also eine Feministin? Das ist der Feminismus? Dann ist das sicher nichts für mich.» Es können niemals Einzelne für alle sprechen. Die Feministin gibt es nicht. Genauso wie es die Schwarze Frau, die nonbinäre Person oder den homosexuellen Mann nicht gibt.
Dass wir Feministinnen so verschieden sind, ist ausserdem nur logisch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat eine 45-Jährige berufstätige Mutter dreier Kids andere Probleme als eine 20-jährige queere Studentin. Mit hoher Wahrscheinlichkeit empfindet eine Frau, deren Vergewaltiger draussen frei rumläuft, die Überarbeitung des Sexualstrafrechts als umso dringlicher. Niemals könnte eine einzelne Person alle feministischen Themen gleichermassen im Blick behalten. Theoretisch reichen die eigenen schmerzlichen Erfahrungen komplett aus – und man hätte ein Leben lang zu tun.
Das eigene feministische Gärtchen
Wenn wir also diejenigen Menschen nicht vergessen, die aufgrund von Gender, sexueller Orientierung oder ihrer Ethnizität gleich doppelt und dreifach diskriminiert werden, bin ich sehr dafür, dass trotz unserer Vernetzung jede Feministin weiterhin in ihrem eigenen feministischen Gärtchen gräbt. Jede darf im Kleinen ihre Arbeit machen, damit wir im Grossen weiterkommen. Ohne shame, sondern mit vollstem Verständnis. Denn unsere Unterschiede beweisen auch: Wir sind sehr viele. Und das ist sehr, sehr gut.
* mit «Frauen», «Männer» oder «Feministinnen» sind alle Personen gemeint, die sich als solche identifizieren