Naomi Gregoris (30) ist Redaktorin der «Basellandschaftlichen Zeitung» und Radiojournalistin. In ihrem Podcast untenrumpodcast.com spricht sie mit Frauen über Körper und Sexualität. Uns erzählt sie, warum sie aus ihrer Fehlgeburt kein Tabu gemacht hat.
Im vergangenen Oktober stand ich unter der Dusche und spürte, wie sich mein Bauch zusammenzog. Ich senkte meinen Blick und sah ein rotes Rinnsal meine Schenkel hinunterlaufen. Es war der Anfang der schmerzhaftesten Erfahrung meines Lebens: Ich war in der elften Woche schwanger und sollte es bald nicht mehr sein.
Ich hatte von Beginn weg allen Menschen in meinem Umfeld von der Schwangerschaft erzählt. «Dass du das jetzt schon sagst!», hörte ich immer wieder, manchmal bewundernd, manchmal tadelnd.
Der Körper einer Frau gehört ihr nicht allein. Nie zuvor war ich mir dessen so bewusst geworden wie während dieser elf Wochen. Es reichte von gut gemeinten Ratschlägen («Schalte einen Gang runter, so viel Arbeit tut dem Baby nicht gut!») über Vorwürfe («Gebären im Geburtshaus! Ich kenn eine, die eine kennt, die ist da gestorben!») und Druckmacherei («Hast du schon eine Hebamme?» «Ein Schwangerschaftsöl?» «Eine Kita?»). Am meisten irritierte mich die viel gepredigte Drei-Monate-Regel. Man redet nicht darüber, lautete der Konsens, weil es sein könnte, dass man das Kleine wieder verliert. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit. Man redet nicht darüber, weil unser System das so eingerichtet hat.
Fehlgeburten sind ein lästiger Nebeneffekt der Nachwuchsgewinnung, und ein teurer obendrein. Also sorgt das Gesundheitssystem dafür, dass es die Frauen belohnt, die es über den dritten Monat hinaus schaffen, und diejenigen demütigt, die nicht so weit kommen. Die Krankenkasse übernimmt erst ab der 12. Woche alle angefallenen Kosten vollständig. Vorher muss sich die Frau anteilsmässig am «Frühabort» beteiligen. Erst ab der 13. Woche ist man laut Unterlagen schwanger. Vorher steht da «Krankheit».
Frauen schützen mit ihrem Schweigen nicht sich selbst, sondern dieses System. Viele wissen nicht, wie eine Fehlgeburt aussieht, geschweige denn, wie häufig sie vorkommt (offiziell heisst es, jede fünfte Schwangerschaft, die Dunkelziffer ist hoch). Zahlreiche betroffene Frauen haben das Gefühl, selbst dran schuld zu sein. Verlaufen die drei Monate «normal», atmen sie auf. Jetzt kann ich raus damit.
Wir glauben, aufgeklärte, moderne Frauen zu sein, aber wenn unsere Körper und ihre vermeintlichen Mängel im Mittelpunkt stehen, werden wir leiser. Kaum jemand redet über Fehlgeburten. Auch nicht über traumatische Geburten oder einen unerfüllten Kinderwunsch. Wir denken, das sei Privatsache. Dabei ist es das Gegenteil: Kaum etwas ist so politisch wie der weibliche Körper. Es wird Zeit, dass wir ihn uns zurückerobern. Konsequente Ehrlichkeit ist der erste Schritt dazu.
Ich habe seit jenem Moment in der Dusche allen von meiner Fehlgeburt erzählt. Habe einen Podcast und einen Artikel dazu veröffentlicht. Kurze Zeit darauf hat die grüne Nationalrätin Irène Kälin eine Interpellation an den Bundesrat eingereicht, in der sie nach den Gründen für diese Drei-Monate-Regelung fragt. Ein erster, wichtiger Schritt.
Und heute, vier Monate nachdem sich mein erstes Kind von mir verabschiedete, bin ich wieder schwanger. Ganz früh noch, in der siebten Woche. Als ich es kürzlich einem Freund erzählte, sagte der: «Jetzt sagst du es schon wieder so früh?!» Und ob.