Seit Feminismus cool ist, machen ihn sich auch Unternehmen zunutze – um uns noch mehr zu verkaufen. Ein Plädoyer dafür, genauer hinzuschauen.
Im vergangenen Jahrzehnt hat der Feminismus eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht: Er ist vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan geworden, hat sich vom Outlaw unter den gesellschaftlichen Bewegungen in die coolste und präsenteste politische Haltung verwandelt. Obwohl wir bei geschlechterspezifischen Herausforderungen wie etwa der Lohnungleichheit, der unbezahlten Familienarbeit, bei der Gewalt gegen Frauen oder beim Sexismus im Allgemeinen nicht wirklich weiterkommen, erlebt er einen nie dagewesen Hype. Was ist da passiert?
Der Feminismus ist – vor allem bei jüngeren Frauen – chic geworden. Industrie und Werbung haben entdeckt, dass sich damit weit mehr als «nur» Politik machen lässt. Unternehmen, die früher das Wort «Feminismus» niemals in den Mund genommen hätten, schmücken sich inzwischen damit. Klassische Frauenzeitschriften vertreiben T-Shirts mit schmissigen feministischen Sprüchen, Barbie gibt es seit einigen Jahren nicht mehr nur als hyperschlankes Laufstegpüppchen, sondern auch als ambitionierte Physikerin mit halbwegs realistischen Proportionen.
Doch nicht schön genug
Werbung für Beautyprodukte hinterfragt neuerdings Schönheitsideale und propagiert Body Positivity – es sind dieselben Firmen, die uns seit Jahrzehnten eine riesige Produktepalette unter die Nase halten mit der unterschwelligen Botschaft, dass wir eben doch nicht schön genug sind. Generationen von Mädchen und Frauen haben verinnerlicht, dass der Frauenkörper eine ewige Baustelle sei. Aber egal, das scheint inzwischen vergessen, und dazu reichten ein paar Gänge «Feminist Washing».
Auch Kino und Fernsehen nehmen sich nun zahlreicher frauenpolitischer und queerer Themen an. Jener Kulturbereich also, der Frauen über 35 fast ausnahmslos aussortiert und in dem das Gros der Schauspielerinnen ganz selbstverständlich wie Models auszusehen hat. Inzwischen gibt es immerhin Plots, die das Prädikat «frauenfreundlich» verdienen. Sie widmen sich der Bedrohung von Frauenrechten durch faschistische und religiös-fundamentalistische Strömungen wie etwa in «The Handmaid‘s Tale» (seit 2017).
Oder sie würdigen wichtige Frauen, die für Geschlechtergerechtigkeit gekämpft haben, wie etwa die 2020 verstorbene US-Supreme-Court–Richterin Ruth Bader Ginsburg im Biopic «On the Basis of Sex» (2018) oder die furchtlosen Aktivistinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht kämpften, im Historienfilm «Suffragette» (2015). Das alles hat seine Basis im Feminismus.
«Feminismus generiert Aufmerksamkeit. Und die ist die Währung unserer Zeit»
Vorausgegangen ist dem Feminismus- Trend eine neue Sichtbarkeit für politische Themen auf Social Media. In den klassischen Medien hatten die weissen Männer mittleren Alters, die dort noch immer die meisten leitenden Positionen besetzen, Diskriminierungsthemen gern beiseite geschoben. Doch inzwischen entscheiden nicht mehr sie allein, worüber berichtet wird.
Feminismus als Image
Userinnen und User bringen auf Social Media selbst auf den Radar, was sie gesellschaftspolitisch umtreibt. Immer mehr Superstars geben sich dort politisch, feministisch und antirassistisch. Das ist gut! Doch wir sollten dabei nicht vergessen, dass dieser neue politische Habitus intensiv vermarktet wird und vor allem der Selbstinszenierung dient. Feminismus funktioniert als Label, das Aufmerksamkeit generiert. Und die – etwas in Form von Likes – ist die Währung unserer Zeit.
Was wir unter dem Label «Feminismus» vorgesetzt bekommen, wird immer öfter auf ein gewinnbringendes Produkt, ein Image reduziert. Diese Entwicklung ist nicht neu. Schon in den Achtzigerjahren wurden mainstreamtaugliche feministische Versatzstücke genutzt, um daraus ein beschränktes Bild von Emanzipation zu stricken. Ein Bild, dass sich darin erschöpft, dass Frauen Karriere machen können.
Ein Paradebeispiel: «Emily in Paris»
Frauenzeitschriften von damals strotzten nur so vor Artikeln über «Power-Frauen», die ihren Weg gehen – ganz ohne über strukturelle Hürden zu jammern. Dahinter steckte die Vorstellung einer «Do it Yourself»-Gleichberechtigung, die bis heute wirkmächtig ist: Gesetzlich seien Männer und Frauen gleichgestellt, so die Botschaft, was noch zu tun bleibt, liege also in der Hand der Einzelnen.
Auch heute verbreiten oberflächliche Populär-Feministinnen völlig widersinnige und kontraproduktive Bilder, die der politischen Sache mehr schaden als nützen. Exemplarisch hierfür steht eine Szene aus der Netflix-Serie «Emily in Paris» (seit 2020). Die Serie erfüllt zwar jedes Geschlechterklischee, spielt gleichzeitig aber auch mit Feminismus, um nicht völlig wie aus der Zeit gefallen zu wirken.
Sexy oder Sexistisch?
Eine junge Frau zieht als Social-Media-Managerin von Chicago nach Paris. Als sie am Set eines Drehs für einen Parfum- Werbespot mitbekommt, dass in diesem eine junge, normschöne Frau nackt über eine Brücke schreitet, während ihr eine Horde von Männern in Anzügen nachglotzt, ist sie entsetzt. Das geht doch bitte überhaupt nicht, «das ist sexistisch», wendet sie ein. Wow! Eine junge Frau, die sich ganz selbstverständlich gegen Sexismus einsetzt. Spannend, wie geht es also weiter?
Die Auftraggeber des Werbespots rechtfertigten dessen sexistischen Plot mit den üblichen Argumenten: Es gehe doch um Erotik, um Sinnlichkeit. Im Grunde sei es eine Würdigung von Weiblichkeit, bla bla bla. Doch diese offenkundig chauvinistischen Argumente lassen Emily nicht daran zweifeln, wo sie beruflich gelandet ist, nein, sie bringen sie vielmehr auf eine brillante Idee: Sie schlägt vor, den Spot via Instagram unter dem Titel «Sexy oder sexistisch?» zur Debatte zu stellen. Das sei die ultimative Frage, die die Userinnen und User debattieren könnten.
Gefällig und schmerzbefreit
Was für ein Geistesblitz! Was für eine Social-Media-Kampagne! Was für ein gelungener Werbe-Coup für das Parfum! Alle sind glücklich. Emily hat sich als stramme Feministin inszeniert, die aber gleichzeitig einen frauenverachtenden Plot nicht verhindert, sondern daraus maximale Aufmerksamkeit für ein Unternehmen generiert. Und sie selbst ist eine Stufe auf ihrer Karriereleiter weitergekommen, mit «Feminismus» im Gepäck. Feminismus von der Sorte, die ihren persönlichen Erfolg beflügelt, dem Sexismus aber nichts entgegensetzt.
Stattdessen hätte sie ihrem Boss ja auch erklären können, dass dadurch, dass Frauen bis heute als das «verführende Geschlecht» dargestellt werden, deren körperlicher Anziehungskraft Männer angeblich willenlos ausgeliefert seien, noch immer sexualisierte Gewalt an Frauen gerechtfertigt werde. Doch das würde wehtun: Emilys Karriere, ihrem Beliebtheitsgrad. Und so ist ihr Verhalten beispielhaft für einen gefälligen und schmerzbefreiten Feminismus, wie wir ihm derzeit oft begegnen.
Immer noch die gleichen Probleme
Es ist eine Version des Feminismus, die wir seit einigen Jahren in der Werbung, in der Populärkultur, in klassischen Frauenzeitschriften und von der Politik vorgesetzt bekommen. Denn auch die Frauenpolitik zieht sich in den meisten Ländern Europas auf bequeme Bewusstseinskampagnen zurück, anstatt wirkungsvolle Gleichstellungspolitik zu betreiben.
Kaum irgendwo gibt es eine verpflichtende Teilung der Babypause, sondern lediglich Initiativen, die Frauen daran erinnern, dass sie nach einer Geburt früh wieder in den Job zurücksollten, wenn sie später eine ordentliche Pension bekommen wollen – als wären allein sie dafür verantwortlich. Die Kosmetikkonzerne verdienen keinen Rappen weniger, bloss, weil sie ihren Kundinnen plötzlich erzählen, dass sie schon okay seien so, wie sie sind. Denn gleichzeitig bombardiert die Industrie Frauen auch weiterhin mit der Botschaft, dass sie Unmengen an Produkten brauchen, um sich «gesund» oder «selbstbewusst» zu fühlen.
Und so stehen wir da, gewandet in «The Future is Female»- oder «We Should All Be Feminists»-T-Shirts, mit unseren feministischen Timelines auf Instagram, unseren feministischen Serienheldinnen oder Beautyprodukten von Unternehmen, die sich durch eine Body-Positivity-Rhetorik feministisch reinwaschen. Und trotzdem haben wir noch immer die gleichen frauenpolitischen Probleme. Höchste Zeit, genauer hinzuschauen, was drin ist, wenn Feminismus draufsteht.
Beate Hausbichler leitet «Die Standard», das frauenpolitische Ressort bei der österreichischen Tageszeitung «Der Standard». Gerade ist ihr Buch «Der verkaufte Feminismus – Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde» im Wiener Residenz-Verlag erschienen (ca. 35 Fr.)
Danke, dass ihr diesen kapitalistischen Feminismus thematisiert! Dior-Feministin zu sein, kann teuer werden… 🙈