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«Es ist meine Leidenschaft, mit Menschen zu quatschen»

«Es ist meine Leidenschaft, mit Menschen zu quatschen»

  • Text: Frank Heer; Fotos: Gianni Occhipinti

Romane entstehen meistens an einem Schreibtisch, klar. Doch ganz so einfach ist es nicht. Wir haben Laura de Weck an ihrem Arbeitsplatz besucht und mit ihr übers Geschichtenerzählen gesprochen. 

«Ich muss wissen, warum ich etwas schreibe. Vorher setze ich mich nicht an den Schreibtisch. Sich von Emotionen oder einem Bauchgefühl irgendwohin treiben zu lassen, das bin ich nicht. Ich brauche ein klares Ziel: Zack, da will ich hin.

Kürzlich schnappte ich im Zürcher Niederdorf ein Gespräch zwischen zwei älteren Frauen auf. Beide waren ziemlich angetrunken und laut. ‹Jetzt hör doch auf, du wiederholst dich ständig!›, sagte die eine. Die andere widersprach: ‹Nein! Ich wiederhole mich nicht! Ich wiederhole mich nicht! Ich wiederhole mich nicht!› Solche Gesprächsfetzen sind Perlen für mich. Aus diesem kleinen, alkoholtrunkenen Dialog lässt sich auf so viele, grosse Fragen schliessen: Warum wiederholt sich die Geschichte? Warum lernen wir nicht aus der Vergangenheit?

Ich schreibe nur Dialoge: Theaterstücke und szenische Kolumnen. Immer sind es Begegnungen und Beobachtungen aus dem Alltag, die mich inspirieren. Alle meine Texte haben ihre Wurzeln in der Realität. Es gelingt mir selten, einen guten Dialog zu schreiben, der ausschliesslich aus meiner Fantasie kommt. Es braucht immer einen warmen Fetzen Realität. Deswegen muss ich ständig raus aus dem Büro, sonst geht gar nichts. Ich muss ständig mit Menschen reden. Ich glaube, das ist meine Leidenschaft, mit Menschen quatschen.

Vor vier Jahren sind wir in diese Wohnung in Hamburg-Neustadt gezogen. Mir gefällt die hohe Decke mit den grossen Fenstern, weil dann viel von diesem grauen, scharfen Hamburger Licht reinfällt. Dieses Licht hilft mir beim Denken.

Ohne das Storyboard, das ich mit magnetischer Farbe an die Wand über dem Schreibtisch gemalt habe, kann ich schwer arbeiten. Ich muss die Dramaturgie meiner Stücke grafisch vor mir sehen, um den Überblick zu behalten. Manchmal pinne ich auch Dialoge an die Wand. So erkenne ich, wo der Rhythmus holpert. Dialoge müssen tönen, damit sie uns berühren. Ich höre nie Musik, wenn ich schreibe: Das würde den Rhythmus meiner Texte durcheinanderbringen.

Extrem wichtig ist es mir, Dialoge zu schreiben, die man nicht schon hundertmal in Filmen oder Stücken gehört hat. Das ist nicht immer einfach, grad wenn es sich um klassische Situationen handelt, etwa eine Beziehungskrise, wie wir sie in allen möglichen Varianten aus dem Kino kennen. Da muss man um die Ecke denken: Wie könnte der Dialog anders funktionieren? Das ist auch der Grund, warum ich im Moment so gern Stücke und Drehbücher von Frauen lese. Die Frauen überraschen mich grad mehr. Die kommen plötzlich mit Inhalten und Dialogen, wo ich denke, wow, so was kenne ich aus den ganzen letzten Jahrhunderten nicht.

Ich bin glücklich, wenn ich schreibe. Ich arbeite furcht- bar gern. Wenn ich morgens vor meinem Schreibtisch stehe, weiss ich, dass mir genau sechs kostbare Stunden bleiben, bis ich die Kinder von der Schule abholen muss. Seit wir eine Familie sind, hat die Zeit für mich eine andere Bedeutung. Ich arbeite fokussierter, weil mein Spielraum zum Schreiben begrenzt ist. Kinder sind übrigens eine ergiebige Fundgrube für originelle Dialoge: Meine Tochter hatte kürzlich ihre Puppe verarztet. Als ich sie fragte, was die Arme denn hätte, antwortete sie: ‹Krebs und Husten.›

Früher, wenn ich mit einem Text nicht weiterkam, stand ich auf, um eine Zigarette zu rauchen. Heute hänge ich die Wäsche auf. Das Leben ist immer noch wild und aufregend, aber zum Schreiben brauche ich es aufgeräumt. Auf meinem Pult dulde ich nichts, was mich vom Nachdenken ablenken könnte. Es ist der Jugendtisch meiner Mutter. Ist er nicht schön? Ich hatte ihn bekommen, als ich nach Hamburg zog. Er ist nicht sehr gross, aber mehr brauche ich nicht.

Ich habe ein Gespür dafür, wann ein Dialog funktioniert, wann er ganz und fertig ist. Aber manchmal verlässt mich dieses Gefühl. Dann verzweifle ich. Wenn man den eigenen Text nicht mehr spürt, ist das wie eine Beziehung, die nicht mehr funktioniert. Besonders, wenn man lang an einen Stoff geglaubt hat und plötzlich denkt, dass man sich getäuscht hat. Das kann fast körperlich schmerzhaft sein. Man verliert auf einen Schlag sein ganzes Selbstbewusstsein, bekommt Angstzustände. Damit kenne ich mich aus. Ich kenne die Angst so gut, dass ich inzwischen weiss, wie ich mit ihr umgehe.»

Zuletzt erschien von Laura de Weck «Politik und Liebe machen» (Diogenes-Verlag 2016) mit ausgewählten Dialogen aus ihrer Kolumne im «Tages-Anzeiger». Weitere Gespräche mit Autoren finden Sie in der annabelle 3/19.

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Das «graue, scharfe Hamburger Licht» hilft ihr beim Denken